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„Wir müssen lernen, nüchterner mit Trump umzugehen“

Christoph von Marschall im Interview über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegel, berichtet in dieser Rolle seit vielen Jahren aus Washington und hat direkten Zugang zum Weißen Haus. Zur Zeit arbeitet er als erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen. 

Im Rahmen einer Stiftungsveranstaltung in Stuttgart haben wir mit Christoph von Marschall darüber gesprochen, was die Präsidentschaft Donald Trumps für die transatlantischen Beziehungen bedeutet.

Herr von Marschall, wie lautet Ihr Fazit nach einem Jahr Trump? Wie würden Sie seine bisherige Präsidentschaft charakterisieren und bewerten?

Donald Trump ist eine richtige Herausforderung für uns. Wir kennen diesen Stil nicht und wir haben immer noch nicht – auch nach einem Jahr nicht– gelernt, wie man damit umgeht. Es ist eine ständige Abwechslung von neuen Aufregungen und über die ernsten Themen wird viel zu wenig gesprochen. Wenn ich das an zwei Beispielen illustrieren darf: Wir reden sofort darüber, wenn Trump angeblich das Wort „shithole countries“ benutzt für Länder, die nicht so wahnsinnig viel Erfolg haben und deswegen sehr viele Flüchtlinge oder Migranten produzieren, aber wir unterhalten uns nicht ernsthaft darüber, was z.B. die amerikanische Steuerreform für Deutschland bedeutet, für Investitionsströme, für Arbeitsplätze hier bei uns. Das ist ein Missverhältnis. Wir müssen, glaube ich, lernen, nüchterner mit Trump umzugehen, nicht jede Aufregung mitzumachen und einen strategischen Kurs entwickeln, wie man mit ihm umgeht.

Sie leben aktuell wieder in Washington und haben so Einblicke in das politische Klima auf beiden Seiten des Atlantiks. Wo sehen Sie Unterschiede in der Bewertung Trumps in Deutschland und Europa im Gegensatz zu den USA?

Die USA sind politisch gespalten. Es gibt eine Anhängerschaft von Trump – diese ist auch ziemlich unbeeindruckt von den (angeblich) berechtigten Kritiken an ihm, ob das nun die Verbindungen nach Russland sind, ob es die Frage ist, wie viel er eigentlich durchgesetzt hat – oder auch nicht durchgesetzt hat. Da ist Amerika gespalten. Der Teil, der zu Trump hält, ist kleiner als der Teil, der nicht von ihm überzeugt ist. Aber der Teil, der ihn unterstützt, ist nach wie vor sehr stabil und das dürfen wir nicht unterschätzen. Man darf auch nicht unterschätzen, dass die Steuerreform vermutlich doch gewisse positive Produkte für ihn ergeben wird – in dem Sinne, dass die Menschen zufrieden sind, da unterm Strich etwas mehr auf der Gehaltsabrechnung stehen bleibt und vielleicht gibt es ja wirklich auch einen kleinen konjunkturellen Aufschwung, der die Jobs sicherer macht. Das muss man alles sehen – dass nicht alles, was Trump macht und uns kritikwürdig erscheint, am Ende auch kritikwürdig von den Amerikanern gesehen wird. In Deutschland haben wir eigentlich eine ziemlich einhellige Ablehnung seines politischen Kurses quer durch die verschiedenen Lager. Ich denke aber, dass diese Reaktion, dass wir uns entweder über ihn lustig machen oder ihn kritisieren, nicht ausreicht. Wir müssen eine konstruktive, praktische Politik entwickeln, wie wir mit diesem Amerika umgehen und das können wir nicht alleine, sondern das müssen wir in Europa machen. Wenn ich mit anderen Europäern spreche, fällt doch schon auf, dass dort die Wahrnehmung anders ist, sei es in Frankreich oder in Polen, und dass wir besonders emotional und pikiert reagieren, also stärker emotional und weniger analytisch und realpolitisch mit Trump umgehen als andere europäische Staaten.

Von außen und aus Deutschland betrachtet fallen besonders Donald Trumps spezieller Umgang mit den Medien und seine Rolle als „Twitter-Präsident“ auf. Welche Auswirkungen hat das für den Umgang der Medien mit und die Berichterstattung über ihn – und was bedeutet es für den politischen Betrieb?

Donald Trump gilt als Twitter-Präsident, aber wir sollten auch nicht auf jedes Etikett hereinfallen. Ich habe nun gesehen, wie Donald Trump mit Twitter umgeht und wie seine Anhänger damit umgehen und ein Großteil seiner Anhänger hat überhaupt nicht diese elektronischen Geräte, mit denen man Tweets empfängt. Ich halte das für eine Lüge, dass es Donald Trump gelungen ist, mit Twitter die traditionellen Medien zu umgehen und direkt mit seinen Wählern und Unterstützern zu kommunizieren. Ich glaube, dass er sehr wohl die traditionellen Medien braucht. Die traditionellen Medien halten sich zu sehr damit auf, ihn immer wieder zu widerlegen und nachzuweisen, dass er etwas faktisch Falsches gesagt hat. Aber das ist auf Dauer keine Antwort, wie man ihn politisch bekämpft oder ihm politisch etwas entgegensetzt. Dafür muss man auch konstruktive eigene Ideen haben, es genügt nicht nur zu sagen „Das stimmt ja nicht so ganz, was Trump gerade wieder gesagt hat“.

Welche Auswirkungen wird die Präsidentschaft Trumps Ihrer Ansicht nach mittel- und langfristig auf die deutschen Beziehungen haben? Wie sollten sich Deutschland und die EU positionieren?

Ich glaube, dass diese Trump-Präsidentschaft – und das ist keine angenehme Botschaft – länger wirkt auf das deutsch-amerikanische Verhältnis und auf das Verhältnis zwischen den USA und Europa als wir uns im Moment vorstellen können. Trump ist keine Ausnahmeerscheinung, er bleibt - in ganz vielen Dingen. Andere Politiker werden sich abschauen, mit welchen Methoden er Erfolg hat. Er wird auch nicht so schnell durch ein Impeachment fallen. Es mag manche beunruhigen, aber es ist sogar möglich, dass er für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wird. Insofern bleibt Trump auf vielen Ebenen, sein Politikstil bleibt, wir werden nicht - nachdem Trump nicht mehr Präsident ist - in die alten Verhältnisse zurückkehren, sondern es wird eine bleibende Veränderung sein, dass es mehr Populismus geben wird, dass es nicht mehr so viel Bereitschaft Amerikas geben wird, für das europäisch-amerikanische Verhältnis, das transatlantische Verhältnis, einzustehen. Und das bedeutet unter dem Strich, dass wir hier in Europa selbstständiger werden und uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir unsere Interessen verteidigen, wenn unsere Weltordnung – Freihandel, Gegenprotektionismus, offene Märkte – nicht mehr von Amerika automatisch verteidigt wird. Wir werden erwachsener werden müssen. Diese Aufgabe ist in Deutschland noch nicht gelöst und es gibt auch noch keinen europäischen Konsens, wie das aussehen könnte. Da sind wir noch alle am Arbeiten und am Suchen und ich hoffe nur, dass wir schnell bei dieser Suche fündig werden und zu gemeinsamen Positionen finden.