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Assads Werk und Moskaus Beitrag

Welche Perspektiven gibt es für Syrien im achten Jahr des Bürgerkriegs?
Zerstörung

Das Land ist zerstört - und trotzdem geht das Leben, wie hier in Douma, weiter

© FNF

Am 24. und 25. April fand in Brüssel die zweite Konferenz zur Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region statt. Wo steht das Land im achten Jahr des Syrienkrieges? Welche Perspektiven gibt es für das Land? 350.000 Tote, über 5 Millionen Syrer im Ausland auf der Flucht und fortlaufende Kriegsverbrechen sprechen eine deutliche Sprache. Welche Möglichkeiten haben Deutschland und die EU? Und welche Rolle spielen dabei Russland und der Iran?

Der Giftgasangriff in Ost-Ghouta in der Nacht zum 8. April überschritt erneut eine, nicht nur durch den französischen Präsidenten definierte “rote Linie”. Donald Trump kündigte daraufhin einen Raketenschlag an und führte ihn – zusammen mit den NATO-Partnern Großbritannien und Frankreich – schließlich auch durch. Über die Wirkung braucht man sich im achten Jahr des Syrienkrieges zwar keine große Hoffnung zu machen. Das eigentliche, ursprüngliche Ziel – ein Syrien ohne Bashar al-Assad – ist seit langem begraben. Dass dies so ist, ist die offensichtliche Folge einer schwachen, uneinigen und militärisch nicht handlungsfähigen internationalen Gemeinschaft. Obwohl inzwischen am Krieg in Syrien zahlreiche Staaten beteiligt sind, kämpft jeder für seine eigenen politischen Interessen und niemand für die Interessen der Zivilbevölkerung. Auch die Brüsseler Konferenz, deren Ziel die Mobilisierung von humanitärer Hilfe für Syrien und die Nachbarländer ist, wird daran nicht wirklich etwas ändern. Insgesamt sind in der Region bereits 13 Millionen Syrerinnen und Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen, für die Ressourcen, aber auch politische Unterstützer gewonnen werden sollen. Dafür werden 85 Länder und Organisationen hochrangige Vertreter auf Ministerebene entsenden. Doch der Konflikt in Syrien rückt auch durch diese Konferenz einem Ende nicht näher. Die Gründe dafür liegen bei den Akteuren und ihren jeweiligen Zielen.

Assads Verbündete – Iran und Russland

Iran will Syrien als Teil des schiitischen Einflussgebietes erhalten und eine Landbrücke über einen abhängigen Irak bis zum Libanon unter Dominanz der schiitischen Hisbollah einrichten. Heute betreibt Iran drei große Militärstützpunkte in der Nähe von Aleppo und Damaskus sowie sieben kleinere Stützpunkte in Frontnähe. Diese neue Präsenz iranischer Truppen alarmiert wiederum Israel, welches die Entstehung einer zweiten Miliz nach dem Vorbild der Hisbollah befürchtet und dementsprechend präventiv reagiert. So hat die israelische Luftwaffe bereits über hundert Angriffe gegen Ziele in Syrien durchgeführt, zuletzt in der Nacht zum 9. April. Angegriffen wurden Versorgungslieferungen an die Hisbollah, Waffenfabriken und Stellungen Im der iranischen Armee.

Seit Russland im Jahr 2015 aktiv in den Syrien-Konflikt eingriff, konnte es sich wieder als Akteur im Nahen Osten etablieren, und zwar bis hin zur Einrichtung von Militärbasen und dem Ausbau der Militäreinrichtungen in Tartus. Allein dafür ist in Syrien ein Regime notwendig, das einen maßgeblichen politischen Einfluss Russlands, bis hin zur Stationierung militärischer Einheiten, zulässt und unterstützt. Geht es um Syrien, führt kein Weg an Russland vorbei. Allerdings steckt das Land jetzt in einem teuren Militäreinsatz fest, den es ohne weitreichende Konsequenzen nicht mehr verlassen kann und der die schwache Wirtschaft des Landes belastet. Die kriegserprobten russischen Waffen verkaufen sich gut, alleine 2017 wurden neue Waffenexportverträge mit einem geschätzten Umfang von 15 Mrd. Dollar abgeschlossen – so lautet jedenfalls die offizielle Darstellung der russischen Staatsmedien. Russische Todesopfer und die Gesamtkosten des Einsatzes werden hier jedoch verschwiegen. Den Verkaufszahlen stehen auch die syrischen Opfer des Einsatzes gegenüber: Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden inzwischen 7700 Zivilisten allein durch russische Luftangriffe getötet, davon 1842 Kinder.

