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Demografischer Wandel
Europas demographisches Dilemma zwischen Alterung und Migration

Women taking a picture of someone speaking

Innovation Policy Lab Vol. 4, 23-24 September 2025 in Brussels

© @FNF Europe

Europa steht an einem Wendepunkt. Sinkende Geburtenraten, eine rapide alternde Bevölkerung und ein schrumpfender Arbeitsmarkt bedrohen die wirtschaftliche Dynamik und den gesellschaftlichen Zusammenhalt des Kontinents. Während immer weniger junge Menschen nachrücken, wächst der Druck auf Renten- und Gesundheitssysteme. Ganze Regionen entvölkern sich, Fachkräfte fehlen in Schlüsselbranchen, wie Handwerk oder Pflege. Die Frage, wie Produktivität und Wohlstand trotz weniger Erwerbstätiger gesichert werden können, wird zur zentralen politischen Herausforderung der nächsten Jahrzehnte.

Zugleich bleibt Migration ein ambivalentes Thema. Einerseits ist sie eine der wenigen realistischen Antworten auf den Arbeitskräftemangel, insbesondere im Pflege- und Gesundheitssektor. Andererseits erschweren restriktive Integrationspolitiken und gesellschaftliche Ängste die erfolgreiche Eingliederung von Migrantinnen und Migranten. Wo Ausgrenzung dominiert, wachsen Misstrauen und Spannungen. Wo Integration gelingt, entstehen neue Impulse für Innovation, Unternehmertum und soziale Stabilität.

Doch auch jenseits der Migrationsfrage ist klar: Ein nachhaltiger demografischer Wandel braucht mehr als technokratische Lösungen. Es geht um eine Neuausrichtung europäischer Politik – von Familienförderung und Wohnraumpolitik über Bildung und Digitalisierung bis hin zu fairen Rentenreformen. Nur wenn Europa individuelle Freiheit mit gemeinsamer Verantwortung verbindet, kann der Kontinent seine wirtschaftliche Stärke, soziale Balance und globale Wettbewerbsfähigkeit bewahren.

Diesen Fragen widmet sich das Innovation Policy Lab des European Liberal Forum unter der Schirmherrschaft von Jan-Christoph Oetjen und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Ziel ist es, mit frischen, praxisnahen Ideen Lösungen für die zentralen Herausforderungen Europas zu entwickeln – vom Arbeitskräftemangel über die Entvölkerung ländlicher Regionen bis hin zur Zukunft der Altersvorsorge.

Ein Kernproblem bleibt der strukturelle Rückzug aus dem ländlichen Raum. Um diese Regionen wieder lebens- und arbeitswert zu machen, müssen bestehende Angebote gebündelt und attraktiver gestaltet werden. Ein Ansatz sind sogenannte Community Centers: multifunktionale Zentren, die Supermarkt, Arztpraxis, Verwaltung und soziale Treffpunkte unter einem Dach vereinen. Sie schaffen kurze Wege, senken Kosten und beleben das gesellschaftliche Leben.

Auch das Gesundheitssystem braucht neue Strukturen. Anstatt überall das gleiche Spektrum an Fachärzten vorzuhalten, sollen Competence Hubs geschaffen werden, spezialisierte Cluster, die komplexe Behandlungen bündeln und so Effizienz und Qualität steigern. Gleichzeitig müssen wohnortnahe Einrichtungen die Grundversorgung sichern. Modularer Bau ermöglicht dabei flexible Anpassungen an demografische Veränderungen: Wo heute ein Kindergarten steht, kann morgen eine Schule oder ein Gesundheitszentrum entstehen.

Mobilität ist ein weiterer Schlüsselfaktor für Teilhabe. Deutschland hat mit Rufbussen bereits funktionierende Modelle, die sich auch auf andere europäische Länder übertragen ließen. Sie verbinden abgelegene Orte kosteneffizient mit größeren Zentren und fördern damit soziale und wirtschaftliche Integration.

Dem wachsenden Risiko von Einsamkeit im Alter kann mit Mehrgenerationenhäusern begegnet werden, die Wohnen, Gemeinschaft und digitale Teilhabe kombinieren. Voraussetzung dafür ist der konsequente Ausbau schneller Internetverbindungen, um insbesondere im ländlichen Raum Remote Work zu ermöglichen und den Druck auf urbane Ballungsräume zu verringern.

Auch der Arbeitsmarkt selbst braucht neue Flexibilität. Unternehmen müssen ältere Beschäftigte länger halten und ihr Wissen nutzen können. Silver Teams, erfahrene Fachkräfte in Teilzeit und beratender Funktion, können die Brücke zwischen Generationen schlagen. Ein gleitender Renteneintritt anstelle eines abrupten Ausscheidens schafft dabei Anreize, länger aktiv zu bleiben, ohne die verdiente Rente zu gefährden.

