Spanien
Im Schatten der Politik: Spaniens Justiz unter Druck
Spaniens Justiz unter Druck
© @FNF EuropeDie Unabhängigkeit der Justiz ist ein tragender Pfeiler liberaler Demokratien. In Spanien haben jah- relange politische Blockaden, eine tiefgreifende Justizreform und anhaltende Einflussdebatten das Vertrauen in rechtsstaatliche Institutionen erschüttert. Der Fall zeigt: Auch gefestigte Demokratien sind nicht immun gegen Politisierung.
Jahrelang blieben in Spanien zentrale Richter- posten unbesetzt, weil die großen Volksparteien keine Einigung fanden. Folglich geriet die Justiz zwischen 2018 und 2024 in eine beispiellose ins- titutionelle Blockade. Die konservative Volkspartei (PP), die Schwesterpartei der CDU, verhinderte gezielt die Erneuerung des Generalrats der Jus- tiz (CGPJ), des verfassungsrechtlich verankerten Gremiums zur Selbstverwaltung der spanischen Richterinnen und Richter.
Der politische Stillstand begann mit einem histori- schen Einschnitt: Nach einem Korruptionsskandal stürzte ein erfolgreiches Misstrauensvotum 2018 Mariano Rajoy – Pedro Sánchez, Vorsitzender der sozialistischen PSOE und heutiger Regierungschef, übernahm das Amt. Statt politischer Reformen folg- te allerdings eine jahrelange Blockade. Die Erneue- rung des Justizrats (CGPJ) scheitert seither immer wieder an der im Parlament nötigen qualifizierten Mehrheit. Die Folgen wurden spürbar: Über 100 Richterstellen blieben unbesetzt, Verfahren stau- ten sich, und das Vertrauen in ein funktionierendes Justizsystem begann zu bröckeln. Die Europäische Kommission sah sich gezwungen einzugreifen, äu- ßerte immer wieder Bedenken und machte deutlich, dass das lang anhaltende Scheitern der Reformbe- mühungen des CGPJ die parteiliche Unabhängigkeit der spanischen Justiz untergrabe. 2024 gelang es der Kommission schließlich, PP und PSOE an einen Tisch zu bringen und einen strukturierten Dialog in Gang zu setzen. Dies war ein Startschuss für die überfällige Erneuerung des Rates und für Reform- vorschläge am Organischen Gesetz über die Justiz (Ley Orgánica del Poder Judicial). Schließlich einig- te man sich darauf, den CGPJ neu zu besetzen und auch gesetzliche Reformen zur Stärkung der rich- terlichen Unabhängigkeit auf den Weg zu bringen. Im Zentrum stand dabei eine Empfehlung der Kommission: Künftig sollen Richterinnen und Richter ihre Vertreter im Justizrat selbst wählen, statt über politische Parteien bestimmt. Dieses liberale Grundprinzip soll die Autonomie der Justiz nachhaltig stärken. Im Januar 2025 hat Spanien dann mit dem Ley Orgánica 1/2025 eine der größten Justizreformen der letzten Jahre eingeleitet. Das Ge- setz bringt nicht nur neue Strukturen und Abläufe, sondern ver- ändert auch das Arbeiten an den Gerichten grundlegend. Auffällig ist vor allem der Wandel bei der Urteilsfindung. Entscheidungen sollen künftig nicht mehr von Einzelpersonen, sondern gemein- sam im Kollegium getroffen werden. Das soll die Arbeit fairer verteilen und zugleich die Qualität der Entscheidungen erhöhen. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Verfahrensbeschleunigung, weshalb das neue Gesetz in bestimmten Fällen den Einsatz von Mediation oder Schlichtung verbindlich vorschreibt. Zum Vorteil aller Beteiligten sollen so mehr Streitigkeiten außergerichtlich beigelegt werden, was nicht nur die Gerichte entlastet, sondern auch Zeit und Kosten spart.
