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„Mit seinem Charakter hätte man ein dickes Buch füllen können“

Christoph Steegmans über Guido Westerwelle

Christoph Steegmans arbeitete viele Jahre mit Guido Westerwelle zusammen, als sein Pressesprecher in der Parteizentrale und der Bundestagsfraktion von 1999 bis 2009 und danach bis 2011 als stellvertretender Regierungssprecher. In einem persönlichen Gespräch in seinem Büro des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teilte uns Steegmans seine individuellen Eindrücke von Guido Westerwelle mit und welche Erfahrungen er durch ihn über die mediale Welt machen konnte.

Man merkt Steegmans an, dass er sich gerne an die gemeinsame Zeit der Zusammenarbeit mit Guido Westerwelle und seinen anderen Kollegen zurückerinnert. Doch spricht man ihn auf die mediale Wirkung Westerwelles an, wirkt er nachdenklich. Man müsse sich einen Menschen wie ein Buch vorstellen, meint er. Die Medien zeigten oft nur ein einziges Kapitel aus Guido Westerwelles Persönlichkeit, das des druckreifen Redners. Für den Rest der Persönlichkeit interessierten sich nur  wenige. Viele Menschen hätten deshalb oft einen falschen Eindruck von ihm gehabt.

„Mit seinem Charakter hätte man ein dickes Buch füllen können, doch die Medien machten nur ein einziges Kapitel davon publik“

„Er war alles andere als ein geschniegelter Anzugträger aus besserem Hause. Für alles, was er in seinem Leben erreicht hat, musste er hart arbeiten. Er musste sich von der Realschule aufs Gymnasium kämpfen, musste früh selbständig werden, weil der Vater die vier Brüder alleine großzog. In seiner Kindheit und Jugend  stecken viele prägende Dinge, die die mediale Öffentlichkeit nicht über ihn wusste oder nicht wissen wollte, weil das Klischee besser in die Parteipolitik passte als die Tatsachen dahinter.“

Steegmans sieht die Oberflächlichkeit, mit der die breite Gesellschaft bekannte Persönlichkeiten oft betrachte, kritisch. Man mache es sich als Zuschauer hierbei manchmal selbst zu einfach. Oft sei es leider so, dass diejenigen, die auf der großen Bühne  provokant und laut erschienen, im Privaten dafür umso sensibler und herzlicher seien, während diejenigen, die vor Publikum sympathisch wirkten, sich in einem Vieraugengespräch oft als arrogant und abgehoben herausstellten.

„Wenn Guido Westerwelle zu jemandem sagte „Schön dich zu sehen“, dann war das keine Floskel, sondern seine wahre Empfindung. Seine Menschenfreude und sein rheinischer Optimismus waren täglich sichtbar und spürbar, aber sie wurden leider von vielen professionellen Beobachtern des politischen Betriebes leichtfertig missachtet und erst sehr spät als elementarer Ausdruck seines positiven Charakters anerkannt.“

„Wir waren ein perfekt eingespieltes Team“

Als Chef sei Guido Westerwelle jemand gewesen, der seine Mitarbeiter gleichermaßen führte wie respektierte. Seine Aufträge seien stets sehr klar und fordernd gewesen, aber dabei habe er seinen Mitarbeitern auch immer viel Spielraum gelassen für eigene Ideen. „Das Besondere an ihm war, dass er sofort erkannte, welcher seiner Mitarbeiter welche Stärken hatte. Er ermutigte uns dann, uns an neue Herausforderungen und Projekte heranzuwagen. Er traute einem oft mehr zu, als man sich selbst. Und letztendlich behielt er mit seinen Einschätzungen fast immer Recht.“

Man könne sich die Arbeit in einem politischen Büro ähnlich vorstellen wie in einer Küche, so Steegmans. „Einer hat das perfekte Rezept zur Hand, der andere weiß, wo man die besten Zutaten findet, wieder ein anderer, wie man sie gut zubereitet und der letzte wie man alles zusammen attraktiv anrichtet. Er hatte ein Händchen, das zu dirigieren.“ Westerwelle hätte stets gewusst, wer aus seinem Stab die prägnanteste Schlagzeile, den griffigsten Satz produzieren könne und wer eher für die inhaltliche Grund- und Feinarbeiten gemacht war, auf die dann die rhetorischen Spitzen aufgesetzt wurden.

