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Veranstaltung
Was der moderne Liberalismus mit dem 20. Juli 1944 zu tun hat

Buchpremiere von Karl Schenk Graf von Stauffenberg
Die Gesprächsrunde im Berliner Bendlerblock (v. l. n. r.): Moderatorin Kirsten von Hardenberg, Professor Karl-Heinz Paqué, Karl Graf Stauffenberg, Armin Fuhrer, Konstantin Kuhle MdB, Professor Johannes Tuchel
Die Gesprächsrunde im Berliner Bendlerblock (v. l. n. r.): Moderatorin Kirsten von Hardenberg, Professor Karl-Heinz Paqué, Karl Graf Stauffenberg, Armin Fuhrer, Konstantin Kuhle MdB, Professor Johannes Tuchel © Photothek

In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock, dem Zentrum des Umsturzversuchs gegen das nationalsozialistische Regime vom 20. Juli 1944, stellte Karl Graf Stauffenberg, der Enkel des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, sein soeben erschienenes Buch vor, in dem er erklärt, welche Bedeutung die Tat seines Großvaters für seine eigenen Überzeugungen und für sein eigenes Handeln heute hat.

Der Einsatz für die Demokratie, für die Verfassung und den Rechtsstaat ist ein ureigenes liberales Anliegen. Moderner Liberalismus stellt sich gegen jeden Versuch von Menschen und gesellschaftlichen Gruppen, andere Menschen und Gruppen zu dominieren und eine nicht demokratisch legitimierte Herrschaft über sie auszuüben. Es mag nur auf den ersten Blick überraschen, dass für dieses urliberale Prinzip des Handelns aus Verantwortung für sich selbst und für das Gemeinwesen gerade auch ein Mann steht, der in die deutsche Geschichte eingegangen ist als derjenige, der Adolf Hitler beseitigen wollte: Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

„Nichts wichtiger ist als der Wert der Freiheit – Grundprinzip eines liberalen Weltbildes“

Das neue Buch des Stauffenberg-Enkels, Karl Schenk Graf von Stauffenberg, das unter dem Titel "Aus Verantwortung. Was der moderne Liberalismus mit dem 20. Juli 1944 zu tun hat" erscheint, feierte auf Einladung der Stiftung für die Freiheit, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und des Lau-Verlags in Berlin eine feierliche Premiere. Vor allem – diese Aussage ist Stauffenberg besonders wichtig – zeige die Tat seines Großvaters, dass nichts wichtiger ist als der Wert der Freiheit – Grundprinzip eines liberalen Weltbildes. In dem Buch, in Interviewform gefasst, erklärt er im Dialog mit dem Berliner Journalisten, Historiker und Buchautor Armin Fuhrer, wie er sich eine moderne liberale Gesellschaft vorstellt, und gibt Einblicke in seine politischen Überzeugungen, vor allem zu den für ihn persönlich wichtigen Themen wie den Rechtsstaat, die Bildungs- oder Klimapolitik.

Die beiden Co-Autoren Karl Graf Stauffenberg (links) und Armin Fuhrer (rechts)
Die beiden Co-Autoren Karl Graf Stauffenberg (links) und Armin Fuhrer (rechts) © Photothek

„Es gab keinen Personenkult in unserer Familie“

Den Anstoß zur Veröffentlichung des Buches habe ein Interview gegeben, das der Journalist Armin Fuhrer mit ihm geführt habe, berichtete Karl Graf von Stauffenberg. So ist ein Band entstanden, der in Gesprächsform faszinierende Einblicke bietet in die historische wie persönliche Bedeutung der Figur Claus Schenk von Stauffenbergs und darin, wie die Familie mit der Prominenz des Großvaters umgegangen ist. „Wir haben uns nicht regelmäßig einmal in der Woche vor dem Schrein meines Großvaters getroffen und seiner gedacht, wenn ich es einmal etwas überspitzt formulieren darf. Er wurde in unserer Familie nicht als Held oder eine besondere Persönlichkeit behandelt, sondern als Ehemann, Vater und Großvater. Es gab keinen Personenkult in unserer Familie“, sagte Stauffenberg im Rahmen einer Lesung aus dem Buch, mit der die Podiumsdiskussion im Bendlerblock begann.