Infografik

Syriens Zukunft

Solange Iran und Russland ihren vielschichtigen Einfluss in Syrien aufrechterhalten und Assad an der Macht halten, wird es kein demokratisches oder freies Syrien geben. Aber auch wenn Assad abgesetzt wird, muss eine Alternative gefunden werden. Zu Beginn des Krieges gab es einen Entwurf der Opposition, eine solche Alternative in einem mehrjährigen Prozess mit der Beteiligung des syrischen Volkes zu finden, in dessen Verlauf eine neue Verfassung verabschiedet und auf deren Grundlage dann eine Regierung gewählt werden sollte. Inzwischen ist nicht mehr viel von der Opposition übrig, und Iran, Russland und die Türkei haben großes Interesse daran, dass Syrien autoritär und somit unkompliziert zu beeinflussen bleibt. Das hat der Verlauf des bisherigen „Astana-Prozesses“ gezeigt. Doch auch die Friedensverhandlungen unter der Leitung des UN-Sondervermittlers de Mistura in Genf sind bislang weitgehend erfolglos. Die Opposition wäre zu Verhandlungen bereit, aber die Regierungsdelegation lehnt direkte Gespräche mit der Gegenseite ab.

Deutsche und europäische Optionen für ein Ende des Schreckens

Deutschland hat bislang jede Form einer aktiven militärischen Beteiligung ausgeschlossen. Berlins internationaler Einfluss nimmt seit Jahren kontinuierlich zu und könnte sich am 8. Juni 2018 noch einmal wesentlich vergrößern. Dann nämlich entscheidet sich, ob Deutschlands Bewerbung um einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erfolgreich ist. Was Syrien betrifft, ist dieser allerdings seit Kriegsbeginn gespalten und durch die russischen Vetos paralysiert.

Die internationale Gemeinschaft hat an der Stabilisierung der Region ein großes gemeinsames Interesse, auch um neuen internationalen Terrorismus zu verhindern. Ein Wiederaufbau der wichtigsten Infrastrukturen in Syrien, wie Schulen und Krankenhäuser, würde allerdings immer nicht nur die Situation der Bevölkerung, sondern auch die Regierung stabilisieren. Im kleinen Rahmen können Projekte der Zivilgesellschaft unterstützt werden, solange die Regierung dies nicht verhindert. Für die wichtigsten Bedürfnisse wären zuverlässige NROs geeignete Partner, um sicherzustellen, dass Maßnahmen wirksam sind und alle Syrer erreichen.

Darüber hinaus ist Russlands Rolle in diesem Konflikt unmissverständlich zu benennen, damit eine spätere Verantwortung auch den Verursachern abverlangt werden kann. Es sollte im Interesse der Staaten sein, all die grausamen Ereignisse aufzuklären und die Schuldigen dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Eine international abgestimmte Position von militärischer Entschlossenheit, diplomatischem Geschick, des gezielten Einsatzes von Sanktionen, konkreten Unterstützungsvorhaben der syrischen Zivilgesellschaft und eines umfassenden Boykotts der Fußball-WM würden das richtige Signal an Syriens Unterstützer senden. Ein Signal, das nicht zu überhören und – weitaus wichtiger – nicht zu übergehen ist. Erst wenn sich das militärische Blatt wendet, rückt der Mantra-artig vorgetragene Wunsch nach einer diplomatischen Lösung in Sicht.

Dirk Kunze leitet das Stiftungsbüro Libanon und Syrien in Beirut.

Johannes Mieth ist zurzeit Praktikant im Projektbüro Beirut.