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Libanon
Zwischen Power Cuts und regionalem Machtkampf: Die Energiekrise im Libanon

Beirut Libanon
© Getty Images / Freier Fotograf

Der Libanon befindet sich in seiner schwersten Versorgungskrise seit Jahrzehnten. Als Folge der sich stetig verschärfenden Wirtschaftskrise sorgt ein kaum mehr abgedecktes Energienetzwerk für massive Stromausfälle und lässt Beirut bei Nacht in Dunkelheit versinken. Inmitten der Handlungsunfähigkeit des libanesischen Staates haben nun zwei große internationale Akteure ihre Hilfe angeboten.

‚Im Libanon gehen die Lichter aus.‘ Was gerne als Metapher für den Staatskollaps genutzt wird, ist in den letzten Monaten zur bitteren Realität geworden. Viele Libanesen horten inzwischen Kerzen, damit ihre Wohnungen beim nächsten Stromausfall nicht in kompletter Finsternis versinken. Kühlschränke werden abgeschaltet. Und an den Tankstellen stehen die Menschen teilweise stundenlang an, um wenigstens ein paar Liter des inzwischen raren Benzins zu bekommen. Wie dramatisch die Lage ist, zeigte kürzlich eine Pressemitteilung des renommierten Universitätskrankenhauses der „American University of Beirut“. In der Klinik, wo normalerweise hoch ausgebildete Spitzenärzte mit modernster Ausstattung arbeiten, wurde der Diesel knapp, der normalerweise die Generatoren für die Stromversorgung am Laufen hält. Das Krankenhaus erklärte daraufhin, sämtliche medizinischen Geräte abschalten zu müssen. Die Folgen wären verheerend gewesen.

Beispiellose wirtschaftliche Kernschmelze

Zwar konnte dieses Schreckensszenario durch eine kurzfristige Spende noch abgewendet werden. Dennoch zeigt es, wie dramatisch die Versorgungslage im Libanon geworden ist. Alles was in Deutschland zur Selbstverständlichkeit gehört, ist im Zedernstaat mittlerweile ein Luxusgut. Jahrzehntelange Misswirtschaft, politisches Chaos und die Folgen der Explosion am Hafen von Beirut haben zu einer beispiellosen wirtschaftlichen Kernschmelze geführt. Das Land ist seit dem vergangenen Jahr zahlungsunfähig, die Währung befindet sich im freien Fall, die Bevölkerung verarmt. Und jetzt ist auch die Strom- und Benzinversorgung zusammengebrochen.

Neben all dem Leid, das die schwere Krise über den Libanons bringt, befeuert sie nun auch noch die Dynamik im regionalen Machtgefüge. Dabei geht es in erster Linie um die Konkurrenz zwischen den USA und dem Iran. Beide Länder versuchen im Angesicht der Katastrophe ihren Einfluss im kaputten, von Hilfe abhängigen Libanon auszuweiten.

Iranisches Öl gegen die Energieknappheit

Den ersten Schritt machte der Iran: Als Reaktion auf die sich verschärfende Energieknappheit kündigte zuerst die Führung der schiitischen Hisbollah-Miliz im August an, Tanker mit iranischem Treibstoff in den Libanon zu liefern. Die erste Erdöllieferung aus dem Iran sei Berichten zu Folge bereits in Syrien eingetroffen, von wo aus sie weiter in den Libanon transportiert werden soll. Wie viele Transporte geplant sind, bleibt vorerst unklar. 

Die Gründe für das Engagement Irans hingegen liegen auf der Hand: Mit Hilfe der kostenlosen Öllieferungen will Teheran seinen Einfluss in der Region ausweiten. Denn wenn es gelingt, den Libanon von iranischen Erdöl abhängig zu machen, kann der Iran seine Macht über die traditionellen schiitischen Milieus im Land hinaus ausweiten - und so die eigene Einflusssphäre vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer stärken.

Auch die USA wollen helfen

Das iranische Vorpreschen alarmierte wiederum die USA. Washington warnte die Libanesen umgehend vor einem Deal mit dem regionalen Erzfeind Iran und stellte kurz nach dessen Bekanntmachung einen eigenen Hilfsplan vor. Dieser sieht vor, ägyptisches Erdgas über Jordanien und vor allem Syrien in den Libanon zu leiten.