Konstantin Kuhle MdB, innenpolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag
Konstantin Kuhle MdB, innenpolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag © Photothek

Einsatz für den Rechtsstaat ist eine Inspiration für die Politik

Ob unsere Gesellschaft heute noch Vorbilder braucht: Das war eine der Leitfragen des Abends. Konstantin Kuhle MdB, innenpolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag und Mitglied des Ausschusses für Inneres und Heimat, äußerte seinen tiefen Respekt gegenüber den Widerstandskämpfern. Gerade wenn diese ausgehend von einem vielfach noch durch monarchistische und autoritäre Tendenzen geprägten Staatsverständnis eine 180-Grad-Wende geschafft hätten zur Verteidigung eines demokratischen Rechtsstaates, dann könne die Politik daraus eine ungeheure Inspiration ziehen. Gerade für ihn als liberalen Politiker sei Stauffenberg daher natürlich ein Vorbild.

: Professor Dr. Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Professor Dr. Karl-Heinz Paqué, Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit © Photothek

Das Netzwerk des Widerstandes war tief verwurzelt

75 Jahre nach dem 20. Juli 1944 sei es an der Zeit, das Gedenken an den deutschen Widerstand auf neue Beine zu stellen, so Professor Dr. Karl-Heinz Paqué, der Vorsitzende des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung, bei seinem Grußwort. Zu diesem Zweck hat die Stiftung für die Freiheit um den 20. Juli herum eine ganze Veranstaltungsreihe organisiert zu verschiedensten Persönlichkeiten des Widerstandes. Dies zeige, so Paqué, wie umfassend und tief in der Bevölkerung verwurzelt das Netzwerk des Widerstandes gewesen sei.

Professor Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock
Professor Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock © Photothek

Kein liberales System ohne Rechtsstaat

Dem pflichtete auch Professor Johannes Tuchel bei, der Leiter der gastgebenden Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Die Widerstandsbewegung habe nicht nur Offiziere umfasst, sondern auch Persönlichkeiten  der Zivilbevölkerung. Er erinnerte daran, dass gerade die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in diesem Sommer in einer eigenen Veranstaltung in Berlin auch des Juristen und Politikers Eduard Hamm gedacht hat, dem konsequentesten liberalen Vertreter des Widerstandes. Ohne die Wiedereinführung des Rechtsstaates wäre ein liberales System, wie wir es heute genießen, nicht möglich gewesen, so Tuchel.

„Es geht um Menschen, nicht um Helden“

Natürlich sei es eine Heldentat, sein Leben im Kampf gegen den Unrechtsstaat zu opfern, betonte Karl-Heinz Paqué. Aber: Auch diejenigen, die sich im Widerstand einsetzten, seien nicht frei von Irrtümern gewesen. So habe etwa der Offizier Henning von Tresckow zunächst noch für die Nationalsozialisten geworben, bevor er ab Mitte der 30er Jahre um so entsetzter über die Verhältnisse im 3. Reich war und schließlich eine zentrale Figur des militärischen Widerstandes um Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurde.

Gräfin Kirsten von Hardenberg
Die Gesprächsrunde, geleitet von der Moderatorin Gräfin Kirsten von Hardenberg, lieferte den Beweis, dass eine Diskussion zum Thema deutscher Widerstand nicht immer bierernst geführt werden muss. © Photothek

Die Gesprächsrunde, die von Kirsten Gräfin von Hardenberg souverän und kenntnisreich geleitet wurde, bot unterschiedliche Perspektiven und analytisch tief gehende Sichtweisen auf eine Thematik, die gerade heute, in Zeiten, in denen der Rechtsstaat durch extremistische Kräfte von rechts und links unter Beschuss steht, von besonderer Bedeutung ist.