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Ein Leben in Ausgrenzung

Transgender im modernen Indien
Transgender Indien
Es ist ein weiter Weg bis zu gesellschaftlicher und politischer Anerkennung von Transgender-Personen in Indien. © CC BY 3.0 wikimedia.org/ Biswarup Ganguly

Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Transgender-Personen in Indien, die unter anderem Hijras, Trtiyaparkriti, Napumsaka, Aravanis, Jogtas oder Kothis genannt werden, weist ein erstaunlich breites Spektrum auf und reicht von großer Verehrung bis starker Ausgrenzung. In früheren Zeiten noch als Glücks- und Fruchtbarkeitssymbole verehrt, sind sie heute überwiegend dazu gezwungen ein Dasein am Rande der indischen Gesellschaft zu fristen. Auch die Erfolge der juristischen Anerkennung des „dritten Geschlechts“ in den vergangenen Jahren konnten hieran bislang nichts ändern.

Dabei spielten Transgender noch unter den Mogulen (16. & 17. Jahrhundert) eine wichtige Rolle und wurden durch die Herrscher bevorzugt behandelt. Sie hielten wichtige Verwaltungsposten, da sie nicht nur als besonders intelligent, sondern auch außerordentlich loyal galten. Bekannt ist das „Dritte Geschlecht“, das im Islam Khawaja Sara genannt wird, bereits aus den historischen indischen Texten wie den Vedas oder dem KamaSutra. Erst mit dem zunehmenden Einfluss der britischen Kolonialherrscher und dem damit verbundenen Import europäischer Moralvorstellungen im 18. Jahrhundert, kam es zu einer gesellschaftlichen Ächtung der Transgender. Im späten 19. Jahrhundert wurde schließlich durch Abschnitt 377 des indischen Strafgesetzbuches „körperlicher Verkehr wider die Natur“ unter Strafe gestellt. Damit war fortan jeglicher Anal- und Oralsex sowohl zwischen hetero- als auch homosexuellen Menschen verboten. Diese Regelung wurde auch nach Indiens Unabhängigkeit beibehalten.

Verbale, physische und sexuelle Gewalt

Heute ist das Leben der meisten Transgender von gesellschaftlicher, kultureller, ökonomischer und politischer Ausgrenzung geprägt. Besonders häufig kommt es dabei zu Gewalt und Diskriminierungen durch Polizeikräfte, die sich offenbar durch Abschnitt 377 des Strafgesetzes oder andere Gesetze und Verordnungen zur öffentlichen Ordnung hierzu ermächtigt sehen.

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Genaue Daten zu Transgendern, die die Missstände deutlich gemacht hätten, wurden lange nicht erhoben. Der indische Zensus, die wichtigste statistische Grundlage des Landes, erfasste diese Personengruppe die ersten 64 Jahre seiner Erhebung nicht. Die erste separate Erhebung im Jahr 2011 machte dann vor allem das extrem niedrige Bildungsniveau innerhalb dieser Gruppe sichtbar: Nur 46 Prozent der Transgender sind alphabetisiert (gesamtgesellschaftliche Rate: 74 Prozent). Aber auch besser gebildete sind verbaler, physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt. Auch die Beschäftigungsrate unter den Transgendern Indiens liegt weit unter dem Durchschnitt. Lange konnten sie sich zumindest als Glücksbringer zu Geburtsfeiern männlicher Kinder und auf Hochzeiten ein Zubrot verdienen. Aber auch dies wird zunehmend gesellschaftlich geächtet und viele Transgender sind so zu anderen niedrigen Arbeiten, Betteln oder Sexarbeit gezwungen. Ein weitverbreiteter Drogenkonsum und eine hohe Prävalenz für HIV mit 7,5 Prozent sind die Folge. Ein mangelnder Zugang zum Gesundheitssystem verschlimmert die Situation.

Aber auch im familiären Bereich kommt es zu Ausgrenzung. Viele Transgender sind deshalb gezwungen ihre Familien zu verlassen, werden enterbt und leben fortan als Mittellose in abgeschotteten Gemeinschaften, so genannten Deras. Eine hohe Selbstmordrate dieser Bevölkerungsgruppe dokumentiert diese schlimmen Verhältnisse.