Die Idee der Amerikaner scheint bei den beteiligten Ländern bereits auf fruchtbaren Boden zu fallen. So wurde am 4. September zum ersten Mal seit Beginn der syrischen Revolution im Jahr 2011 eine hochrangige libanesische Delegation nach Damaskus zu Gesprächen entsandt. Auch die syrische Seite zeigt sich kooperationsbereit und hat dem Elektrizitätstransfer über syrisches Staatsgebiet bereits zugestimmt. Überraschend ist das nicht - schließlich bietet der amerikanische Hilfsplan eine perfekte Möglichkeit für Machthaber Assad, sich Schritt für Schritt aus dem Sanktionsregime der USA zu befreien. Neben lukrativen Einnahmen steht für Damaskus daher vor allem der Prestigegewinn im Vordergrund. Schließlich würde die Assad-Regierung endlich wieder in das regionale Geschehen einbezogen werden - und könnte sich als legitimer Partner der internationalen Gemeinschaft präsentieren. Und dass trotz der jüngsten Menschenrechtsverletzungen in den syrischen Städten Daraa und Idlib, wo der syrische Machthaber seit kurzem wieder massiv die Zivilbevölkerung bombardiert und jegliche Opposition im Keim ersticken lässt.

Geopolitische Interessen statt langfristiger Lösung

Angesichts dieser Zusammenhänge deutet leider vieles daraufhin, dass es den Großmächten bei ihren Hilfsangeboten vielmehr darum geht, ihre machtpolitischen Positionen in der Region zu stärken, als um ein ernsthaftes Interesse an einer langfristigen Lösung für den krisengebeutelten Libanon. So käme ein Propagandasieg für Teheran und die Hisbollah dem iranischen Regime zu Gute und würde den iranischen Einfluss in der Region stärken.

Die USA hingegen versuchen genau jenen Einfluss im Libanon zurückzudrängen. Dafür nimmt Washington sogar in Kauf, dass der Rettungsplan der eigenen Sanktionspolitik gegenüber Syrien komplett zuwiderläuft und das Regime in Damaskus bis zu einem gewissen Grad aus der Isolation herauslöst.

Die libanesische Energieexpertin Jessica Obeid ist ohnehin überzeugt, dass beide Pläne die schwere Energiekrise des Libanon nicht nachhaltig lösen können. Dazu, sagt sie, erfordere es nämlich langfristige Investitionen in die Infrastruktur des Landes - und keine provisorischen Lösungen, die die eigentlichen Ursachen der Energiekrise ignorieren.

Erneuerbare Energien als nachhaltige Lösung

Deutschland und die Europäische Union hielten sich beim Wettrennen zwischen Teheran und Washington bislang zurück. Angesichts vieler schlechter Optionen war das bestimmt die richtige Haltung. Doch jetzt, da es dem seit Monaten politisch völlig paralysierten Libanon in dieser Woche endlich gelungen war, eine neue Regierung zu bilden, lohnt es sich möglicherweise doch, einen ernsthaften Versuch zu unternehmen, die Energiekrise zu lösen. Die EU sollte ihre Unterstützung für den Libanon dabei aber vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien konzentrieren. Dies ist nicht nur ein Gebiet, auf dem die Europäer das entsprechende Wissen und die Expertise mitbringen. Es ist auch einer der vielversprechendsten Wege, endlich nachhaltige Lösungen für die Energiekrise zu finden.

Als erstes hängt jetzt aber erst einmal alles davon ab, ob die neue Regierung des Libanon überhaupt willens und fähig ist, Reformen anzugehen. Ohne die wird das Land nämlich kaum mehr auf die Beine kommen. Aller begründeten Vorsicht zum Trotz wäre es darum wichtig, die Regierung dabei zu unterstützen. Und sei es nur um sicher zu stellen, dass sich weitere Schreckensnachrichten von Universitätskliniken, denen plötzlich der Diesel ausgeht, nicht wiederholen.