Demokratie
Warum hat Südkorea eine so lebendige Protestkultur?
Proteste in Seoul
© Teddy Cross CC BY 2.0
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In Südkoreas Hauptstadt Seoul gehören Demonstrationen zum Alltag – und sie haben Tradition. Mit Protesten erkämpften sich die Südkoreanerinnen und Südkoreaner ihre heutige Demokratie und befreiten sich aus der Militärdiktatur. Zuletzt gingen Hunderttausende auf die Straße, um für die Amtsenthebung von Ex-Präsident Yoon Suk-Yeol zu demonstrieren. Doch auch die Unterstützer des mittlerweile geschassten Präsidenten machten mobil.
Im Gespräch erklärt Thomas Eichert, Doktorand an der Universität Tübingen, welche zentrale Rolle soziale Netzwerke und kirchliche Gruppen bei dieser hohen Mobilisierung spielen. Kirchen fördern in Korea nicht nur berufliche Kontakte und soziale Bindungen, sondern seien auch politisch relevant, da in den Gemeinden häufig Proteste binnen kürzester Zeit organisiert werden.
In Deutschland hätten Vereine häufig eine ähnliche Funktion zusammen. Diese seien jedoch in der Regel weniger politisch geprägt und eigneten sich daher weniger zur Mobilisierung.
Ein weiterer Faktor sei die intensive Nutzung von sozialen Medien, selbst bei älteren Südkoreanerinnen und Südkoreanern. Über die digitalen Netzwerke ließen sich Proteste kurzfristig und effektiv organisieren. In Südkorea haben Oppositionspolitiker das gut genutzt – beispielsweise als der mittlerweile zum Präsidenten gewählte Lee Jae-Myung livestreamte, wie über den Parlamentszaun kletterte, um gegen das Kriegsrecht zu stimmen. Dabei könne der Einsatz von sozialen Medien auch kritisch gesehen werden. Durch die starke Nutzung sei die Zivilgesellschaft verstärkt anfällig für Verzerrungen, Desinformationen und Fake-News.
Protestbewegungen würden sich in Südkorea zudem durch ihre breite gesellschaftliche Vielfalt auszeichnen und sich häufig aus sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammensetzen. Menschen aller Generationen kämen zusammen und engagierten sich gemeinsam. In Deutschland seien Proteste dagegen oft homogener und themenbezogen, wie beispielsweise Friday‘s for Future.
Auch die südkoreanische Popkultur trage dazu bei, dass Demonstrationen gemeinschaftlich, inklusiv und kreativ gestaltet werden. Proteste werden zu echten Events: Es wird Musik für alle Altersgruppen gespielt und die Teilnehmende bringen „Lightsticks“ mit, die sonst in Konzerten verwendet werden.
Der Podcast zeigt, dass Protest in Südkorea weit mehr ist politischer Widerstand. Er ist Teil einer lebendigen Demokratie und Ausdruck gesellschaftlichen Zusammenhalts.
*Katharina Hils studiert Politikwissenschaften und Koreastudien an der Goethe-Universität in Frankfurt und absolviert ein Praktikum im Büro der Stiftung in Seoul.