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Internationale Politik
Zypern – Russlands Außenposten im Mittelmeer?

Nikos Christodoulidis, Staatspräsident der Republik Zypern.

Nikos Christodoulidis, Staatspräsident der Republik Zypern.

© picture alliance / AA | Costas Baltas

Limassolgrad – eine russische Stadt am Mittelmeer

Wer an der Hafenpromenade der zypriotischen Küstenstadt Limassol flaniert, kann schnell verwirrt sein und eher denken, in Sotchi unterwegs zu sein. Es gibt an jeder Ecke russische Bars, Restaurants, Juweliere, Boutiquen, Schulen, Zeitungen und Radiostationen. Es gibt Immobilienmakler, Anwaltskanzleien und Steuerberater, die ausschließlich russische Kunden betreuen. Selbst eine politische Partei gibt es, die sich primär die Interessen der Russen in Zypern auf die Fahnen geschrieben hat. In Linienbussen, die von den heimischen Russen wahrscheinlich selten genutzt werden, wird die nächste Station zunächst auf Russisch angesagt. Die russische Präsenz ist derart stark, dass die Stadt auch unter dem Namen Limassolgrad bekannt ist - knapp 50.000 der insgesamt 240.000 Einwohner der Stadt stammen aus Russland.

Bei den Einheimischen sind die Russen beliebt – nicht zuletzt aufgrund ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft. Der Tourismus macht ungefähr 30 % der staatlichen Einnahmen aus, und russische Urlauber sind seit Jahren nach den Engländern die größte Besuchergruppe, geben aber pro Kopf weit mehr Geld aus als die Gäste aus dem Königreich. Zwischen Larnaca und Moskau gab es lange Zeit mehrere Flüge am Tag. Auch kulturell gibt es über den gemeinsamen orthodoxen Glauben eine Nähe zwischen den Zyprioten und den Russen.

Russen genossen das Wetter und die niedrigen Steuern

Bis zum 24. Februar des vergangenen Jahres konnten die Russen auch weitgehend sorgenfrei das mediterrane Klima, die niedrigen Steuern sowie die hohen Zinsen in der Inselrepublik genießen – reiche Russen und russische Unternehmen hatten vor allem in den vergangenen zehn Jahren die Insel als Steuerparadies und Schwarzgeldbunker für sich entdeckt. Viele dieser angeblichen Investoren leiteten ihre Einnahmen wegen der günstigen Besteuerung über die Insel. In Zypern, das nur über 800.000 Einwohner zählt, gibt es knapp 300.000 GmbHs, die meisten davon Briefkastenfirmen. Auch wenn zypriotische Behörden in den vergangenen Jahren stärker gegen Geldwäsche vorgingen, weisen die Maßnahmen laut einem Bericht des Moneyval-Überwachungsausschusses des Europarats vom Dezember 2019 immer noch „verschiedene große Mängel“ auf. Der Bericht stellte fest, dass die Behörden "die Geldwäsche von außerhalb Zyperns erzielten kriminellen Erträgen, die die größte Bedrohung für das zyprische Finanzsystem darstellen, noch nicht ausreichend verfolgen".

Eine Vielzahl der zahlkräftigen Russen, darunter auch solche mit engen Beziehungen zum Kreml, konnten im Rahmen des Golden-Passport-Programms die zypriotische und somit die EU-Staatsbürgerschaft annehmen, wenn sie eine Immobilie für schlappe zwei Mio. USD erwarben. Das Geschäft mit der Staatsbürgerschaft boomte selbst als die EU 2014 Sanktionen gegen Moskau aufgrund der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim verhängte. Die Praxis wurde erst 2020 eingestellt, nachdem kriminelle Machenschaften und Korruption bei der Vergabe aufgedeckt worden waren – bis dahin war es ein lukratives Geschäft für das Land, mehr als 8 Milliarden USD konnten dadurch in die Kassen fließen.

