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Bildung
Wer gibt auf die Lehrer acht?

Es gilt auch abseits von Corona: es gibt einfache Lösungen, um die Belastung von Lehrkräften zu verringern
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Vor einer Woche stellte der Philologenverband die Ergebnisse einer neuen Studie zur Gesundheit von Lehrkräften vor. Wegen der Corona-Epidemie schließen immer mehr Bundesländer flächendeckend Schulen  - und vielen Menschen wird plötzlich bewusst: Bildung ist systemrelevant. Dabei gilt auch abseits von Corona: es gibt einfache Lösungen, um die Belastung von Lehrkräften zu verringern. Sie sollten endlich umgesetzt werden!

Über 150 Jahre ist her, dass Wilhelm Busch dem deutschen Bildungsbürgertum zwei Schuljungen mit ganz besonders hoher Verhaltensauffälligkeit vorgestellt hat. Im Blick hatte Busch aber nicht nur die Exzesse von Max und Moritz, sondern auch deren Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit des Lehrkörpers, exemplarisch untersucht anhand der Leiden des Herrn Lehrer Lämpel: „Denn wer böse Streiche macht, gibt nicht auf den Lehrer acht“. Schlimmer noch – Max und Moritz respektierten selbst die Ruhezeit des Pädagogen nicht und sabotierten dessen Meerschaumpfeife an einem Sonntag. „Wer soll nun die Kinder lehren und die Wissenschaft vermehren“, fragt Busch anschließend mit besorgten Blick auf die unweigerlich mit diesem Streich verbundene Krankmeldung.

Liberale Ideen für beste Lehrer

Zwar hat mittlerweile – zumindest in den meisten – Schulen das Whiteboard die Kreidetafel ersetzt, doch die Frage, wie es um die Gesundheit der Lehrkräfte steht, ist aktuell wie nie. Spätestens seit John Hatties bahnbrechender Studie „Lernen sichtbar machen“ ist klar, dass die Qualität der Schulbildung mit den Lehrkräften steht und fällt. Eine Kernforderung liberaler Bildungspolitik ist daher die Schaffung der besten Rahmenbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer. Wir brauchen ein hellwaches, ausgeruhtes und mit vollen Kräften ausgestattetes Lehrpersonal, wenn unsere Kinder in den Schulen auf die Herausforderungen der modernen, digitalen und oft auch konfliktträchtigen Gesellschaft vorbereitet werden sollen. Und: Wir müssen dafür sorgen, dass die Lehrkräfte auch noch Reserven haben, sich selbst weiterzubilden.

Trotz aller Belastungen haben die allermeisten Lehrer Spaß an ihrer Arbeit – vor allem wenn es um die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern geht. Darum ist es wichtig, gerade diesen Teil ihres Aufgabenfeldes wieder in den Mittelpunkt zu rücken: weniger Bürokratie und Verwaltung, dafür mehr Zeit für Pädagogik! Ähnlich wie beispielsweise in Finnland muss der Lehrerberuf wieder zu den angesehensten und attraktivsten Berufswegen überhaupt zählen. Dies schließt individuelle Aufstiegsmöglichkeiten und eine leistungsgerechte Bezahlung ebenso ein wie kleiner Klassen und Entlastungen bei Zusatzaufgaben – damit Herr Lämpel sich sonntags dem Orgelspiel widmen kann und nicht an dreißig Förderplänen sitzen muss.

Studie des Philologenverbands

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch eine Studie des Deutsche Philologenverbands, welche dieser gemeinsam mit der DAK und dem Institut für Präventionsmedizin der Universität Rostock durchgeführt hat. Am vergangenen Montag wurde sie unter dem Titel „Lehrerarbeit im Wandel“ (LaiW) in Berlin vorgestellt, die ausführlichen Ergebnisse sind im nächsten Jahr zu erwarten. Die Schlussfolgerungen, darunter die Forderung nach besseren Rahmenbedingungen inklusive eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, leuchten ein. Besonders spannend sind allerdings die Vorschläge, die auf ein Neudenken der Schule als Lern- und Erfahrungsraum zielen.