„Wir waren ein eingespieltes Team und sind füreinander durchs Feuer gegangen, alle gegenseitig. Selbst in kritischen Momenten verlor Guido nie die Form - wenn er mit der Arbeit eines Mitarbeiters einmal nicht zufrieden war, dann formulierte er das positiv und ermutigend: „Das können Sie noch besser.“ Und so wurde das Ergebnis oft genug auch tatsächlich noch einmal besser.“

„Westerwelle war ein leidenschaftlicher Kämpfer für ein starkes Europa. Er stütze seine Außenpolitik auf das Motto: Wandel durch Handel“

Ebenso klar wie sein Führungsstil sei die Art und Weise gewesen, wie er Politik betrieb. Ein Europa, innerhalb dessen Deutschland zu allen seinen Nachbarn ein tiefes Vertrauensverhältnis habe und pflege, sei einer der außenpolitischen Pfeiler seines Ministeramtes gewesen. „Die vermeintlich kleineren Länder nach vorne zu stellen war ihm wichtig. Deswegen ging sein erster Besuch nach Amtsantritt als Außenminister auch nach Polen und nicht nach Frankreich, wie das in der Vergangenheit so oft üblich war.“

Westerwelle habe früh erkannt, wie wichtig die Einbindung der osteuropäischen Länder in die europäischen Entscheidungsprozesse  sei, um zu verhindern, dass sich dieser Teil Europas einen eigenen Weg suche. Westerwelle sah Deutschlands Stärke vor allem in der Gesprächsfähigkeit zu möglichst vielen Staaten und Gruppen. Er trat deshalb mit besonderer Verve für eine Außenpolitik der militärischen Deeskalation ein, so Steegmans. „Er wollte an die Politik des Wandels durch Handel anknüpfen, die einen wichtigen Anteil hatte an der Entspannungspolitik der Siebziger Jahre. Er wollte etwas anstoßen in der Welt, gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, was er nach 2013 dann im Kleinen in seiner eigenen Stiftung verwirklichte.“

Der Begriff ‚Mittelstand‘ sei in vielerlei Hinsicht noch ein zu großes Wort für die Wirtschaft von Ländern wie Tunesien oder Ruanda. Aber auch im Kleinen könnten dort gute Entwicklungen in Gang gebracht werden. Das essentielle Wertegerüst, auf dem seine Stiftung aufbaue, lautet Demokratiestärkung, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und Toleranz. Egal, an welcher dieser vier Stellschrauben man drehe, eine bestärkt automatisch die anderen drei.

„Verbessert sich die Wirtschaft durch Innovationen und Kreativität, dann begünstigt das die Attraktivität rechtsstaatlicher Mechanismen. Das wiederum festigt  den Trend zur Demokratie Und je sich ein Land wirtschaftlich, rechtsstaatlich und demokratisch entwickelt, desto mehr Toleranz kann parallel heranwachsen. Es ist eine Wechselwirkung von Freiheitsdividenden, die Guido Westerwelle früh erkannt hat und auf die sich seine gesamte Stiftungsarbeit stützt.“

Bei unserer letzten Frage nach drei konkreten Adjektiven, die Guido Westerwelle beschrieben, hielt Steegmans längere Zeit inne und entschied sich letztlich für „ehrlich“, „anspruchsvoll“ und „optimistisch“. Doch wahrscheinlich ist es einfach unmöglich, den Charakter einer Politikgröße auf nur drei Worte zu reduzieren.