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#JetztMutMachen
#JetztMutMachen: "Das Taxi ist ein einzigartiger Raum für die freie Meinungsäußerung"

Interview mit Andreas Wettlaufer, Taxi-Fahrer aus Hamburg
Andreas Wettlaufer

Herr Wettläufer, Hansa Taxi 211 211 in Hamburg hat als erste Taxi-Zentrale in Deutschland auf die Krise reagiert. Statt Kunden von A nach B zu fahren, gehen Sie für die einkaufen, die am härtesten vom Shutdown betroffen sind.

Das war eine simple Idee, die sehr gut angenommen wird. Ich liebe meinen Job, das ist der beste der Welt. Und für andere da zu sein, ist wichtiger Teil davon. Außerdem sichert es meinen Kollegen und mir ein paar Fahrten, während das öffentliche Leben stillsteht.

Restaurants, Bars und Clubs sind geschlossen, es gibt weder Veranstaltungen noch einen regelmäßigen Reiseverkehr. Keine gute Zeit, um Taxi zu fahren, oder?

Ganz ehrlich: Es ist katastrophal, wie überall. Von rund 800 Fahrzeugen in der Flotte sind momentan nur etwa 30 Prozent im Einsatz. Als selbstständiger Taxi-Fahrer zahlt man eine enorm hohe Vollkaskoversicherung, die natürlich weiterläuft. Ein harter Einschnitt. Aber ich bleibe optimistisch. Das kann ich besonders von den Kunden lernen, die am meisten gefährdet sind.

Inwiefern?

Eine ältere Dame rief mich an und sagte, ich solle sie zum Einkaufen fahren. Meine Einwände hat sie abgewimmelt und geantwortet: „Junger Mann, ich habe einen Weltkrieg überlebt, einen Virus überstehe ich auch. Alles wird gut.“ Neben allen wirtschaftlichen Folgen sehe ich insgesamt die guten Seiten an dieser Krise.

Welche sind das?

Zusammenhalt. Ich beobachte kleine Gesten, die schon einen großen Unterschied machen: Meine Kunden tun sich zusammen, stimmen sich über die Einkäufe ab und schicken uns los. Zum ersten Mal fragen sich Nachbarn untereinander, ob jemand Hilfe braucht. Man tritt selbst einen Schritt zurück, um andere nicht zu gefährden. Ich denke, wir werden noch lange die Nachwirkungen von Corona spüren. Im positiven Sinne.

Durch Ihre Hausbesuche haben Sie einen tiefen Einblick ins Leben Ihrer Kunden. Wie gehen ältere Menschen mit der Situation um?

Natürlich ist jeder verunsichert. Niemand weiß, wie lange dieser Zustand andauern wird. Was jedoch wächst, ist die Gewissheit: Man muss einander vertrauen. Keiner kommt alleine klar. Das gilt nicht nur für Senioren. Es beginnt in dem Moment, in dem mir Leute eine Einkaufsliste und das Geld in die Hand geben. Und es geht noch weiter: Eine Kundin schickt mich monatlich zur Bank, um für sie ihre Rente in bar abzuheben. Andere lassen mich nun persönliche Sendungen ausliefern. Ich versuche, zu unterstützen, wo ich kann, Krise oder nicht. Und da bin ich zum Glück nicht der einzige.

Das geht ja eigentlich weit über Ihre normalen Aufträge hinaus. Sehen Sie sich in solchen Situationen auch als Seelsorger?

Dienstleister und Seelsorger: als Taxi-Fahrer ist man immer beides. Und ich unterhalte mich gern mit meinen Kunden, viele suchen momentan das Gespräch. Wobei das bereits vor der Krise so war, denn das Taxi ist ein einzigartiger Raum für die Meinungsfreiheit.

Ein großer Begriff…

Anders kann man es nicht nennen. Man hat oft das Gefühl: Im Taxi sprechen Menschen aus, was sie niemals öffentlich sagen würden. Wer zuhört und nachfragt, bekommt sehr interessante Dinge zu hören. Verschwörungstheorien. Einige lassen auf dem Rücksitz richtig Dampf ab. Trotzdem: Ich würde diesen Job nicht machen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, etwas Gutes zu tun.

Wie geht es für Taxi-Unternehmer weiter?

Unser Service wird gut angenommen, weil die Lieferungen der Supermärkte mittlerweile wochenlang auf sich warten lassen. Dennoch müssen wir weiter Ideen entwickeln. Hansa-Taxi kooperiert mit den öffentlichen Verkehrsbetrieben. So schaffen wir es, trotz des allgemeinen Stillstandes, Leute sicher und günstig zu fahren. Ansonsten: Optimistisch bleiben. Und aufeinander achtgeben.

 

Weltweit zeigen Menschen, dass sie in der Krise zusammenhalten und sich um den anderen kümmern. Wir wollen die nächsten Tage und Wochen nutzen, um Mut zu machen, Denkanstöße zu liefern und Diskussionen anzuregen. In dieser Reihe geben wir Einblick, wie gegenseitige Unterstützung ohne Fatalismus aussehen kann und geben der Freiheit eine Stimme – weil Freiheit ohne Zusammenhalt keine ist.