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Die erste Präsidentschaftsdebatte in einem Wort: Chaos

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© picture alliance / newscom | KEVIN DIETSCH  

Die erste Fernsehdebatte zwischen Präsident Donald Trump und dem ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden am Dienstagabend galt seit Monaten als eines der bedeutendsten Ereignisse auf dem politischen Kalender für 2020. Sie fand inmitten einer Pandemie, eines Streits um einen Sitz am Obersten Gerichtshof und eines Wirtschaftsabschwungs statt.

Trump und Biden betraten die Bühne vor einem fast leeren Saal mit sehr verschiedenen politischen Anreizen. Für Trump war die Debatte eine Chance, ein Rennen deutlich zu verändern, in dem er derzeit im Rückstand ist. Für Biden war die Debatte ein riskanter, aber notwendiger Schritt – eine persönliche Begegnung mit einem Antagonisten, der keine Skrupel hat, Beleidigungen und Unwahrheiten zu seinem politischen Vorteil einzusetzen.

Von der Coronavirus-Pandemie und den "Rassenbeziehungen" über die Nominierung einer neuen Richterin am Obersten Gerichtshof bis hin zu Trumps Steuererklärungen war die Debatte mehr Gezänk als ein aufschlussreicher Austausch zwischen Trump und Biden.

Die Umfragewerte beider Kandidaten während des Wahlkampfes sind bisher im historischen Vergleich sehr stabil. Wie viele Zuschauer sich von der chaotischen Debatte beeinflussen lassen werden, bleibt eine offene Frage. Es ist auch wichtig zu beachten, dass viele Tausende von Amerikanern bereits gewählt haben. Diese Leute brauchten nicht auf die erste Debatte zu warten, um sich zu entscheiden.

Hier sind die vier wichtigsten Takeaways der Nacht.

1.  Zwei konkurrierende Visionen

Die Debatte war der ersten gemeinsamen Auftritt zweier Kandidaten, die sehr unterschiedliche Visionen für die Zukunft des Landes haben und deren Kampagnen diese Gegensätze widerspiegeln.

In den letzten Monaten hat Trump, für den die Coronavirus-Pandemie ein Ereignis der Vergangenheit ist, gegen den Rat der nationalen Gesundheitsbehörden Tausende von Anhängern für große Kundgebungen angezogen, bei denen er und viele seiner Anhänger keine Masken tragen. Biden, der in der Öffentlichkeit fast immer maskiert ist, hat eine Strategie der Sicherheit verfolgt, indem er den Wahlkampf hauptsächlich virtuell von seiner Heimatstadt Delaware ausgeführt hat.

Die Debatte war - wie das Rennen selbst - in erster Linie ein Referendum über Trumps Umgang mit der Pandemie und ihren finanziellen Folgen, obwohl Trumps Eile, einen vakanten Posten am Obersten Gerichtshof zu besetzen, und die Enthüllung, dass Trump jahrelang wenig oder gar keine Bundeseinkommenssteuer gezahlt hat, neue Brennpunkte geschaffen haben.

Im Laufe der 90 Minuten hörten die Amerikaner zwei radikal unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Land zu regieren sei. Aber sie bekamen nicht viel Substanz zwischen all den Beschimpfungen und Unterbrechungen.

2. Die Messlatte für Biden war niedrig

Bidens Auftritt auf der Bühne übertraf die extrem niedrigen Erwartungen, die Präsident Trump im Vorfeld gesetzt hatte, was Biden noch weiter beflügeln könnte.

Die irreführende Vorstellung, dass Biden für die Präsidentschaft zu verwirrt sei, wird seit 2018 von Trump verbreitet, als er den ehemaligen Vizepräsidenten erstmals als "Sleepy Joe" bezeichnete. Seitdem hat Trump in Reden, Interviews und auf seinen Kundgebungen ein Narrativ entwickelt, das den ehemaligen Vizepräsidenten mit einer verminderten körperlichen und geistigen Statur darstellt, in der Hoffnung, die Wähler glauben zu machen, dass Biden für das Amt untauglich ist.

Doch Trumps Strategie, die Messlatte so weit nach unten zu legen und seine Anhänger davon zu überzeugen, dass Biden verwirrt und inkohärent ist, ging am Dienstagabend nach hinten los, als Bidens kompetenter und starker Auftritt auf der Bühne nicht in diese Karikatur passte. Stattdessen war Biden in einer Weise in der Offensive, wie sie das amerikanische Volk während der Kampagne noch nicht gesehen hat und attackierte Trump auf mehreren Ebenen.

3. Der Druck lastet weiterhin auf Präsident Trump

Trumps monatelange Bemühungen Biden an die ganz linken Ränder der Demokratischen Partei zu drängen, um seine Unterstützung unter den Gemäßigten zu bremsen, sind bisher gescheitert. Biden genießt einen deutlichen und stabilen Vorsprung, der bis in die Zeit vor der Pandemie zurückreicht. Trump liegt unterdessen im nationalen Durchschnitt bei nur 43%. Ihm läuft die Zeit davon, das Schicksal seiner Kampagne zu wenden.

Die erste TV-Debatte stellte daher eine der besten Gelegenheiten für Trump dar, das Schicksal seine Kampagne zu wenden, seine erste Chance, direkt vor einem Publikum von Millionen Amerikanern mit Joe Biden zu debattieren.

Aber genau wie in den vergangenen Monaten befand sich Trump die ganze Nacht über sehr in der Defensive. Seine Strategie bestand hauptsächlich darin, so oft wie möglich zu unterbrechen, um zu versuchen, Biden aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das hat ihm aber nicht geholfen, die Debatte entscheidend zu gewinnen. Und damit hat Trump eine seiner drei Gelegenheiten versäumt, die Richtung des Wahlkampfes zu verändern - (vorausgesetzt, die beiden anderen Debatten finden statt).

Mit der bevorstehenden Abstimmung über die Nachfolgerin der verstorbenen Richterin Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court, einem Steuererklärungsskandal und der andauernden Coronavirus-Pandemie dürfte jede Dynamik, die der Präsident aus der Debatte hätte gewinnen können, ohnehin schnell in anderen Themen untergehen.

4. Wird die Debatte überhaupt eine Rolle spielen?

Im Kontext stabiler Umfragewerte und eines politisch turbulenten Wahljahrs, das von unglaublichen Umwälzungen im Land geprägt ist, ist es unwahrscheinlich, dass die Debatte den Verlauf des Wahlkampfes wesentlich verändern wird, zumal keines der Ereignisse der letzten Monate einen großen Einfluss auf Bidens konstante Umfragewerte hatte.

Viele Wähler sagen, dass die drei Debatten keine Rolle spielen werden. Nur drei Prozent der Wähler gaben in einer kürzlich durchgeführten Umfrage der Universität Monmouth an, dass die Debatte "sehr wahrscheinlich" dazu beiträgt, ihre Wahlentscheidung zu bestimmen, verglichen mit 87 Prozent, die sagten, es sei "unwahrscheinlich", dass sie beeinflusst wird.

Es bleibt abzuwarten, welche Teile der 90-minütigen Debatte, wenn überhaupt, für unentschlossene Wähler überzeugend oder aufschlussreich waren.

 

Johanna Rudorf, ist regionale Kommunikationsreferentin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Washington, D.C.