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Coronavirus
Spanien und Italien: Im Auge des Sturms

Nach Italien ist Spanien das am stärksten vom Coronavirus betroffene Land in Europa, Stiftungsmitarbeiterin Rahel Zibner in Madrid berichtet über die Situation
Madrid
© picture alliance/Sergey Pivovarov/Sputnik/dpa

Seit Samstag befindet sich Spanien im Alarmzustand und damit 47 Millionen Menschen in häuslicher Quarantäne. Nach Italien ist Spanien das am stärksten vom Coronavirus betroffene Land in Europa. Unsere Mitarbeiterin Rahel Zibner, Projektassistentin für Spanien, Italien und Portugal im Stiftungsbüro in Madrid, schildert ihre persönlichen Eindrücke.

Da sitze ich nun – eingeschlossen im Haus. In meiner kleinen Wohnung fühle ich mich wie in einem sicheren Boot, während draußen ein Sturm tobt. Wie lange wird es dauern, bis sich das wohlige Gefühl der Sicherheit in Frust über das Eingeschlossen sein verkehrt? Fakt ist, ich bin überrumpelt von der Geschwindigkeit, mit der das Coronavirus über Spanien hereingebrochen ist. Für lange Zeit gab es nur ein paar Fälle im Land, die Pandemie aus China schien weit weg. Selbst als die Fallzahlen im Nachbarland Italien in die Höhe schossen, gab man sich in Spanien entspannt. Aber ein Virus schert sich nicht um Landesgrenzen. Innerhalb von ein paar Tagen dreht sich der Wind. Die kleinen chinesischen Geschäfte in unserer Straße machen als erstes dicht; kurz darauf werden alle Bars und Restaurants per Dekret geschlossen. Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Sporteinrichtungen ebenfalls. Auf der Straße dreht sich jedes Gespräch nur um ein Thema und es kursierten Gerüchte, die ganze Stadt werde in Kürze abgeriegelt. Die britische Presse titelt „Spain in pain“ und rät von Reisen nach Spanien ab. Auch ich werde nervös und checke Live-Ticker und Weltkarten zum COVID-19-Ausbruch. Angst spüre ich eigentlich nicht. Eher eine ungläubige Aufgeregtheit, solch eine surreale Situation habe ich noch nie erlebt. Wie im falschen Film fühle ich mich. Ich beginne Abstand zu Fremden zu halten und Handschuhe zu tragen. Und ich ertappe mich dabei, Lebensmittel wie ein amerikanischer „Prepper“ für den Ernstfall einzulagern. Dann ist es soweit: Auf einmal gibt es Fälle nicht mehr nur im Fernsehen, sondern in meinem persönlichen Umfeld. Das Virus ist da.

Wie ein Orkan fegt das Coronavirus über Spanien. Die Zahl der Infizierten explodiert. Stündlich werden Fallzahlen nach oben korrigiert, es gibt 1.500 Fälle in den letzten 24 Stunden. Madrid ist das Epizentrum mit aktuell 3.544 Erkrankten und drei von vier Todesfällen. Katalonien folgt mit 715; das Baskenland mit 630 und Andalusien mit 437 Erkrankten (Stand 15.03.2020). Im ganzen Land wurden bisher 7.753 Infektionen registriert und es gibt keine Anzeichen, dass sich die Situation entspannen könnte. Im Gegenteil: Die Mortalität hat seit Tagen einen deutlichen Aufwärtstrend verzeichnet und liegt mittlerweile bei über 6%. Es ist der gleiche Trend, dem Italien in den letzten zehn Tagen ausgesetzt war. Ebenso drastische Maßnahmen werden eingeführt: Nach einer intensiven, siebenstündigen Krisensitzung verkündet Ministerpräsident Pedro Sánchez am Samstag den Alarmzustand und eine 15-tägige Ausgangssperre. Nur notwendige Einkäufe, Apothekenbesuche und Wege zur Arbeit oder für die Pflege von Angehörigen sind davon ausgenommen. Die Polizei patrouilliert und verhängt Geldstrafen, wenn jemand ohne triftigen Grund unterwegs ist. Das öffentliche Leben und Verkehrssystem steht still, Madrid gleicht einer Geisterstadt.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen bekommen wir schon nach wenigen Tagen zu spüren: mein Freund verliert seinen Job in einem Madrider Restaurant. Ohne Gäste kann das Restaurant nicht überleben. Für die Gastronomie und den für das Land so wichtigen Tourismussektor, ist die Pandemie schon jetzt eine Katastrophe. Infolge der Eindämmungsmaßnahmen und Unsicherheit fallen Lieferketten aus, die Nachfrage bricht ein. Der spanische Think Tank EsadeEcPol unter der Leitung von Toni Roldán warnt vor dem Risiko einer tiefgreifenden Rezession in Spanien wie in ganz Europa. Seine Demographie und Abhängigkeit vom Dienstleistungssektor und Tourismus, machen Spanien besonders anfällig und könnte zu einer ähnlichen Situation wie während der Euro-Krise vor zehn Jahren führen. Umgehende, zielgerichtete Sofortmaßnahmen sind daher dringend notwendig, um die dramatischen Folgen für die Wirtschaft abzufedern. So könnten Liquiditätshilfen Unternehmen vor einer Pleite bewahren und Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Entlassungen schützen.

