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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Inflation
Wann droht eine Lohn-Preis-Spirale?

Noch ist die Inflation nicht gefährlich. Aber dies könnte sich bald ändern, und zwar schon mit der nächsten Runde von Tarifverhandlungen.
Karl-Heinz Paqué
© Photo by Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen ....“ So formulierte der spätere Nobelpreisträger Milton Friedman vor über einem halben Jahrhundert. Aber er fügte auch hinzu: „... in dem Sinne, dass sie nur entsteht und entstehen kann, wenn die Geldmenge schneller wächst als die gesamtwirtschaftliche Produktion.“

Das stimmt natürlich. Mit Verlaub: Es ist fast trivial: Zu viel Geld jagt zu wenig Güter, und deshalb steigt das Preisniveau. Allerdings sagt Friedmans Erkenntnis noch nichts über die Kausalität des Vorgangs und ihre Richtung: Warum ist zu viel Geld im Umlauf - im Vergleich zu Gütern? Oder warum zu wenig Güter - im Vergleich zum Geld? Hat die Zentralbank fahrlässig oder vorsätzlich zu viel Geld in Umlauf gebracht? Oder hat es bei mehr oder minder unveränderter Geldpolitik eine spürbare Verknappung der Güter gegeben?

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Historischen Verläufe von Inflationen

Um diese Frage zu beantworten, muss man in die jeweiligen historischen Verläufe der jeweiligen Inflationen eintauchen - und die sind natürlich sehr unterschiedlich. Bei längeren Phasen scharfen Preisanstiegs wie zum Beispiel derzeit in der Türkei Erdogans lässt sich zumeist schnell nachweisen, dass die Verantwortung bei der Zentralbank liegt, die - politisch abhängig wie sie ist - den Wünschen des Machthabers folgt, der seine Haushaltsdefizite über die Notenpresse finanzieren will. Ähnliches (und noch viel Dramatischeres!) galt für die Hyperinflation Deutschlands 1922/23 in der Weimarer Republik sowie viele Weitere tragische historische Beispiele dieser Art vor allem in Entwicklungsländern. 

Ganz anders war die Lage in jenen Phasen der Wirtschaftsgeschichte, in denen global der Inflationsdruck zunimmt - bei ganz unterschiedlicher Haushaltslage der großen Wirtschaftsnationen und ihrer Handelspartner. So geschehen in den sechziger und frühen Siebzigerjahren, einer Zeit der Voll- und Überbeschäftigung in der gesamten westlichen Welt - mit Arbeitslosenquoten in Westdeutschland von 1 Prozent und weniger. Damals sorgten extreme weltweite Kapazitätsengpässe überall für steigende Preise und Löhne sowie schließlich die weltweite Verknappung von Öl und Rohstoffen im Zuge von zwei „Ölpreiskrisen“ 1973/4 und 1979/80. Klar, auch die amerikanische Zentralbank leistete jedenfalls in der Frühphase ihren Beitrag, indem sie indirekt die massiven stattlichen Ausgaben für den Vietnamkrieg und später das Great Society Programm von Lyndon B. Johnson refinanzierte (und dabei die „Inflationslast“ im Rahmen des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse nach Europa „exportierte“). Aber ohne die allgegenwärtigen Kapazitätsengpässe wären diese Nachfrageimpulse nicht zum Großteil in Preissteigerungen verpufft.

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Ähnliche Entwicklungen zu beobachten

Durchaus ähnlich könnte sich die Lage in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts entwickeln - in der Welt nach Corona. Unterstellen wir mal recht optimistisch, dass es keinen russischen Einmarsch in der Ukraine, damit keine westliche Wirtschaftssanktionen in dessen Gefolge sowie keine russische Gegenmaßnahmen mit Kappung von Gaslieferungen und damit weiteren Energiepreissteigerungen geben wird. Nehmen wir weiter optimistisch an, dass sich nach Omikron die Coronalage normalisiert und die globalen Wertschöpfungsketten wieder funktionieren. Und unterstellen wir weiter, dass die Industrie ihre aufgestauten Auftragsbestände erfolgreich abarbeiten kann und dadurch ein temporärer, kräftiger realer Wachstumsimpuls entsteht. Selbst dann - oder sogar: gerade dann - mündet die Wirtschaftswelt in Europa und in den USA in eine Knappheit an Arbeitskräften, die den derzeitigen Preissteigerungen Wellen der Lohnerhöhungen folgen lassen. Dies wird die Unternehmen zwingen, alle Spielräume der Kostenüberwälzung in die Preise zu nutzen und damit eine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen, die an die sechziger und Siebzigerjahre erinnern könnte.

Monetäres Stoppsignal

Zwangsläufig wird dann irgendwann der Punkt für die Zentralbanken kommen, bei dem sie ein monetäres Stoppsignal setzen müssen: durch spürbare Zinserhöhungen. In den Siebzigerjahren begann dies 1979 - mit der Wahl Paul Volcker als Präsident der Fed, der konsequent auf Inflationsbekämpfung umschaltete. Die Kausalität ist also gewissermaßen umgedreht: Die Vollauslastung der Kapazitäten und ihr Preisimpuls, der in einem Inflationsschwungrad mündet, zwingt zur monetären Reaktion. Ein jüngstes Interview mit dem EZB-Vorstandsmitglied Isabel Schnabel deutet schon in diese Richtung. Dies ist die latente Gefahr, vor der wir stehen. Vollbeschäftigung ist ohne Zweifel für die Arbeitnehmer ein wünschenswerter Zustand, aber er birgt immer die Gefahr der inflationären Überhitzung. Damit werden wir leben müssen.

Wie tun wir das am besten? Die Antwort kann nur lauten: durch eine konsequente Politik der Erweiterung des gesamtwirtschaftlichen Angebots. Dazu gehört in Deutschland das Erleichtern der Zuwanderung und höherer Erwerbsbeteiligung von Frauen, die Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit, die Verbesserung der Bildungsangebote auch für längst Erwerbstätige, die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Investitionsprojekte, eine allgemeine Entbürokratisierung und die forcierte Digitalisierung. Kurzum: ein umfassendes liberales Programm der Entfesselung von Marktkräften, unterstützt von einem Staat, der befähigt und nicht verhindert. Große politische Aufgaben!