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Gesamtdeutsche FDP
Wieder einmal Avantgarde – der liberale Vereinigungsparteitag 1990

Vereinigungsparteitag
Vereinigungsparteitag der FDP 1990 © picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten

Die Anwesenden waren sich der historischen Bedeutung bewusst, als sie sich am 11. und 12. August 1990 zu einem außerordentlichen Parteitag in Hannover versammelten. Die Ortswahl war nicht so sehr unter politischen – Wahlen zum niedersächsischen Landtag hatten gerade stattgefunden - als vielmehr unter geographischen Gesichtspunkten erfolgt: Er sollte die neue Mitte Deutschlands repräsentieren. Am auffälligsten war die Größe der Veranstaltung: 662 statt der sonst üblichen rund 400 Delegierten bei FDP-Parteitagen. Der „Zuwachs“ bestand in echten „Neulingen“, die aus der noch existierenden DDR kommend erstmals an einem Bundesparteitag teilnahmen.

Und das war das eigentlich Spektakuläre: Hier traten Repräsentanten von verschiedenen Parteien aus zwei unterschiedlichen Staaten zusammen, um sich zu einer Organisation zusammenzuschließen. So etwas hatte es bis dato in der deutschen Parteiengeschichte nicht gegeben, auch wenn es nur der Vorgriff auf die bald folgende staatliche Vereinigung der beiden Teile Deutschlands sein sollte.

Es war kein Zufall, dass die Liberalen diese nationale Vorreiterrolle übernahmen. Mit keiner anderen politischen Bewegung ist die Entstehung des deutschen Nationalstaats so verbunden wie mit dem Liberalismus. In vielen Reden auf dem Parteitag wurde an diese zentrale liberale Tradition erinnert; auch die in Hannover verabschiedete Grundsatzresolution „Für ein liberales Deutschland“ beschwor den Geist des Hambacher Festes und der Frankfurter Paulskirche.

Historisch folgenreicher als diese Manifestationen liberalen Einigungswillen war vermutlich die häufig unterdrückte Rolle liberaler Organisationen im Vorfeld der Bismarckschen Reichsgründung: Ohne den Druck, den Liberale in der Öffentlichkeit und in den Landesparlamenten ausübten, wäre die preußische Regierung unter Bismarck kaum den Weg gegangen, der 1871 zum ersten deutschen Nationalstaat führte. Obwohl Bismarcks Lösung der nationalen Frage nicht unbedingt ihren freiheitlichen Grundsätzen entsprach, identifizierten sich vor allem Nationalliberale und dann auch zunehmend Linksliberale mit diesem Staat.


 

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Letztere taten dies schließlich so sehr, dass sie unter der Führung von Hugo Preuß und Friedrich Naumann nach dem Ersten Weltkrieg alles daransetzten, Bismarcks Schöpfung in ihrer Substanz, aber „liberal“ angereichert zu bewahren. Dass dies auf Dauer nicht gelang, war keine Schuld der liberalen Gründungsväter der Weimarer Republik.

Auch nachdem der deutsche Nationalstaat in einem weiteren Inferno 1945 untergegangen zu sein schein, sahen sich die deutschen Liberalen nicht nur als Hüter der Freiheit, sondern auch der Einheit. 1947 unternahmen sie den ersten Versuch, mittels einer eigenen gesamtdeutschen Organisation die bald erwartete staatliche Wiedervereinigung vorzubereiten. Das musste im Zuge des sich verschärfenden Kalten Krieges scheitern. Aber es überlebten innerliberale Beziehungen über den Eisernen Vorhang hinweg, die trotz des geringen politischen Spielraums der ostdeutschen Liberalen allmählich intensiviert wurden. Ihnen kam zugute, dass viele führende FDP-Politiker wie Hans-Dietrich Genscher und Wolfgang Mischnick ihre politischen Anfänge im Osten erlebt hatten und eine besonderen Verantwortung für diesen verspürten.

Auch als Regierungspartei versuchte die FDP nach Möglichkeit den nationalen Zusammenhalt zu bewahren und öffnete sich dabei auch neuen Konzepten, als erkennbar war, dass die alten Rezepte nicht mehr griffen. Vor allem von den Außenministern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher wurde das Ziel der „Einheit in Freiheit“ nicht mehr direkt, sondern quasi auf Umwegen angesteuert, indem es man es „europäisierte“ und die Wiedervereinigung der Deutschen in die Wiedervereinigung Europas einbettete.  Das setzte die Überwindung des Ost-West-Konflikts voraus, die ab 1970 durch das ostpolitische Vertragswerk in Angriff genommen wurde. Mit Findigkeit – Walter Scheels „Brief zur deutschen Einheit“ - und Beharrlichkeit – Hans-Dietrichs Genscher Festhalten an der Entspannungspolitik und dem KSZE-Prozess unter widrigen Umständen – wurden Mittel und Wege gefunden, die 20 Jahre später zum Ziel führten, an das vielen nicht mehr geglaubt hatten oder glauben wollten. Wie im 19. Jahrhundert hatten liberale Persönlichkeiten und liberale Konzepte gewichtigen Anteil an der Schaffung der nationalen Einheit Deutschlands, diesmal friedlich und im Einklang mit den Nachbarn.

Vor diesem Hintergrund ist die glückliche und zufriedene Grundstimmung verständlich, die den Vereinigungsparteitag in Hannover auszeichnete und in vielen Reden zum Ausdruck kam. Die liberale Avantgarde-Rolle hatte sich wieder bestätigt und sollte sich bei der folgenden Bundestagwahl auch in Wählerstimmen auszahlen. Dass damit Liberale sich wiederum mit diesem Nationalstaat identifizieren und eine besondere Verantwortung für ihn und seine, nunmehr wirklich freiheitliche politische Kultur empfinden, braucht nicht mehr eigens betont werden.