"Tutto andra bene" - Die Situation in Italien

Italien versucht seine in weiten Teilen zum Erliegen gekommene Wirtschaft mit einem 25-Milliardenprogramm vor dem Zusammenbruch zu retten. Noch immer breitet sich das Coronavirus unaufhaltsam im Land aus, mittlerweile wurden über 20.000 Fälle gemeldet und knapp 2.000 Tote. Zunächst ist vor allem der Norden des Landes betroffen und wird abgeriegelt. Doch die Information sickert vor dem Inkrafttreten in die Medien durch, massenhaft versuchen Menschen sich noch vor der Absperrung nach Süditalien abzusetzen. Mit dem Dekret der italienischen Regierung vom 9. März wird das ganze Land unter Quarantäne gestellt und alle Geschäfte, Restaurants, Cafés und Bars geschlossen. Die Spiele der Serie A werden abgesagt. Trotzdem ist die Stimmung erstaunlich gelassen. In Italien hält die Familie zusammen und so tut es das ganze Land. Selbst die regierende Koalition unter Ministerpräsident Giuseppe Conte aus 5 Sterne und Partito Democratico schafft es, in der Krise handlungsfähig zu werden und sich auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Infektion zu einigen. Ziemlich paradox, ist die politische Führungsriege im Land doch sonst chronisch zerstritten und das Land politisch gelähmt. Die Erfahrung in Italien zeigt: Entschieden handeln – sofort! – lautet das Credo in der Coronavirus-Krise. Eine  Sturmwarnung für Deutschland. Die Virus-Welle erfasst uns alle, wenn auch zeitlich versetzt. Mit welcher Wucht, das bekomme ich in Spanien gerade am eigenen Leib zu spüren.

In einem Alltag, in dem jeglicher sozialer Kontakt vermieden werden muss, bietet das Internet die einzige Möglichkeit, sich auszutauschen. In sozialen Netzwerken kursieren Videos von singenden Menschen auf Balkonen in Italien und auch ich erlebe in Madrid meinen ersten Flashmob: Als ich am Samstagabend vom Lärm aufgeschreckt nach draußen trete, stehen die Menschen in meiner Straße auf ihren Balkonen und klatschen. Der Applaus ist den Ärzten und Pflegern in den Krankenhäusern gewidmet. Eine schöne Geste, ein Gefühl von Gemeinschaft steigt in mir auf. Als die Stadt wieder verstummt, steige ich zurück in meine Wohnung, in mein Boot. Wie gerne würde ich jetzt von Bord gehen und einen kleinen Landgang durch die umliegenden Straßen machen! Schnell verwerfe ich den Gedanken wieder. Damit die Eindämmung gelingen kann, ist die Eigenverantwortung jedes Einzelnen essenziell. Ich spreche mir selbst Mut zu und denke an den weit verbreiteten, italienischen Hashtag #tutto andra bene - alles wird gut.

 

Rahel Zibner ist Projektassistentin für Spanien, Italien und Portugal im Stiftungsbüro in Madrid