Dazu gehört zum einen eine ausdifferenzierte Rollenverteilung, die Schulpsychologen, Verwaltungsfachkräfte und den „digitalen Hausmeister“ ganz selbstverständlich zur Schulgemeinschaft zählt. Zum anderen gehört dazu aber auch ein Neudenken des Schulgebäudes, was gesonderte Ruhezonen für Lehrkräfte oder auch eine bessere Schallisolierung betrifft. Aus liberaler Sicht könnte man auch „MakerSpaces“ für Schülerinnen und Schüler hinzufügen – oder aber gleich hinterfragen, ob der Unterricht überhaupt im Klassenraum stattfinden muss.

In der Studie, die von einem Forscherteam um Professorin Reingard Seibt durchgeführt wurde, wurden das erste Mal bundesweit Daten zur Arbeitsbelastung und Gesundheit von Lehrkräften an Gymnasien erhoben. Die Ergebnisse überraschen zumindest teilweise: während die meisten Lehrkräfte die berufliche Belastung als hoch beziehungsweise sehr hoch bezeichnen, äußern sie gleichzeitig ein hohes Maß an Zufriedenheit. Sorge bereitet dagegen vor allem die Tatsache, dass viele Lehrkräfte dabei Raubbau an ihrer Gesundheit betreiben, was sich in wenigen Ruhetagen und schlechtem Schlaf niederschlägt – oder gar im Ignorieren des ärztlichen Ratschlags, bei einer Krankheit zu Hause zu bleiben. Und trotz der Torheiten von Max und Moritz: es ist vor allem die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern ist der idealistische Treibstoff, der müde Lehrkörper antreibt.

Über 176.000 Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer unterrichten in Deutschland, fast ein Zehntel – 16.000 – nahm an der „LaiW-Studie“ teil. Angesichts des vergleichsweise mageren Umfangs von bisherigen Studien (z.B. 2011 und 2017) handelt es sich also um einen sehr wichtigen Beitrag zur Bildungsdebatte. Doch nicht nur die empirische Leerstelle, sondern auch der Wandel der Lehrerarbeit hätten die Studie notwendig gemacht, so die Präsidentin des Philologenverbandes, Professor Dr. Susanne Lin-Klitzing. So seien eine Vielzahl an neuen Aufgaben hinzugekommen, darunter das Anfertigen eigener Schulcurricula, das Entwerfen von Förderplänen oder das Durchführen von Vergleichsarbeiten. Auch die Fremd- und Selbstevaluation – inklusiver solcher Studien – würde auf dem Schreibtisch, bzw. in diesem Fall auch als App auf dem Smartphone, der Lehrkräfte landen. Alte Aufgaben seien dabei allerdings nicht entfallen. Dass die DAK als gesetzliche Krankenkasse sich um die (meist privat versicherten) Gymnasiallehrkräfte sorgt und die Studie finanziell unterstützt hat, hat einen einfachen Grund. Wie der Vorsitzende des Vorstands der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, während der Pressekonferenz betonte, ginge es darum, die Schule als „Ort der Gesundheit“ zu stärken. Nur wenn die Lehrkräfte gesundes Verhalten vorlebten, könnten Sie auch die Kinder zu einer gesunden Lebensweise heranführen.

Belastung auf der einen Seite…

Anhand der Antworten der Lehrkräfte sowie der angefertigten Arbeitszeitprotokolle konstatieren die Autoren der Studie hier durchaus Nachholbedarf. Zuerst einmal sei hier das Arbeitspensum selbst zu nennen: entgegen landläufiger Vorurteile hört der Arbeitstag mit dem letzten Schulgong keinesfalls auf. Oft müssen die Lehrerinnen und Lehrer selbst bis kurz vor Mitternacht am Schreibtisch sitzen, um den Unterricht vorzubereiten, E-Mails von Eltern beantworten oder Schulhefte korrigieren. Selbst in belastungsarmen Zeiten würden 71% der Lehrer über 40 Stunden pro Woche arbeiten, bei 46% seien es sogar über 45 Stunden. 74% der Lehrer mit 40 bis 45 Wochenstunden sprechen dann auch von einer hohen bzw. sehr hohen Belastung, bei der Spitzengruppe (45 Wochenstunden und mehr) sind es sogar 83 Prozent Als Gründe für die Belastung führen die Lehrkräfte die großen Leistungsunterschieden zwischen einzelnen Schülerinnen und Schülern (95%), ein zu hohes Arbeitspensum (90%) und keine ausreichenden Pausen im Schulalltag (72%) an. Außerdem verweisen sie auf verhaltensauffällige Schüler, die den Unterricht stören (51%) sowie eine unzureichende materielle Ausstattung (41%). Doch Belastung führt nicht automatisch zu Unzufriedenheit, sie hängt allerdings damit zusammen. Als Gründe für die berufliche Unzufriedenheit wurden lange Arbeitszeiten (36%), die Zunahme der Aufgaben (32%) sowie Bürokratie (23%), hohe Belastung (18%) sowie behördliche Vorgaben (18%) genannt. Als Belastungsfaktoren wurden zudem fehlende Ruhezonen (74%), eine fehlende Erholung am Wochenende (74%) sowie ein zu hoher Lärmpegel (54%) benannt

… Zufriedenheit auf der anderen Seite.

Angesichts dieser Befunde wirkt ein weiteres Ergebnis vielleicht überraschend: 85% der Lehrkräfte sind zufrieden oder sogar sehr zufrieden, nur 1% ist sehr unzufrieden. Flexible Zeiteinteilung (42%), Autonomie im Unterricht (25%) oder auch die Vielseitigkeit der Anforderungen (21%) stehen als pragmatische Gründe im Raum, doch entscheidend ist mit 45% vor allem die Arbeit mit den Schülern. Die Aussicht, im Krankheitsfall bis zu 150 Schülerinnen und Schüler „im Stich zu lassen“ führt sogar dazu, dass 93% der Lehrkräfte trotz Krankheitsgefühl arbeiten – und 37% tun dies sogar entgegen ärztlichen Rats. Dieser „Präsentismus“ schlägt sich auch in einer unterdurchschnittlichen Erholungsfähigkeit sowie einer niedrigen Schlafqualität nieder. Nur die wenigsten Lehrekräfte fallen dagegen mehr als 10 Tage im Jahr aus. 27% haben keinen einzigen Fehltag, 51% lediglich ein bis neun. Ansonsten, so die Autoren der Studie, würden sich Lehrkräfte allerdings vergleichsweise gesundheitsbewusst verhalten, wenngleich nur der Hälfte die Balance von Arbeit und Freizeit gelänge. Es gilt aber dennoch, was schon Lehrer Lämpel wusste: “die größte Freud, ist doch die Zufriedenheit!”

Schlussfolgerungen

Manche Schlussfolgerungen überraschen kaum. Eine Senkung des Stunden-Deputats, kleiner Klassen oder auch die Verringerung von Verwaltungsaufgaben gehören zum Standardrepertoire der Lehrervertretungen – falsch sind diese Forderungen deshalb allerdings nicht. Kontroverser ist dagegen die Forderung nach der „Senkung der Leistungsheterogenität“. Auch der Vorschlag, dass nicht mir nur der Elternwille, sondern auch wieder die Expertise der Lehrkräfte bei der Schulformempfehlung berücksichtigt werden sollte, ist mutig. Ohne Zweifel gibt es gute Gründe für die Selektivität des Gymnasiums, welches schließlich die Studierfähigkeit der Schülerinnen und Schüler sicherstellen soll. Doch damit eine Erhöhung der „Leistungsheterogenität“ nicht soziale Ungleichheiten verschärft, ist dringend der Blick auf andere Schulformen erforderlich. Wie Aladin El-Mafaalani in seinem neuen Buch zum „Mythos Bildung“ herausgearbeitet hat, liegen die Ausgaben im Bereich der Kitas und Grundschulen unter dem OECD-Durchschnitt, die Ausgaben für Sekundarstufe II dagegen deutlich darüber. Die Rückkehr zu einem selektiveren Gymnasium erfordert also ganz besonders Investitionen in die Bildung der unter-Zehnjährigen- gerade auch an sozialen Brennpunkten.

So sind es vor allen Dingen die Forderungen jenseits der tagespolitischen Schützengräben, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Der von Andreas Storm angemahnte „Gesundheitsgipfel Schule“ kann dazu beitragen, dass die Lehrergesundheit – und damit letztendlich auch die Gesundheit aller – verbessert wird. Nötig wären auch weitere Studien, die explizit auch die anderen Schulformen in den Blick nehmen. Der Einsatz professioneller Unterstützungskräfte – darunter Schulpsychologen an jeder Schule – sollte letztendlich ebenso eine Selbstverständlichkeit werden, wie die Schaffung ruhiger Rückzugsorte und ein nachhaltiges betriebliches Gesundheitsmanagement. Nur die Meerschaumpfeife sollte lieber unangezündet bleiben und durch gesündere Entspannungstechniken ersetzt werden.