Anastasiades bemüht sich um russische Unterstützung

Vor allem in der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Anastasiades (Februar 2013-Februar 2023) wurden die Beziehungen zwischen Nikosia und Moskau stark ausgebaut – der finanzielle Zusammenbruch Zyperns im Jahr 2012/13 hatte den damals frisch gewählten Anastasiades verzweifelt nach Wegen suchen lassen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Und er fand diesen in Moskau – Russland gewährte dem krisengeschüttelten Land ein Darlehen in Höhe von 2,5 Milliarden USD zu einem unter dem Marktniveau liegenden Zinssatz. Anastasiades bedankte sich demonstrativ für das Darlehen, indem er 2015 an der Parade anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges der Roten Armee über Nazi-Deutschland teilnahm – die übrigen Staats- und Regierungschefs der EU hatten die Veranstaltung aufgrund der Annexion der Krim im Jahr davor boykottiert. Auch wenn Anastasiades die russische Invasion 2014 „auf das Allerschärfste“ verurteilte, bemühte er sich während seiner gesamten Amtszeit in EU-Kreisen stets darum, die Sanktionen gegen Russland aufzulockern. So äußerte er sich im Februar 2015 zu Russlands angeblicher Aufrichtigkeit bei der Lösung der Ukraine-Krise und der Einhaltung des Minsker Abkommens.

Auch geopolitisch spielte Zypern eine wichtige Rolle für Russland, vor allem seit Russland seinen Einfluss im Mittelmeerraum, insbesondere in Syrien und Libyen, ausweiten möchte. Im Jahr 2015 unterzeichnete Zypern eine Vereinbarung, die es russischen Marineschiffen erlaubte, ihre Häfen anzulaufen. Damit hatte Anastasiades Russlands ewigen Wunsch nach einem Stützpunkt in warmen Gewässern erfüllt. Über den Stützpunkt in Zypern gelangte Russland über den Suez-Kanal schneller an die Energieressourcen in Afrika. Die Vereinbarung zwischen Nikosia und Moskau war von Anbeginn ein Dorn im Auge der USA. Auch die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer spielten selbstverständlich eine große Rolle in der geopolitischen Bewertung Zyperns – Russland war natürlich daran interessiert, ein Stück vom Gas-Kuchen abzubekommen.

Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine brachte Zypern jedoch in Bedrängnis. Die Inselrepublik, die seit 2004 EU-Mitglied ist, zeigte sich zunächst zögerlich, was die Sanktionen gegen Russland betrifft. Die zurückhaltende Politik Nikosias in Sachen Sanktionen fußte neben Wirtschaftsdaten auch auf gesellschaftlichen Faktoren: In einer EU-weiten Umfrage war Zypern das einzige Land der Union, indem eine absolute Mehrheit der Meinung war, dass Russland nicht in erster Linie für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht werden solle. 

EU-Sanktionen – Der neue Präsident greift stärker durch

Doch seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Christodoulides im März weht für die Russen in Zypern eindeutig ein wesentlich rauerer Wind. Er machte von Anfang klar, dass er die Sanktionspolitik der EU in all ihrer Dimension auch auf Zypern durchsetzen werde. Eine neue Einheit soll in Zusammenarbeit mit Großbritannien und den USA die Umsetzung der Sanktionen verfolgen. Schließlich gehe es um „die Glaubwürdigkeit des Landes“, die gewahrt werden müsse, so der Regierungssprecher. In nur wenigen Wochen wurden mehr als 120.000 verdächtige Bankkonten gesperrt, mehr als 40.000 Briefkastenfirmen geschlossen sowie knapp 100 Mio. EUR an russischen Bankeinlagen eingefroren.

Die Regierung Christodoulides geht auch gegen eigene Bürger vor, denen vorgeworfen wird, russischen Oligarchen, darunter auch Roman Abramowitsch, bei der Abwicklung ihrer dunklen Geschäfte geholfen zu haben. Zuvor waren 13 zypriotische Bürger von Großbritannien und den USA auf Sanktionslisten gesetzt worden. Zahlreiche Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften stehen nun im Visier der Ermittlungen. In den vergangenen Wochen sollen sich Hunderte von Firmen beeilt haben, sich von sanktionierten Russen zu distanzieren, während Medien berichten, dass russische Unternehmer begonnen haben, im abtrünnigen, türkisch kontrollierten Norden der Insel Zuflucht vor möglichen Beschränkungen zu suchen.

Die enge Verwicklung der zypriotischen Wirtschaft mit Russland wird mit Sicherheit nicht über Nacht verschwinden – doch die neue Führung in Nikosia scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Und die reichen Russen werden sich einen neuen sicheren Hafen für ihr Geld suchen müssen und vielleicht finden sie ihn schon „um die Ecke“ auf der anderen Seite der Grünen Linie.