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„Unsere Suche nach Gerechtigkeit wird weitergehen!“

Deniz Yücels Anwalt Veysel Ok über die Freilassung seines Mandanten und den Zustand der Pressefreiheit in seinem Land - ein Gastbeitrag
Veysel Ok

Veysel Ok hat sich fortlaufend für die Freilassung seines Mandanten eingesetzt

© Veysel Ok

Wie Sie wissen, wurde mein Mandant Deniz Yücel am 16. Februar nach einem Jahr in Haft freigelassen. Das ist natürlich eine freudige Entwicklung, aber das bedeutet nicht, dass das Gerichtsverfahren beendet und die Anschuldigungen gegen ihn fallengelassen wurden.

Mit seiner Freilassung hat das Strafgericht zeitgleich auch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft angenommen, die bis zu 18 Jahre Haft fordert. Yücel wird vorgeworfen, in seinen Artikeln ‘’Propaganda für eine Terrororganisation’’ betrieben und das Volk zu ‘’Hass und Feindseligkeit’’ aufgestachelt zu haben. Das interessante an der Sache ist, dass die Artikel, mit denen diese ‘’Straftaten’’ angeblich begangen wurden, in einer deutschen Zeitung mit einer deutschsprachigen Leserschaft erschienen sind. Noch interessanter ist, dass diese Artikel, die als ‘’Belege’’ für die Straftaten dienen sollen, vor zwei Jahren verfasst wurden – und somit dem türkischen Presserecht zufolge verjährt sind. Die als Beleg angeführten Artikel meines Mandanten bestehen aus Kolumnen, in denen er die Syrien-Politik der Türkei kritisiert, einem Interview mit dem Chef einer bewaffneten Organisation und einem türkisch-kurdischen Witz. Der erste Verhandlungstag ist für den 28. Juni 2018 beim 32. Strafgericht in Istanbul angesetzt.

Die Türkei von heute: Journalistische Arbeit als ‘Straftatbestand’

Yücel wollte eigentlich im Rahmen einer anderen Ermittlung freiwillig aussagen, als er 2017 verhaftet wurde. Natürlich hatte er damals weder die über einjährige Inhaftierung noch die darauffolgenden Anschuldigungen erwartet. Die Tatsache, dass nahezu bis zum Schluss eine offizielle Anklageschrift fehlte und dass die Anschuldigungen sich auf Artikel in einer fremdsprachigen Zeitung beziehen, die außerhalb der Türkei operiert, deutet auf große Probleme in der türkischen Jurisdiktion hin. In den Fällen von Yücel und anderen Journalisten sehen wir leider, dass die lange Untersuchungshaftzeit ohne eine Anklageschrift mittlerweile zur Routine geworden ist.

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Justiz unter Druck - Freilassungsurteile werden ignoriert

Auch eine andere Entwicklung, die zwar nicht im Falle von Yücel, aber in den Fällen von anderen inhaftieren Journalisten vermehrt auftrat, macht uns große Sorgen, nämlich die Tatsache, dass Urteile der Gerichte auf Freilassung nicht vollzogen worden sind. Seit einem Jahr gibt es vermehrt Beispiele, dass  - nach Einspruch der Staatsanwälte – die Entscheidungen der Strafgerichte auf Freilassung nicht vollzogen werden können. Doch nun wurde sogar eine ähnliche Anordnung des türkischen Verfassungsgerichts ignoriert. In seinem Urteil vom 11. Januar hatte das Verfassungsgericht verfügt, dass die weitere Inhaftierung der beiden Journalisten Şahin Alpay und Mehmet Altan, deren Klagen ich vor dem Verfassungsgericht eingereicht hatte, unbegründet seien und aus diesem Grund deren Freilassung angeordnet. Doch das zuständige Strafgericht widersetzte sich dieser Anordnung des höchsten Gerichts  - und bekam dabei auch Rückendeckung von der Regierung. So bleibt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für uns als letzte Möglichkeit.

Denis Yücel

Denis Yücel mit Familie und Freunden nach seiner Freilassung

© Denis Yücel

Hoffnung für inhaftierte Journalisten: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Auch mein Mandant Deniz Yücel hat vor dem EGMR geklagt und wartet auf ein Urteil. Wie Sie sich erinnern werden, hatte das EGMR entschieden, seinen Fall mit Vorrang zu behandeln. Sowohl im Fall Yücel als auch in den Fällen Ahmet Altan, Mehmet Altan und Şahin Alpay, deren Klagen ich beim EGMR eingereicht habe, haben neben dem Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, und dem UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kayne, elf weitere Organisationen mit Bezug zur Meinungsfreiheit interveniert. Eine weitere Besonderheit von Yücels Fall ist, dass seit 1986 das erste Mal ein Drittstaat – nämlich die Bundesrepublik Deutschland – in einem gegen die Türkei geführten Verfahren Stellung bezogen hat. Wir hoffen, dass der EGMR eine Entscheidung trifft, die als Präzedenzfall für alle inhaftierten Journalisten dienlich sein kann. Doch leider gibt es weder im Falle von Yücel noch in den anderen erwähnten Fällen eine Rechtsprechung seitens des EGMR. In den meisten Fällen der inhaftierten Journalisten wird es bald ein Urteil der entsprechenden türkischen Strafgerichte geben. Unsere Hoffnung ist, dass der EGMR schnellstmöglich zu einem Urteil gelangt. Diese Urteile werden das weitere Schicksal der z.Z. inhaftierten 153 Journalisten bestimmen und langfristig eine wichtige Rolle für die Türkei spielen  - auf dem Weg zurück zur Demokratie.

Unter den derzeitigen Umständen ist die Unterstützung sowohl des EGMR als auch der internationalen Öffentlichkeit für die in der Türkei inhaftierten Journalisten immens wichtig. Trotz der hohen Zahl an Journalisten, die sich rechtswidrig in Haft befinden, ist die Zahl der Klagen vor den Obersten Gerichten in der Türkei oder dem EGMR gering. Hierbei gibt es jedoch sehr viele Anfragen und Bitten um Unterstützung an den Verein ‘Media and Law Studies Association (MLSA)’, dessen Mitgründer ich bin. MLSA versucht, den Journalisten im EGMR-Prozess behilflich zu sein. Aus diesem Grund ist für uns die Unterstützung der internationalen Öffentlichkeit und entsprechender Organisationen, die regelmäßig Beobachter zu den Gerichtsprozessen entsenden, sehr wichtig.

Zu guter Letzt möchte ich betonen, dass – trotz der Freilassung – unsere Suche nach Gerechtigkeit für Deniz Yücel, der ein Jahr rechtswidrig in Haft saß, weitergehen wird. Unsere Hoffnung ist, dass alle 153 inhaftierten Journalisten freigesprochen werden.

Aus dem Türkischen von: Aret Demirci