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Russland
Ein Klima der Angst

Ein Großteil der Verbrechen gegen Journalisten bleibt in Russland unaufgeklärt
Demonstrantin
Klare Forderung einer russischen Demonstrantin: "Beenden Sie die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten" © CC BY 2.0 flickr.com/ Yuri Timofeyev

In Russland zeichnet sich bei der strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite sinkt die Anzahl der Morde, auch wird über Gewalttaten gegen Journalisten berichtet und formell auch Ermittlungen aufgenommen. Auf der anderen Seite bleibt ein Großteil der Morde unaufgeklärt und es kommt fast täglich zu Mord- und Gewaltaufrufen gegen Medienschaffende.

Wie ist es aktuell um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten im Land bestellt?

Bei der Durchsetzung des staatlichen Rechts zur strafrechtlichen Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten sind in Russland widersprüchliche Entwicklungen zu verzeichnen. Auf der einen Seite sind zwar die Morde an Journalisten insgesamt seit 2005 gesunken; auf der anderen Seite geraten aber auch immer mehr Medien unter staatliche Kontrolle und auf die übriggebliebenen unabhängigen und kritischen Journalisten wächst Druck durch Verleumdung bis zur Hetze in den staatlich kontrollierten Medien. Dieses ambivalente Bild spiegelt sich auch in der Berichterstattung wider: Es wird zwar weiterhin über Verbrechen gegenüber Journalisten berichtet, jedoch viel zu oft der konkrete Fall zum Einzelfall erklärt. Formal nimmt die Justiz Untersuchungen auf, aber der Großteil der Morde an Journalisten bleibt weiter unaufgeklärt.

Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?

Nachdem das Committee to Protect Journalists seit 2013 keine Morde an Journalisten in Russland verzeichnen musste, hat sich die Lage im Jahr 2017 leider verschlechtert. Im März ist der 73-jährige, investigative Journalist Nikolaj Andruschenko, Mitgründer der Wochenzeitung „Neues Petersburg“, von Unbekannten so schwer zusammengeschlagen worden, dass er nach schwerem Hirntrauma und Koma im April seinen Wunden erlag. Im Mai war Dmitri Popkow, Chefredakteur der unabhängigen Lokalzeitung „Ton-M“, in der Stadt Minusinsk im Krasnojarsker Gebiet von Sibirien, durch fünf Pistolenschüssen ermordet, aufgefunden worden.

Inwieweit wirkt sich die Straflosigkeit auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Land aus?

Die beiden unaufgeklärten Morde im Jahr 2017 stehen leider in einem größeren Zusammenhang. Attacken auf kritische, insbesondere investigative Journalisten häufen sich in den letzten Jahren. Allein in diesem Jahr hat die bekannte Kolumnisten der Nowaja Gaseta, Julia Latynina, nach wiederholten, bislang unaufgeklärten Todesdrohungen und Anschlägen im Juli das Land verlassen. Die Radio-Journalistin des unabhängigen Senders Echo Moskwy, Tatjana Felgenhauer, hat einen Mordanschlag vorletzte Woche in Moskau nur mit Glück überlebt. Auch wenn der Täter im letzten Fall ein Einzeltäter zu sein scheint, wird in Fernsehsendungen im staatsnahen Fernsehen immer wieder gegen kritische Journalisten gehetzt - unter dem Vorwurf ausländische Interessen zu vertreten. Auch Felgenhauer wurde genauso wie das Journalistenprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in einer solchen Sendung gezeigt. In diesem Klima verlassen viele Journalisten das Land oder versuchen sich durch Selbstzensur vor Schlimmeren zu bewahren.

 

Politkovskaja

Gedenken an die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja - bei der Aufklärung des Falls sind bis heute viele Fragen offen

© CC0 commons.wikimedia.org/ John Martens

Wird die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten in der öffentlichen Debatte thematisiert? Gibt es konkrete Fälle, die in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind?

Bislang werden Anschläge auf und die Morde an Journalisten noch in den meisten Medien thematisiert. Staatsnahe Medien versuchen dabei jedoch oft zu betonen, dass es sich um Einzelfälle handelt oder es irgendwelche privaten Ursachen für die unaufgeklärten Morde geben könnte. Wir erinnern uns, dass die ersten Berichte am bis heute nicht abschließend aufgeklärten Mord am ehemaligen Vizepremierminister Boris Nemzow am 27. Februar 2015 zuerst eine Eifersuchtsgeschichte ersponnen hatten. Kritische Medien mit weit weniger Reichweite und Sozialmedien thematisieren das Thema und die konkreten Fälle aber weiterhin.

Welche Organisationen setzen sich im Land gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten ein? Inwieweit unterstützt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diese Bemühungen?

Es gibt eine Anzahl von Organisationen, die sich in Russland gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten einsetzen. Reporter ohne Grenzen wurde bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Stiftung zur heutigen Lage unabhängiger Journalisten in den russischen Regionen bereits Opfer aggressiver Propaganda. Auch andere internationale NGOs wie das Committee to Protect Journalists, das Institute for War and Peace Reporting oder Human Rights Watch helfen dabei, das Thema nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die wichtigste Arbeit leisten aber mutige Journalisten und alle, die bedrohten Journalisten direkt dabei helfen, in Sicherheit zu gelangen.

Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Stiftungsbüros in Moskau.