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Sozialdemokratischer Zickzackkurs

[caption id="attachment_15721" align="alignnone" width="3584"] Parlament in Vilnius. Source: flickr.com/EuroVizion_CC BY 2.0[/caption] Die litauischen Sozialdemokraten haben beschlossen, das vom Bund der Bauern und Grünen geführte Regierungsbündnis aufzukündigen. Das Resultat ist eine Minderheitsregierung. Von den drei sozialdemokratischen Ministern hat allerdings Außenminister Linas Linkevičius seine  Partei verlassen, um in der Regierung zu bleiben. Auch Justizministerin Milda Vainiute folgte dem Koalitionsbruch ihrer Partei nicht und wird ihr Amt behalten. Der erste Test für Litauens neue Minderheitsregierung wird schon Anfang Dezember sein, wenn über den Haushaltsentwurf 2018 abgestimmt wird.   Der Versuch der Sozialdemokraten, sich in der Regierung durchzusetzen, war nicht so erfolgreich, wie sie es sich gewünscht hätten. Nach zehn Monaten an der Macht entschloss sich der Juniorpartner der Mitte-Links-Koalition, seinen stärkeren Partner – den Bund der Bauern und Grünen Litauens (LVŽS) – zu verlassen. Für die Sozialdemokraten war es von Anfang an nicht leicht gewesen, sich an die Rolle des Juniorpartners zu gewöhnen. Der Aufstieg des Bunds der Bauern und Grünen bei den Wahlen 2016 war recht unerwartet. Die kleine Traditionspartei mit Wurzeln in der Zwischenkriegszeit hatte sich unter ihrem Vorsitzenden, dem Agrargroßunternehmer Ramūnas Karbauskis, zu einer zentristischen, aber zugleich auch professionell arbeitenden populistischen Partei entwickelt, die mit protektionistischen Versprechen und einem Gemisch von Wertkonservatismus und Ökologie unerwartet viele Wähler in den ländlichen Gebieten für sich gewinnen konnte. Bei der Wahl legte die Partei um 17% zu, während die Sozialdemokraten dramatisch verloren.   Kein erfolgreiches Bündnis Das Bündnis zwischen dem Bund der Bauern und Grünen und den einst starken Sozialdemokraten kam bereits zwei Wochen nach der Wahl zustande. Seither befanden sich die Sozialdemokraten in den Umfragen im Abwärtstrend. Die Partnerschaft war von einer Erfolgsgeschichte weit entfernt. Während der letzten Monate kam es zu Spannungen in der Regierungskoalition und die LVŽS beschwerte sich oft über die mangelnde Ünterstutzung ihres Koalitionspartners LSDP. Die LSDP hingegen warf dem Bund der Bauern und Grünen vor, ihre Vorschläge ignoriert zu haben. Es war keineswegs verwunderlich, dass die Sozialdemokraten sehr dünnhäutig darauf reagierten, dass sie bei Regierungsentscheidungen zuletzt mehrfach vom Bund der Bauern und Grünen übergangen wurden. Die Sozialdemokraten fühlten sich von ihrem Koalitionspartner in vielen Bereichen marginalisiert – von der Erhöhung des Alkoholerwerbsalters (und anderer fast an die Prohibition erinnernden Maßnahmen) bis hin zu den Subventionen für Zentralheizungsanlagen. Die Subventionen waren ein Thema, das während der letzten Jahre recht emotional diskutiert wurde. Die Entscheidung, das Alkoholerwerbsalter vom 18. auf das 20. Lebensjahr zu erhöhen, war ebenfalls ziemlich kontrovers und schadete dem Image der Regierung in der Öffentlichkeit. Dies ging auch zulasten der Sozialdemokraten, die sich nun Sorgen um ihre Zukunft machen müssen. Was das Fass zum Überlaufen brachte, war jedoch die Entscheidung des litauischen Premierministers Saulis Skvernelis Ende September: Er setze eine Reform der staatlichen Forstunternehmen gegen den Willen der Sozialdemokraten und mit Unterstützung der Opposition durch. Es war weniger das Thema an sich als vielmehr der ruppige Umgang mit dem Koalitionspartner, was den Sozialdemokraten sauer aufstieß.   Ins Rampenlicht getreten Die Zeit war gekommen, die Notbremse zu ziehen. Die Sozialdemokraten beraumten prompt eine Abstimmung über den Verbleib in der Regierungskoalition ein. Auf einer Sitzung des Parteirats votierten 140 der 195 stimmberechtigten Mitglieder für die Aufkündigung des Regierungsbündnisses, woraufhin die Parteispitze mit großem Selbstvertrauen den Austritt ankündigte. Die Loyalität einiger führender Mitglieder zu diesem Beschluss hielt sich allerdings in Grenzen. Die Sozialdemokraten hatten glatt übersehen, dass die Mehrheit der 55 Parteimitglieder, die für einen Verbleib in der Koalition votierten, Parlaments- oder Regierungsmitglieder waren, die ergo die Letztentscheidung zu fällen hatten. Die Überraschung bei den Sozialdemokraten war daher groß, als einige ihrer Abgeordneten ankündigten, den Koalitionsbruch nicht mitzutragen und zwei Minister lieber ihre Posten behielten.   Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Nur zwei Tage nach dieser Abstimmung hielten die Parlamentsabgeordneten von der LSDP eine zusätzliche, interne Abstimmung ab. Überraschenderweise stimmten zehn der 15 Abgeordeten für einen Verbleib in der Koalition und bezeichneten die Entscheidung für den Austritt als „voreilig“. Die Ethikkommision der Sozialdemokraten schlug daraufhin den Rauswurf dieser zehn Abgeordneten aus der Partei vor. Über ihre Zukunft wird am 14. Oktober entschieden. Vorerst unterstützt die Fraktion aber noch die Minderheitsregierung des Bundes der Bauern und Grünen. Sie stellt sich damit auf die Seite der zwei (von insgesamt drei) sozialdemokratischen Ministern, die in der Regierung bleiben wollen. Für die Sozialdemokraten könnte dieser Zickzackkurs fatale Folgen haben. Die regierende Partei LVŽS steht hingegen vor der nicht ganz so schwierigen Herausforderung, nur einen Ministerposten neu besetzen zu müssen. Die Frage, ob diese neue, ziemlich wackelige Konstellation tatsächlich funktionieren wird, sollte schell beantwortet werden: Bereits im Dezember muss über den Haushaltsentwurf 2018 abgestimmt werden, was eine erste Belastungsprobe für die neue Minderheitsregierung darstellen dürfte.     Und was ist mit den Liberalen? Bei den Wahlen 2016 hatten die Liberalen in Litauen an Stimmen und Sitzen zugelegt, nachdem sie 2012 wegen einiger Korruptionsaffären vom Wähler abgestraft worden waren. Trotz der Konsolidierung schafft die derzeitige Regierungskrise keine neuen Optionen für die Liberale Bewegung. Sie wird zurzeit schlichtweg nicht als Regierungspartner gebraucht. Auch ihre Beliebtheit bei den Bürgern ist in den Umfragen vom 6.8% auf 5.7% gesunken. Anfang Oktober kündigten sie ihre Koalition mit den Konservativen in Vilnius auf, was ebenfalls zur Verschlechterung ihrer Lage führte. Der Weg der Liberalen zum Erfolg wird noch eine Zeit lang holprig sein. Immerhin bietet die Oppositionsarbeit angesichts des Bildes, das die Regierung derzeit abgibt, auch viele neue Chancen.       Adéla Klečková ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten.