Norddeutscher Rundfunk
Medium ohne Meinungsfreiheit
Das Logo des Norddeutschen Rundfunks (NDR).
© picture alliance/dpa | Marcus BrandtWas in dieser Woche im NDR passierte, ist ein Skandal. Die Journalistin Julia Ruhs hatte eine eigene Sendung - Titel: "Klar". Sie dauerte 45 Minuten, wurde vom Bayerischen Rundfunk (BR) und dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) ausgestrahlt, war im Stil von "klassischen" Reportagen gestaltet und griff kontroverse Themen auf, die eher den wertkonservativeren Teil unserer Gesellschaft beschäftigen, einschließlich Migration. Unterschiedliche Meinungen kamen zu Wort. Das Publikum mochte die Sendung, der Zuspruch war groß.
Jetzt gibt es die Sendung nur noch im BR, nicht mehr im NDR. Der Grund: Sie wurde dort von der Chefredaktion abgesetzt, wohl als Ergebnis von massiven Protesten und Beschimpfungen gegen Julia Ruhs im Haus des NDR selbst und extern. Jan Böhmermann vom ZDF bezeichnete Ruhs' Magazin als "rechtspopulistischen Quatsch", Anja Reschke in der ARD als "ein bisschen rechtsextrem". Im NDR gab es offenbar massiven Widerstand von den vielen politisch links orientierten Kolleginnen und Kollegen gegen Julia Ruhs.
Der Vorgang ist eine Ungeheuerlichkeit. Er zeigt dreierlei: Erstens dominiert in den Redaktionshäusern des NDR, eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), die linke Gesinnungsethik, nicht die journalistische Analysequalität. Zweitens hat die dortige zuständige Chefredaktion keinerlei Rückgrat, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Und drittens gibt es dafür noch kraftvollen Applaus von prominenten ÖRR-Kolleginnen und Kollegen aus ZDF und ARD, Böhmermann und Reschke lassen grüßen.
Man fragt sich da wirklich: In welchem Land der monolithischen Meinungen leben wir? Der ÖRR wird über (Zwangs-)Gebühren finanziert und ist gesetzlich zur "Ausgewogenheit" verpflichtet. Über die Details dessen, was Ausgewogenheit heute heißt, lässt sich streiten, aber klar ist: Bei Wahlen erhält die politische Linke im Land - maximal weit definiert - etwa ein Drittel der Stimmen, im Höchstfall 40 Prozent. Und da soll es kein einziges Reportagemagazin im NDR geben, das einen eher liberal-konservativen Anstrich hat? Da ist offenbar ein neuer ethischer Tiefstand der "Cancel Culture" erreicht.
So darf das nicht weitergehen. Jedes privatfinanzierte Medium kann machen, was es für richtig hält. Und die Redaktionen und die journalistischen Ergebnisse können ausfallen, wie es die zuständigen Gremien der privaten Medien entscheiden: SPIEGEL und STERN eher nach links orientiert genauso wie die Süddeutsche Zeitung oder DIE ZEIT, die Springer-Presse eher liberal-konservativ so wie die Neue Zürcher Zeitung oder Cicero, und - gemäßigter - die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Aber im ÖRR muss dies anders sein. Dort gilt die Verpflichtung des Gesetzgebers und der von ihm besetzten ÖRR-Aufsichtsgremien zur Ausgewogenheit. Und genau hier gibt es offenbar ein gewaltiges Versagen.
Wohlgemerkt: Ein wenig "Linksdrall" gab es im ÖRR eigentlich immer. Der 68-jährige Verfasser dieser Zeilen kann sich noch an seine westdeutsche Jugendzeit in den sechziger und siebziger Jahren erinnern, als die ARD mit den meisten ihrer Rundfunkanstalten zu Recht als eher links galten. Dies liegt wohl an der Natur des Metiers, das offenbar eher Menschen mit "linken" politischen Meinungen anzieht - ähnlich wie Angehörige des Militärs zumeist eher "rechts" stehen. Aber die heutige Einseitigkeit im ÖRR geht weit darüber hinaus. Sie ist selbst Ergebnis der Polarisierung der Gesellschaft und der Intoleranz, die gegenüber Andersdenkenden in den Redaktionsstuben herrscht.
Da muss sich etwas ändern. Wenn dies nicht geschieht, wird der ÖRR in einer freien Gesellschaft keine Zukunft haben. Oder die Gesellschaft selbst wird ihre Freiheit einbüßen - mit einem "Staatsrundfunk", der nur ausstrahlt, was aus Sicht seiner paternalistischen Redakteure gut ist für die Meinungsbildung des Volkes. Das Motto des großen liberalen Herausgebers Rudolf Augstein war: "Sagen, was ist." Über das, "was ist", lässt sich natürlich streiten, und zwar auch durch die Brille vorgefasster politischer Orientierungen von rechts, aus der Mitte oder von links. Gerade deshalb braucht es Vielfalt in den privaten Medien; und wo die Vielfalt wie im ÖRR naturgemäß fehlt, braucht es wenigstens die Ausgewogenheit der Meinungen. Sie ist derzeit nicht nur geschwächt, sondern fast schon zerstört. Es besteht dringend Handlungsbedarf.