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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Berufliche Bildung
Azubi-Absturz!

Die berufliche Bildung steckt in einer tiefen Krise. Nicht nur Corona ist daran schuld.
Azubis gesucht
Durch die Corona-Pandemie geht die Zahl der Lehrstellen drastisch zurück. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt  

Ausgangssperre in der Nacht, Inzidenzwerte für Lockdown, Führungskrise der Unionsparteien – hinter all diesen Schlagzeilen ist in dieser Woche eine wichtige Meldung fast untergegangen: Die Zahl der Lehrstellen in Deutschland bricht ein. Gab es 2019 noch 525.000 neue Auszubildende, so waren es im Corona-Jahr 2020 rund 60.000 weniger. Und alles deutet darauf hin, dass es am Ende des Jahres 2021 nur noch 430.000 sein werden – der niedrigste Stand seit 1976 (!), wie die Süddeutsche Zeitung meldet.

Das ist ein gewaltiger Einbruch. Und er konzentriert sich natürlich auf jene Branchen, die besonders stark durch Corona betroffen sind, so etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe und touristische Dienstleistungen. Und genau dies sind Wirtschaftszweige, in denen typischerweise das erwartete Bildungs- und Qualifikationsniveau der Bewerberinnen und Bewerber im Branchenvergleich relativ niedrig ausfällt. Mit anderen Worten: Es fallen gerade jene Ausbildungsplätze weg, die strukturell benachteiligten Jugendlichen mit Schwierigkeiten in der Schule eine berufliche Chance bieten können.

Corona könnte also die Spaltung am Arbeitsmarkt verstärken. Und dabei gibt es längst genug andere Trends, die diese Spaltung befördern. Einer davon ist das Drängen vieler Abiturienten in Ausbildungsverhältnisse – gewissermaßen als praktischer Vorlauf zu einem danach geplanten Studium. Unternehmen greifen natürlich bei diesem „Luxusangebot“ von Auszubildenden gerne zu – und dies geht natürlich zulasten derjenigen, die eben kein Abitur vorweisen können. Insbesondere Unternehmen des anspruchsvollen verarbeitenden Gewerbes gehen diesen Weg – mit dem Ergebnis, dass Schüler mit Haupt- oder Realschulschlussabschluss auf der Strecke bleiben, ganz zu schweigen von jenen, die auch diesen Abschluss nicht schaffen. Diese Jungen und Mädchen kommen natürlich tendenziell aus bildungsfernen Schichten. All dies zeigt eine Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (Fibs), die jüngst an die Öffentlichkeit kam.

Für die Zeit nach Corona sind dies ernste tickende Zeitbomben. Wir steuern wohl tatsächlich auf einen neuen „Bildungsnotstand“ zu, der allerdings unsere Gesellschaft in der Breite sehr unterschiedlich trifft: Die Kinder der bildungsnahen Schichten werden wohl erfolgreich ihren Weg gehen – vielleicht sogar noch leichtfüßiger als in der Vergangenheit, weil sie sich nicht nur abstraktes Wissen in Hochschulen und Universitäten, sondern über anspruchsvolle Lehrstellen und in den sehr beliebten dualen Studiengängen die nötige praktische Kompetenz aneignen. Für den Rest der Gesellschaft wird dagegen das Angebot dünn. Wen kann es da wundern, wenn Frustration aufkommt und das Gefühl herrscht, man wird in der etablierten Politik nicht ernst genommen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: eine weitere Vertiefung des Spalts in unserer Gesellschaft – politisch, wirtschaftlich und sozial.

Fazit: Es müssen dringend Konzepte entwickelt werden, wie das Angebot an Lehrstellen zu verbreitern ist, vor allem in der kommenden Nach-Corona-Zeit. Die bisherige finanzielle Unterstützung von betrieblichen Ausbildungsplätzen durch den Staat reicht da sicherlich nicht aus. Wichtiger noch ist es aber, die staatlichen Schulen zu verbessern, um die Zahl der Schulabbrecher zu senken und das Bildungsniveau beim Einstieg in die berufliche Qualifikation zu verbessern. Nur so können die Absolventen von Haupt- und Realschulen mit den Abiturienten konkurrieren. Wir brauchen also insgesamt mehr Leerstellen und zudem besser geschulte Bewerber aus bildungsfernen Schichten. Eine politische Herkulesaufgabe!