Neben der großen Justizreform plant Spanien weitere Anpas- sungen: Parallel soll ein neuer Gesetzentwurf die Karriere- wege für Richterinnen, Richter und Staatsanwälte und Staats- anwältinnen öffnen und stärken. Ziel ist es, den Zugang zum Beruf zu erleichtern, mehr Fachkräfte für die Justiz zu ge- winnen und die Entwicklungschancen innerhalb des Systems zu verbessern. Mit den Justizreformen verändert sich auch die Staatsanwaltschaft, die sogenannte Fiscalía erhält damit mehr Einfluss. Die Reformen stärken insbesondere die Posi- tion der Generalstaatsanwaltschaft, etwa durch neue Koordi- nierungskompetenzen, eine festgelegte Amtszeit und schrift- lich geregelte Regierungsanweisungen. Die Regierung sieht die Reformen als wichtigen Schritt, um die Justiz effizienter, unabhängiger und europakonform zu gestalten. Daran gibt es Kritik: Sie warnen davor, dass eine politisch ernannte General- staatsanwaltschaft zu viel Einfluss auf Strafverfahren nehmen könnte – etwa, indem er oder sie entscheidet, welche Fälle besonders schnell vorangetrieben werden oder sich gezielt in heikle, politisch aufgeladene Verfahren einmischt. Die Reformen geben mehr Macht in eine Position, die nicht institutionell un- abhängig abgesichert ist. Besonders die streikenden Richter- vereinigungen äußern deshalb die Sorge, dass die Staatsanwalt- schaft dadurch politisiert werden könnte. Mit den Reformen will die Regierung nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch andere Bereiche der Justiz unabhängiger machen und langjäh- rige Bedenken über politischen Einfluss ausräumen, vor allem hinsichtlich der Integrität und Unabhängigkeit des CGPJ. Doch ein zentrales Reformziel der EU bleibt bislang unerfüllt: Richterinnen und Richter wählen ihre Vertreterinnen und Vertreter im Justizrat weiterhin nicht selbst, sondern diese werden über par- teipolitische Absprachen im Parlament bestimmt. Die parteiliche Einflussnahme auf das wichtigste Selbstverwaltungsorgan der Justiz bleibt damit bestehen. Im aktuellen Rechtsstaatlichkeits- bericht 2025 betont die Europäische Kommission entsprechend, dass das spanische Wahlsystem für den CGPJ weiterhin nicht den europäischen Standards entspricht. Im Juli protestierten mehre- re Berufsverbände gegen die geplanten Reformen, die insgesamt auf große Skepsis stoßen. Sie befürchten etwa, dass die niedri- geren Zugangshürden zum Richteramt die Qualität und Unab- hängigkeit der Justiz schwächen könnten, indem beispielsweise gezielt Bewerbungen mit bestimmten Überzeugungen gefördert werden. Die protestierenden Verbände, überwiegend konservativ geprägt, lehnen alle Änderungen ab, die die traditionelle Struktur der Justiz infrage stellen.
In Deutschland etwa machte die geplante Ernennung der Ju- ristin Frauke Brosius-Gersdorf zum Bundesverfassungsgericht Schlagzeilen. Ihre Haltung zu Themen wie Abtreibung, Corona- Maßnahmen oder einem möglichen AfD-Verbot stieß auf Wider-
stand aus konservativen und rechten Kreisen. Am 11. Juli wurde die Wahl von drei neuen Richter:innen kurzfristig von der Tages- ordnung des Bundestags genommen, weil die Unionsfraktion ihre zuvor zugesagte Unterstützung für Brosius-Gersdorf zurückzog. Der Fall wurde breit in den Medien diskutiert und sorgte in der Öffentlichkeit für erhebliches Aufsehen. Er zeigt, wie schnell ver- meintlich politische Positionen die Wahl beeinflussen können, selbst wenn das föderale System in Deutschland grundsätzlich vor direkter Einflussnahme schützt.
Ein Balanceakt zwischen Aufsicht und Autonomie
Trotz aller Kontroversen zeigt Spanien, dass Reformen auch neu- es Vertrauen schaffen können. Nach Jahren des Stillstands wur- de der Generalrat der Justiz 2024 mit Unterstützung der EU neu besetzt. Gleichzeitig wurden die Auswahlverfahren für Richterin- nen und Richter überarbeitet und die Unabhängigkeit der Gene- ralstaatsanwaltschaft gestärkt, indem deren Aufgaben klar von Regierungsmandaten getrennt wurden. Die aktuellen Entwick- lungen zeigen, wie schwierig es ist, das richtige Gleichgewicht zwischen politischem Einfluss und der Autonomie der Justiz zu finden. Demokratische Debatten über die Besetzung von Stellen sind legitim – doch wenn politische Interessen zu stark in den Vor- dergrund rücken, leidet das Vertrauen der Bevölkerung und der Rechtsstaat wird geschwächt.
Odilia Abreu, Senior Fellow FNF Brüssel, mit Fokus auf Südeuropa.
Jana Moritz, European Affairs Managerin FNF Brüssel, mit Fokus auf EU-Wirtschafts- politik und Entwicklungen in Spanien, Frankreich und Malta.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ), Heft 09/2025.