Schließlich wird Migration ein unverzichtbarer Teil der Lösung bleiben. Ein zentraler Hebel, um Europas demografische Herausforderungen zu meistern, ist eine moderne, liberale Migrations- und Integrationspolitik. Studien zeigen deutlich: Migration ist kein Verlustgeschäft, sie steigert Innovation, Produktivität und Beschäftigung. Hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten tragen wesentlich zu Forschung und Unternehmertum bei, während Arbeitsmigration in geringer qualifizierten Berufen die Versorgung in Pflege, Bau und Landwirtschaft sichert. Damit wird Migration zu einem Motor für Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Laut dem Grand Challenges for Europe 2050 Report der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit fehlen der EU und Großbritannien bis 2050 dutzende Millionen Arbeitskräfte, ein Defizit, das weder durch höhere Geburtenraten noch längere Lebensarbeitszeiten allein geschlossen werden kann. Migration ist daher die einzige realistische Antwort auf den Arbeitskräftemangel. Besonders das Potenzial Afrikas mit seiner wachsenden, jungen Bevölkerung könnte in Zukunft eine strategische Partnerschaft begründen – wenn Europa legale Wege der Zuwanderung schafft, statt Mauern zu errichten.

Arbeitsmigration muss deshalb attraktiver und unbürokratischer werden, etwa durch vereinfachte Visa-Verfahren, klare, regelbasierte Wege der Einwanderung und eine frühzeitige Integration. Gleichzeitig gilt es, irreguläre Migration zu begrenzen und Integrationsstrukturen zu stärken, damit Zuwanderung gezielt zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen Europas beiträgt.

Integration kann erfolgreich gestaltet werden. Besonders wirksam sind Bildung, politische Teilhabe und der erleichterte Zugang zur Gesellschaft. Sie korrelieren stark mit höherer Arbeitsmobilität und Beschäftigungserfolg. Ein weiteres Erfolgsrezept ist migrantisches Unternehmertum: Migranten, die eigene Unternehmen gründen, schaffen Arbeitsplätze und tragen überdurchschnittlich zur Steuer- und Sozialversicherung bei.

Doch die Realität zeigt, dass viele Migranten in Europa noch immer auf Hürden stoßen: lange Wartezeiten bis zur Arbeitserlaubnis, komplizierte Anerkennung ausländischer Abschlüsse oder eingeschränkter Zugang zu Bankkonten und Krediten.

Ziel einer zukunftsfähigen Migrationspolitik muss es sein, legale Migration zu erleichtern, Integrationsangebote zu stärken und ein Umfeld zu schaffen, in dem Zugewanderte ihre Fähigkeiten entfalten können – im Interesse aller Generationen Europas. So wird aus Migration kein Krisenthema, sondern ein strategisches Werkzeug für Wohlstand, Innovation und soziale Stabilität.

Europa steht vor einem gravierenden demografischen Wandel mit einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung. Migration wird dabei zu einem entscheidenden Faktor, um Arbeitskräftemangel und wirtschaftlichen Stillstand zu verhindern. Eine moderne, liberale Migrations- und Integrationspolitik kann Innovation, Produktivität und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Zuwanderung ist die einzige realistische Antwort auf den zukünftigen Fachkräftemangel, insbesondere durch Partnerschaften mit afrikanischen Staaten und den Ausbau legaler Einwanderungswege.

Europa steht vor einer seiner größten Bewährungsproben seit Gründung der Europäischen Union. Der demografische Wandel ist unausweichlich, doch seine Folgen sind gestaltbar. Eine alternde Gesellschaft, Fachkräftemangel und regionale Ungleichgewichte müssen nicht zwangsläufig in wirtschaftlichen und sozialen Abstieg münden, wenn Europa den Mut zu tiefgreifenden Reformen aufbringt.

Der Schlüssel liegt in einem ganzheitlichen Ansatz: Familienfreundliche Politik, flexible Rentenmodelle, innovative Infrastrukturkonzepte und digitale Teilhabe müssen Hand in Hand gehen mit einer offenen, regelbasierten Migrationspolitik. Migration darf nicht als Belastung, sondern muss als Chance verstanden werden: als Motor für Innovation, Unternehmertum und kulturelle Vielfalt.

Nur wenn Integration gelingt und Zugewanderte ihre Potenziale frei entfalten können, wird Europa seine wirtschaftliche Stärke, seinen sozialen Zusammenhalt und seine globale Wettbewerbsfähigkeit bewahren. Der Kontinent steht an einem Wendepunkt – ob er altert oder aufblüht, hängt davon ab, ob er die Menschen, die zu ihm kommen, als Teil seiner Zukunft begreift.

 

Dennis Schad ist ein Verfechter eines vereinten und starken Europas. Derzeit absolviert er einen Masterstudiengang in Robotik, Kognition und Intelligenz an der Technischen Universität München. Er trägt zur Stärkung Europas bei, indem er in einem Start-up-Unternehmen im Verteidigungsbereich arbeitet und Studenten beim Bau der ersten wiederverwendbaren Rakete in Europa unterstützt.