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Guatemala kommt nicht zur Ruhe

Erneute Staatskrise nach gescheiterter Ausweisung von UN-Ermittler
Jimmy Morales
"Weder Korruption, noch Diebstahl" - so warb Präsident Morales noch 2015 © CC BY-NC-ND 2.0 Flickr.com/ Prachatai

Rund zwei Jahre nach dem korruptionsbedingten Rücktritt von Guatemalas damaligem Präsidenten Otto Pérez Molina befindet sich das Land erneut in einer handfesten Krise. Präsident Jimmy Morales ordnete die Ausreise von Iván Velázquez an, der als Leiter der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) Ermittlungen gegen dessen Partei FNC wegen illegaler Wahlkampffinanzierung führt. Das Verfassungsgericht hat die Ausweisung zwischenzeitlich gestoppt.

Die UN-Kommission CICIG war vor 10 Jahren mit dem Ziel gegründet worden, illegale Tätigkeiten von bestimmten Organisationen und Gruppen im Lande zu beenden, deren Straftaten zuvor nicht verfolgt worden waren. Iván Velázquez hat bereits mehr Ermittlungen und Prozesse als seine beiden Vorgänger in die Wege geleitet und so einen hohen Grad an gesellschaftlicher Anerkennung erhalten. Besonders bekannt wurde er durch die strafrechtliche Verfolgung von Ex-Präsident Otto Pérez Molina und der Vizepräsidentin Roxana Baldetti aufgrund eines breit angelegten Korruptionsregimes. Beide sitzen in Haft, nachdem Hunderttausende im Sommer 2015 ihren Rücktritt gefordert hatten, als sich die Korruptionsvorwürfe erhärteten.

Unerwünschte Ermittlungen

In den vergangenen Jahren hat die Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der Kommission gegen die Straffreiheit weitere Korruptionsfälle ans Licht gebracht, in die verschiedene Regierungseinrichtungen einbezogen waren, wie beispielsweise die Steueraufsichts- und Zollbehörde, die Sozialversicherungskasse und das Kommunikationsministerium. Auch gegen den Bruder von Präsident Jimmy Morales und seinen Sohn wurde ein Verfahren wegen Betruges eingeleitet.

Die aktuelle Affäre begann am 25. August in New York. Dort traf der guatemaltekische Präsident Jimmy Morales mit dem UN-Generalsekretär António Guterres zusammen. Später wurde bekannt, dass Morales in dem Gespräch bereits Beschwerde gegen die aus seiner Sicht unerwünschten Aktivitäten von Iván Velásquez eingelegt hatte. Noch während des Aufenthalts des Präsidenten in New York präsentierten die Staatsanwaltschaft und die Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala-Stadt Ermittlungen gegen die Partei von Jimmy Morales, die FNC (Frente de Convergenica Nacional). Morales soll es während seines Wahlkampfs 2015 versäumt haben, Kampagnenmittel in Höhe von 900.000 US-Dollar rechtmässig deklariert zu haben. Wer hinter den Zahlungen stecken soll, ist unklar.

Plaza de la Constitución
Der Plaza de la Constitución in Gutatemala-Stadt © CC BY 2.0 Flickr.com/ Josué Goge

Am 27. August verkündete Morales infolgedessen, dass sich kein Gericht in Guatemala in seine Entscheidungen über Internationale Politik einmischen könne, erklärte Iván Velásquez zur „Persona non grata“ und forderte dessen Ausweisung aus Guatemala. Diese Forderung führte im Land zu einer Spaltung der öffentlichen Meinung, da sich verschiedene politische Gruppen auf Seiten des Präsidenten und andere auf Seiten des Leiters der Kommission stellten.

Unterschiedliche Sichtweisen

Während die CICIG-Unterstützer zu Recht konstatieren, dass ohne die unabhängig agierende Kommission die Aufdeckung illegaler Beziehungen zwischen der Politik, der Wirtschaftselite und der Unterwelt niemals in Gang gekommen wäre, sehen Kritiker die Aufgabe der Souveränität Guatemalas mit Sorge und werfen der CICIG vor, eine eigene politische Agenda zu betreiben. So werde einigen Ermittlungen  Vorrang geboten, während andere, wie beispielsweise die Ermittlung gegen die rechtswidrige Übernahme von Grund und Boden, zurückgestellt würden. Das bedeutete z.B., dass es keinen wirksamen Eigentumsschutz gäbe und viele Fälle von widerrechtlicher Aneignung straffrei geblieben seien. Einige unterstellen Velásquez deshalb eine „linksgerichtete“ Agenda und glauben, dass er das Land zum Sozialismus führen wolle und Direktinvestitionen verhindere. Ein eher abwegiger Vorwurf.

Ein Problem ist aber in der Tat, dass sich in der öffentlichen Verwaltung ein Gefühl der Unsicherheit breit gemacht hat und kaum noch einer bereit ist, Projekte voranzubringen und Verträge zu unterzeichnen. Die Angst vor einer auch nur versehentlichen, möglichen Verstrickung in unrechtmäßige Vorgänge und CICIG-Ermittlungen ist groß.

Wenige Stunden nach der Forderung nach Ausweisung von Iván Velásquez, gewährte  das Verfassungsgericht einer Klage der NGO „Justicia Ya“ („Gerechtigkeit jetzt“) Geltung und verhinderte die sofortige Ausweisung von Velásquez. Die öffentlichen Institutionen reagieren wieder gespalten: Einige bedauern die Forderung des Präsidenten, andere sehen sie wiederum als notwendig. Viele Beobachter sind sich aber einig, dass die Herausforderungen in Guatemala systemischer Natur sind und mit erneuten Rücktrittsforderungen an Morales nichts gewonnen ist. Guatemala braucht ein Mindestmaß an Kontinuität, aber weiterhin auch die CICIG um sich zu einem funktionierenden Rechtsstaat weiterzuentwickeln.

Verónica Spross ist Associate Researcher am Centro de Investigaciones Económicas Nacionales in Guatemala.

David Henneberger ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Zentralamerika.

Übersetzung aus dem Spanischen: Vera Grieb, FNF

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David Vincent Henneberger
David Vincent Henneberger
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