Kampf vor den Gerichten

Der Kampf um die Rechte der Transgender wird aber seit vielen Jahren nicht ohne Erfolg vor den Gerichten Indiens ausgetragen. Im Jahr 2009 urteilte der Gerichtshof von Neu-Delhi im Verfahren Naz Foundation vs Government of Delhi, dass eine Kriminalisierung der Homosexualität, wie sie sich aus Abschnitt 377 des Strafgesetzes ergebe, gegen die indische Verfassung verstößt. Der Supreme Court, der oberste Gerichtshof Indiens, folgte dieser Entscheidung im Jahr 2013 allerdings nicht (Suresh Koushal vs. Naz Foundation). Die negativen Auswirkungen des Abschnitts 377 des Strafgesetzes beträfen nur einen vernachlässigbar kleinen Teil der Bevölkerung. Im Jahr 2014 urteilte der Supreme Court dann aber, dass die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit jedermann das Recht verleihe, seine Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen (National Legal Services Authority (NALSA) vs. Union of India ). Alle öffentlichen Behörden wurden damit dazu verpflichtet, rechtlich nicht nur das männliche und weibliche sondern auch das dritte Geschlecht anzuerkennen.

In Reaktion auf dieses Urteil forderten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivisten eine Neubewertung des 2013er Urteils im Verfahren Suresh Koushal vs. Naz Foundation des Supreme Courts und des Abschnitts 377 des Strafgesetzbuches. Im Februar 2016 wurde die Angelegenheit dann schließlich an die fünfköpfige Verfassungsrechtskammer (constitutional bench) übergeben, da hier grundlegende verfassungsrechtliche Fragen berührt sind. Die Konstituierung dieser Kammer zog sich sodann aber sehr lange hin. Erst im Herbst 2017 kam es nun endlich zu einer Befassung mit der Sache.

Unabhängig hiervon traf der oberste Gerichtshof Indiens am 25. August 2017 eine weitere Grundsatzentscheidung, in der festgestellt wurde, dass das Recht auf Privatsphäre ein essentieller Bestandteil der Verfassung ist. Dabei wurde ausdrücklich die 2013er Koshual Entscheidung kritisiert und klargestellt, dass Homosexuelle und Transgender die gleichen Rechte wie alle Bürger haben – unabhängig von ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung.

Ein weiter Weg

Konnte die Gleichstellungen von Transgendern auf Grundlage dieser Urteile in verwaltungstechnischer Hinsicht vorangetrieben werden, so fehlt auf politischer Ebene doch weiterhin die Unterstützung der Regierung. Zwar hat der oberste Gerichtshof Indiens der Regierung vor allem durch das NALSA Urteil von 2014 klare Vorgaben und eine Umsetzungsfrist von sechs Monaten gegeben. Die Umsetzung wird aber seither verschleppt. Gesetzesentwürfe der Opposition werden blockiert. Der eigene Gegenentwurf der Regierung von 2016 (Transgender Persons (Protection of Rights) Bill, 2016) wird von zivilgesellschaftlichen Organisationen als unzureichend kritisiert.

Es ist also noch ein weiter Weg bis Transgender gesellschaftlich wieder besser gestellt sind. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit setzt sich hierfür ein und hat mit dem Centre for Law and Policy Research (CLPR) dazu den ersten Hochschulkurs für Rechte von Transgendern entwickelt. Im August 2017 wurde dieser zum ersten Mal an der renommierten Bangalore Law School gelesen. Darüber hinaus führt das CLPR seit kurzem auch jeden Mittwoch eine kostenlose Rechtsberatung in Bangalore durch. Insgesamt sind durchaus auch Anzeichen für eine bessere gesellschaftliche Akzeptanz der Transgender in Indien zu verzeichnen. So wurde etwa im August 2017 zum ersten Mal ein Schönheitswettbewerb für Transgender durchgeführt, den ein Ehepaar aus Neu-Delhi mit seinen Lebensersparnissen finanzierte.