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Veranstaltung
Wie zwei Jahre russischer Angriffskrieg das deutsche Mindset verändert haben

Dr. Stefanie Babst, Generalmajor Dr. Chrstian Freuding, Jessica Berlin, Yehor Cherniev und Dr. Marcus Faber im Gespräch.

Dr. Stefanie Babst, Generalmajor Dr. Chrstian Freuding, Jessica Berlin, Yehor Cherniev und Dr. Marcus Faber im Gespräch.

© FNF

Anlässlich des zweiten Jahrestages der Großinvasion Russlands in der Ukraine organisierte die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit der FDP-Bundestagsfraktion eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Deutschen Bundestag. Ukrainische und deutsche Sicherheitsexperten diskutierten die notwendige militärische Unterstützung für die Ukraine sowie den veränderten Stellenwert von Sicherheitspolitik in der deutschen Gesellschaft. Die Panelisten sprachen sich für weiterreichende Waffenlieferungen an die Ukraine und eine eigenständigere Rolle Europas in der NATO aus.

Versäumte und benötigte Waffenlieferungen für die Ukraine

„2014 war die Generalprobe für das, was heute in der Ukraine [passiert]“ – so leitete die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Veranstaltung „2 Jahre russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine. Lessons learnt auch für die deutsche Sicherheitspolitik?“ ein. Sie erinnerte daran, dass Russland seinen Krieg gegen die Ukraine bereits seit der Annexion der Krim und der Invasion im Donbas vor zehn Jahren führt. Dabei kritisierte sie gleichzeitig, dass die Zurückhaltung des Westens Putin dazu ermuntert habe, die Ukraine am 24. Februar 2022 komplett anzugreifen. Umso wichtiger sei es daher, die Ukraine nachhaltig und umfangreich zu unterstützen, denn „wenn Wladimir Putin Erfolg in der Ukraine hat, wird das nicht der letzte Krieg auf diesem Kontinent bleiben.“

Dr. Stefanie Babst, ehemalige stellvertretende Beigeordnete Generalsekretärin bei der NATO und Sicherheitsexpertin, unterstrich, dass die deutschen Waffenlieferungen seit Februar zu zögerlich waren und Deutschland im Vergleich zu seinen östlichen Partnern zu lange gebraucht habe, bis es die Problemlage verstanden habe. Dr. Marcus Faber, Vorsitzender der AG Verteidigung der FDP-Bundestagsfraktion, ergänzte, dass in diese Richtung noch viel Potential besteht, da bislang nur 5% der deutschen Leopard-Kampfpanzer-Bestände in die Ukraine geliefert wurden. Dabei ist durch die gefühlsgeleitete Debatte in Deutschland viel Zeit ins Land gegangen, bis es zur tatsächlichen Lieferung kam. Wertvolle Zeit, die die Ukraine in ihrem Befreiungskampf gegen den russischen Aggressor nicht hat.

Antrag der Ampel weckt Hoffnungen

Große Hoffnungen weckt ein kürzlich verfasster Antrag der Ampelkoalition, der zwar „aus Rücksicht auf einen Koalitionspartner“ Taurus-Marschflugkörper nicht namentlich erwähne, so Faber, jedoch explizit weitreichende Waffenlieferungen an die Ukraine zur Zerstörung russischer Munitionsdepots fordert. Der ukrainische Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des ukrainischen Verteidigungsausschusses, Yehor Cherniev, begrüßte den Antrag. Denn die Ukraine baue zwar ihre eigene Rüstungsproduktion aus; für die erfolgreiche Zerstörung russischer Munitionsdepots und Stützpunkte auf ukrainischem Boden sei sie jedoch auf umfangreiche Waffenlieferungen im Bereich der Artillerie und sogenannte „Cruised Missiles“ von ihren Partnern angewiesen. Cherniev beschrieb dabei auch den Siegeswillen der ukrainischen Bevölkerung und das gleichzeitige Leid durch die Länge und Intensität des Krieges. Letzteres erfuhr Chernievs Familie selbst, da sein Bruder vor Kurzem an der Front verwundet wurde. 

Kunstausstellung „The Future of Ukraine“

Kunstausstellung „The Future of Ukraine“

© FNF

Veränderung des deutschen Mindsets seit Februar 2022

„Vor zwei Jahren wären Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet in Milliardenhöhe undenkbar gewesen“, stellte Generalmajor Dr. Christian Freuding, Leiter des Planungs- und Führungsstabs im Bundesministerium der Verteidigung, fest. Das deutsche Mindset habe sich in dieser Hinsicht stark verändert. Gleichzeitig sind bürgernahe Gespräche fortlaufend nötig, um über die notwendige Unterstützung für die Ukraine im Gespräch zu bleiben und das Verständnis in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Freuding plädierte dafür, dass Deutschland an dem Kurs der militärischen Unterstützung für die Ukraine „as long as it takes“ festhalten müsse, damit „sich die Ukraine erfolgreich gegen diesen flagranten Völkerrechtsbruch wehren kann.“ Marcus Faber pflichtete dem bei: „Wir haben lange gebraucht, um Lernprozesse bei den Menschen auszulösen.“ Auf die Nachfrage einer ukrainischen Aktivistin aus dem Publikum, welche Rolle die Zivilgesellschaft für eine schnellere Entscheidungsfindung bei Waffenlieferungen spielen kann, unterstrich Faber, dass an vielen Stellen noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse – sowohl bei den Bürgern als auch bei einigen Abgeordneten: „Bringen Sie Ihre Perspektiven zu denen, die noch nicht überzeugt sind.“

Rolle der NATO und EU-Rüstungsbinnenmarkt aufbauen

In Bezug auf die NATO waren sich die Panelisten einig, dass Deutschland und Europa eine gewichtigere und eigenständigere Rolle einnehmen muss. Stefanie Babst betonte, dass die NATO-Mitglieder und der Westen ihre unterschiedlichen Formate (u.a. G7, Rammsteingruppe) klarer und transparenter – auch der Ukraine als Partner gegenüber – kommunizieren muss. Die NATO müsse sich dabei auch strategisch mit ihren Verbündeten auf ein Worst-Case-Szenario einstellen, sofern Donald Trump wieder US-Präsident werden sollte. Michael Link, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, griff dies in seinem Schlusswort ebenfalls auf und unterstrich die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen sowie die Wichtigkeit der Eigenständigkeit Europas in der NATO, unabhängig von dem tatsächlichen Wahlausgang. Die FDP unterstützte daher auch die Idee eines EU-Rüstungsbinnenmarkts, der nachhaltig installiert werden müsse.