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Brennpunkt: Ungarn

Der liberale Kandidat Zoltan Kesz hat in Ungarn die Regierungspartei FIDESZ von Ministerpräsident Viktor Orban um ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament gebracht. Unser Ungarnexperte Dr. Borek Severa skizziert die Ursachen und Auswirkungen. Nachwahl in Ungarn: Liberaler bringt Orban um Zweidrittelmehrheit Kesz, Gründer und Direktor des liberalen Think-Tanks und FNF-Partners Free Market Foundation, siegte am 22. Februar bei einer Nachwahl in der westungarischen Stadt Veszprem mit 43 Prozent der Stimmen und damit einem überraschend deutlichen Vorsprung vor dem FIDESZ-Kandidaten Lajos Nemedi, der auf 34 Prozent kam. „Die Wähler in Veszprem haben die Erwartungen des ganzen Landes erfüllt und die Zweidrittel-Herrschaft von FIDESZ beendet“, sagte in einer ersten Reaktion der parteilose Kesz, der von liberalen und linken Oppositionsparteien unterstützt wurde. Die Wahlbeteiligung war mit 50 Prozent relativ hoch, weil die Opposition den Urnengang als entscheidende Schlacht bezeichnet hatte, um FIDESZ die Zweidrittelmehrheit zu entziehen. Zoltan Kesz zählt zu den führenden Akteuren im von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit initiierten liberalen Netzwerk 4Liberty.eu und hat in den letzten Jahren bei vielen Veranstaltungen der FNF, des European Liberal Forums und der IAF in Gummersbach aktiv mitgewirkt. Der 41-Jährige tritt konsequent für die freie Marktwirtschaft ohne Staatsdirigismus, einen liberalen Rechtsstaat und ein starkes Europa ein, wofür er im Wahlkampf mehrfach angegriffen wurde. Auch die umstrittene Annäherung Orbans an Russland wird von Kesz scharf kritisiert, wurde der ungarische Volksaufstand 1956 doch mit sowjetischen Panzern niedergewälzt. [caption id="attachment_6860" align="alignleft" width="161"] Dr. Borek Severa[/caption] Da die Oppositionsparteien in Ungarn nach wie vor wenig Vertrauen bei den Bürgern genießen, hat diese Nachwahl vor allem eines deutlich gemacht: Glaubwürdige Kandidaten aus dem Zivilsektor sind durchaus in der Lage, die Macht von FIDESZ aufzubrechen. Neben der Free Market Foundation hatte sich in der Wahlkampagne vor allem ein weiterer Partner der FNF – das Republikon Institut – engagiert, der über eine starke Position in den Online-Medien und den sozialen Netzwerken verfügt. Für die Projektarbeit der FNF in Ungarn stellt dieses Wahlergebnis einen wichtigen Meilenstein und zugleich eine Herausforderung dar. Die Nachwahl in Veszprem war erforderlich geworden, weil der bisherige Mandatsträger Tibor Navracsics als EU-Kommissar nach Brüssel gewechselt war. Bei den Parlamentswahlen im April 2014 hatte Navracsics das dortige Direktmandat noch mit einem 20-prozentigen Vorsprung gewonnen. Mit ihrer zu Verfassungsänderungen berechtigenden Zweidrittelmehrheit hat die seit 2010 regierende nationalkonservative Partei FIDESZ von Ministerpräsident Orban eine neue Verfassung verabschiedet und zahlreiche wichtige Gesetze - darunter das Mediengesetz und die Wahlgesetze - geändert, um ihre Alleinherrschaft weiter ausbauen zu können. Der als autoritär kritisierte Führungsstil von Orban rief in den letzten Monaten allerdings zunehmend Bürgerproteste hervor, die sich gegen Amtsmissbrauch, Günstlingswirtschaft, Korruption und Sozialabbau richten. Zu den Organisatoren einer Demonstration in seiner Heimatstadt Veszprem, bei der mehr als 500 Bürger ihren Unmut über Orban geäußert hatten, gehörte im Herbst vergangenen Jahres auch der nunmehrige neue Parlamentsabgeordnete Zoltan Kesz. Selbst unter den Wählern von FIDESZ kämpft die Orban-Partei mittlerweile mit Sympathieverlusten. Den letzten Umfragen zufolge büßte FIDESZ innerhalb eines Monats (Oktober/November 2014) in der Wählergunst zwölf Prozent ein. Einen derart massiven Popularitätsverlust in einem Monat hat seit der politischen Wende in Ungarn keine einzige Partei erfahren müssen. Dr. Borek Severa ist Projektleiter der FNF für Mitteleuropa. Photo credits: https://www.flickr.com/photos/pedrosz/, FNF-Europe