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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

100 Tage Trump
„Der Kaiser hat keine Kleider an.“

Die Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik des amerikanischen Präsidenten sind verheerend. Jetzt beginnt er auch noch, am Stuhl des Zentralbankchefs zu sägen.
 Donald Trump und Jerome Powell im Weißen Haus (2017).

Donald Trump und Jerome Powell im Weißen Haus (2017).

© picture alliance / Alex Edelman/Consolidated/dpa | Alex Edelman

Intellektuelle Beobachter haben eine Neigung, rustikale Politiker zu unterschätzen. Auch bei Donald Trump ist dies lange so gewesen. Sein Wahlsieg 2016 war für große Teile der Fachwelt eine Überraschung, genauso sein Comeback bei den Wahlen 2024. Auch seine erste Amtszeit entsprach nicht den Erwartungen, denn die Katastrophe, die viele voraussagten, blieb aus. Trump erwies sich zwar tatsächlich als rauer Populist, aber insgesamt doch als lernfähiger Präsident.

Wie sieht dies nun in seiner zweiten Amtszeit aus – nach 100 Tagen? Die ernüchternde Antwort lautet: völlig anders. Die Zwischenbilanz ist tatsächlich eine Katastrophe - vor allem in der Außen- sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik; für Deutschland und Europa jene Bereiche, in denen der Einfluss der USA am allergrößten ist.

Außenpolitisch hat Trump eigentlich nur Porzellan zerschlagen – weitgehend ohne Aussicht auf Erträge. Vor allem hat er innerhalb der NATO Kanada und Grönland bedroht – und damit die Beistandspflicht des Verteidigungsbündnisses der Freien Welt schlimmstenfalls untergraben, aber jedenfalls lächerlich gemacht. Von der Ukraine, die für ihre Freiheit kämpft, hat er sich in übelstem Stil distanziert, dem aggressiven Russland Putins dagegen hat er Friedensangebote gemacht, ohne dass der Frieden näher gerückt ist, weil Putin wegen der militärischen Lage des Krieges einfach aus Eigeninteresse die Verhandlungen verzögert, ohne dass Trump über wirksame Druckmittel verfügt, ihn zu einem Kompromiss zu zwingen. Dabei behandelt Trump Europa wie einen lästigen Zaungast. Mit all dem hat er so gut wie nichts erreicht, aber für die Weltmacht USA an Prestige verloren.

Wirtschafts- und Finanzpolitisch sieht es noch viel schlimmer aus. Mit den massiven Zollerhöhungen gegenüber den allermeisten Handelspartnern (außer Russland) hat er dem internationalen Handel schwer geschadet. Die „Ordnung“ der Zölle nach der Höhe bilateraler Handelsdefizite der USA ist politisch willkürlich und ökonomisch absurd – Lesotho, Kambodscha und Vietnam müssen die höchsten US-Zölle hinnehmen. Der Welthandel bricht nun ein, bewährte Wertschöpfungsketten kollabieren oder werden zumindest schwer beschädigt; der Weltwirtschaft droht nun eine Rezession, den USA zusätzlich eine kräftige Inflation, und der Zweck der Politik – der merkantilistisch motivierte Wiederaufstieg der alten amerikanischen Industrie – wird nirgends erreicht. Zusätzlich irritiert die Märkte die Erratik des Präsidenten: temporäre Zollerhebung und Zollaussetzung wechseln sich ab.

Gefährlicher noch ist die Wirkung von Trumps Wirtschaftspolitik auf die Devisen- und Finanzmärkte. Die Verschuldung der USA schnellt hoch – bei einem amerikanischen Schuldenstand von jetzt schon deutlich über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und dem größten Refinanzierungsbedarf aller Länder der Welt am internationalen Kapitalmarkt sowie einer hohen Nettokreditaufnahme von 7 Prozent des BIP. Der Londoner ECONOMIST titelte jüngst: „How a dollar crisis would unfold“, und malte das durchaus realistische Bild eines dramatischen Absturzes, in die Trump die USA hineinführen könnte – mit der Folge einer Weltfinanzkrise wie 2007/2008, als die Blase der amerikanischen Wohnungsbaukredite platzte und die Weltwirtschaft über die internationale Verflechtung der Finanzmärkte in den Abgrund zog. Die Ausgangslage ist heute allerdings noch schwieriger als damals, weil die Rettungsinstrumente stumpfer geworden sind, denn überall fehlt es an Spielräumen für expansive Fiskal- und Geldpolitik.

Und genau in dieser labilen Situation beginnt Donald Trump, über den Chef der US-Notenbank Jerome Powell öffentlich herzuziehen – er bezeichnete ihn jüngst als „major looser“ und „Mr. Too Late“, offenbar weil er sich von ihm eine laxere Geldpolitik erwartet, die seine unseriöse Zoll- und Finanzpolitik begleiten soll. Zwar ruderte Trump gleich wieder rhetorisch ein Stück zurück, aber die verunsichernde Wirkung bleibt: ein amerikanischer Präsident, der im Stil des Autokraten Erdogan „seine“ unabhängige Zentralbank unter Druck setzt, ist im Urteil der Märkte alles andere als ein Garant der Stabilität.  

Man fragt sich nüchtern: Was ist an all dieser Trumpschen Politik gut und richtig? Die Antwort ist: nichts. Um aus Hans Christian Andersen Kunstmärchen zu zitieren: „Der Kaiser hat keine Kleider an.“ Das muss schnellstmöglich klar ausgesprochen werden. Aber das reicht natürlich nicht. Der Rest der Welt muss möglichst kluge Dispositionen treffen, um sich vor den Folgen von Trumps‘ Politik so gut wie möglich zu schützen, aber gleichzeitig die Tür zu Verhandlungen mit den USA offenhalten, um das Schlimmste zu verhindern. Ob dies reicht, wird sich zeigen.

Ein einzig Gutes hat diese neue Lage: Europa weiß nun, dass die USA im Zweifelsfall nicht unbedingt ein verlässlicher Partner zur Verteidigung der Freiheit und zur Sicherung des Wohlstands sind. Deshalb gilt es, eigene Wege zu gehen: in der Sicherheitspolitik durch Aufrüstung, in der Handelspolitik durch Partnerschaften und Abkommen mit den übrigen demokratischen Ländern der Welt – in Amerika, Afrika und Asien. Zur Not muss es eben ohne die USA gehen. Bitter, aber nicht zu ändern.