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Kein Notar der Regierung

Polens Präsident zeigt Eigenwillen - aber zu welchem Zweck?
Andrzej Duda
Polens Präsident emanzipiert sich. © CC BY-NC-ND 2.0 flickr.com Senat RP

Eigentlich schien alles so zu laufen, wie Parteichef Jarosław Kaczyński es vorhatte. Polens Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS, dt.: Recht und Gerechtigkeit) war dabei, fast reibungslos wichtige demokratische Institutionen und die Gewaltenteilung auszuhebeln, um ihr nationalpopulistisches Programm durchzusetzen. Aber seit neuestem ist ein wenig Sand ins Getriebe gekommen. Der von der PiS-Partei installierte Präsident Andrzej Duda zeigt seit einiger Zeit einen politischen Eigenwillen und nutzt seine Kompetenzen aus, um die Regierung zu bremsen. Was er damit bezweckt, ist aber letztlich noch unklar. Die neue Parlamentssaison wird jedenfalls spannend.

Ihren Wahlsieg verdankte die PiS 2015 zu einem nicht geringen Anteil der Tatsache, dass sie zuvor zwei relativ unbekannte Gesichter in den Vordergrund stellte. Da war zum einen die Spitzenkandidatin und heutige Regierungschefin Beata Szydło und zum anderen der Präsidentschaftskandidat Andrzej Duda, dessen Wahl den Grundstein für den Wahlerfolg der Partei bei den Parlamentswahlen legte. Beide wurden als gemäßigte Kräfte verkauft, die wenig mit dem nationalkonservativen Programm der „alten Garde“ um Kaczyński zu tun hatten. Die Taktik ging auf. Auch viele moderat eingestellte Bürger in den Städten verhalfen nun der Partei zum Sieg. Danach kam das Erwachen. Alle beide schwenkten nach der Wahl loyal auf die von Kaczyński vorgegebene Linie ein – bis vor Kurzem.  

Während Szydło immer noch wie eine „Handpuppe“ Kaczyńskis agiert, hat Präsident Duda in letzter Zeit erstaunliche Anzeichen von Eigenwillen an den Tag gelegt. Auch er wurde zunächst als bloßer „Notar“ der Regierung belächelt, der alles abzeichnete, was ihm die Regierung vorsetzt. Das scheint nun vorbei zu sein.

Der Präsident stellt sich quer

Es begann mit einem Donnerschlag als Ende Juli der Präsident zwei von drei Stufen der großen Justizreform per Veto blockierte, mit der die Regierung die Nominierung von Richtern unter ihre Kontrolle bringen und die Justiz „gefügig“ machen wollte. Duda stand auf einmal, sehr zum Ärger Kaczyńskis, als teilweiser Retter der Gewaltenteilung da.

Schon im August legte sich Duda mit Verteidigungsminister Antoni Macierewicz an, der gerade eine Welle von recht ideologisch motivierten Neubenennungen von Generälen in der Armee durchzuführen begann. Immerhin sei er, der Präsident, Oberkommandierender der Armee, konterte Duda und blockierte die Ernennungen erst einmal.

Andrzej Duda
Die Polen stehen mehrheitlich hinter ihrem Präsidenten. © CC BY 2.0 flickr.com Dariusz Matecki

Auch bei anderen Debatten schlägt er seit einiger Zeit deutlich versöhnlichere Töne an. Obwohl er sich nicht direkt gegen die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland seitens etlicher Regierungsmitglieder und regierungsnaher Abgeordneter stellte, lenkte er mäßigend ein und betonte, es handle sich lediglich um „eine Diskussion“.

Das neue Selbstbewusstsein des Präsidenten ist für viele Beobachter schwer einzuordnen – am allermeisten bei Kaczyński und der PiS. Kaczyński musste kürzlich, so die große Tageszeitung „Rzeczpospolita“, sogar „seinen Stolz runterschlucken“ und bei Duda ein klärendes Gespräch im Präsidentenpalast ersuchen. Man weiß nicht viel über das Ergebnis, aber nichts deutet darauf hin, dass der Präsident gewillt ist, seine Kompetenzen einzuschränken und wieder in seine alte Rolle als „Notar“ zurück zu verfallen. Die Regierung wird mit weiteren Widerständen rechnen müssen.

Problematisch für die PiS ist dabei, dass die Interventionen des Präsidenten ausgesprochen populär sind. 78 Prozent der Polen standen beim Veto zur Justizreform hinter ihm, 71 Prozent bei der Frage der Armee. Das geht tief bis ins Wählermilieu der PiS hinein und kann daher nicht ignoriert werden. Beobachter rechnen damit, dass auch rund 20-30 Abgeordnete der PiS auf seiner Seite stehen. Das mag angesichts der insgesamt 235 Abgeordneten der Partei (von insgesamt 460) keine große „Hausnummer“ sein, würde der Regierung aber rein rechnerisch die Mehrheit nehmen. Außerdem scheinen einige Abgeordnete anderer Parteien – etwa der populistischen Partei des ehemaligen Rockmusikers Paweł Kukiz oder der Bauernpartei – eine Unterstützung des Präsidenten zugesagt haben, sollte dieser sich „selbständig“ machen.

Immerhin scheinen einige Einwände des Juristen Duda gegenüber der Regierungspolitik einer echten Sorge um den Verlust an Rechtsstaatlichkeit im Lande entsprungen zu sein. Vielleicht erinnerte er sich auch daran, dass er seinerzeit ein Mandat vom Wähler als mäßigende Kraft erhalten hatte. Auch scheint sein Verhältnis zu Regierungschefin Szydło und etlichen Ministern zutiefst zerrüttet zu sein.

Neue Parlamentssaison: Duda gegen Kaczyński?

Ein wenig mehr Klarheit könnte die neue Parlamentssaison nach der Sommerpause bringen, die diese Woche beginnt. Ende des Monats will Präsident Duda seinen eigenen Entwurf für die Justizreform vorstellen, der dann im Parlament diskutiert werden muss. „Wir schauen uns hier ein wahres Theater an“, sagte kürzlich ein Fraktionsmitarbeiter der liberalen Oppositionspartei Nowoczesna. Sollte Duda seinen Kurs entschieden weiterfahren, „wird das die gesamte Dynamik der Politik in Polen ändern“. Wie weit er gehen wird und zu welchem Zweck er das tun wird, das sei allerdings noch offen. Steht die PiS vor einer Spaltung? Oder will sich der Präsident nur eine gute Ausgangsbasis für seine Wiederwahl 2020 schaffen? Will er nur die Auswechslung einiger Minister (Verteidigung/Justiz) erreichen? Wie weit wird er bei der Konfrontation mit Kaczyński gehen? Viele Fragen kursieren in Warschau, aber nur wenige klare Antworten.

Eines ist aber sicher: Langweilig wird die polnische Politik in nächster Zeit nicht.

Dr. Detmar Doering ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.