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Syrien
Wahl in Syrien: Anschein von Normalität

Kristof Kleemann analysiert die Parlamentswahl in Syrien, mit der das Assad-Regime versuche, den Anschein von Normalität zu verbreiten.
Wahlen Syrien
© picture alliance / AA | Amine Landoulsi

Syrien hat ein neues Parlament gewählt. Nachdem die Wahl wegen der Corona- Pandemie bereits zweimal verschoben wurde, hatte sich das Regime in Damaskus schließlich zur Durchführung entschlossen - obgleich die Covid-19- Gefahr noch lange nicht gebannt scheint.

Die Wahl am 19. Juli war nach 2012 und 2016 der dritte Urnengang seit Ausbruch des Bürgerkrieges. Abermals war dies keine freie Wahl nach demokratischen Grundsätzen. Unabhängige Abgeordnete wird man auch im neu gewählten Parlament vergeblich suchen, inter- nationale Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen. Die Stimmabgabe zum Volksrat, dem Parlament der Syrischen Arabischen Republik, ähnelte erneut einem Rekrutierungsprozess für das Regime von Präsident Baschar al-Assad.

Klar scheint: Trotz der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Beginn von Assads Herrschaft vor 20 Jahren wird sich an der Ausrichtung des Regimes kaum etwas ändern. Die regierende Baath-Partei wird weiterhin Politik und Gesellschaft des Landes dominieren, unterstützt von den Blockparteien der sogenannten Nationalen Progressiven Front, die das Regime mittragen.

Für die syrische Bevölkerung sind das denkbar schlechte Nachrichten. Die durch den Bürgerkrieg und schlechte Regierungsführung zerstörte Wirtschaft liegt am Boden, die Währung verfällt mit dramatischen Tempo (zahlte man 2011 nur 47 syrische Pfund für einen Dollar, so sind es heute mehr als 3000), die Armut der Menschen in allen Landesteilen wird immer verheerender. Besserung - etwa durch einen baldigen Wiederaufbau - ist aufgrund der brutalen Herrschaft von Präsident Assad nicht in Sicht.

Während das Ergebnis dieser Wahl also kaum Veränderungen herbeiführen wird, lohnt sich doch ein Blick auf den Prozess ihrer Organisation und Durchführung. Das Regime hat sich, insbesondere dank der russischen Intervention seit 2015, militärisch durchgesetzt und kontrolliert nunmehr etwa 65 Prozent der Landesfläche.

Die Wahlen sollen nun dazu dienen, die soziale Basis der Herrschaft zu erneuern. Dem Volk wird neues und vermeintlich unverbrauchtes Personal präsentiert, gleichzeitig werden Personen belohnt, die im Krieg loyal gekämpft haben. Nicht zuletzt geht es auch um den Austausch von Politikern, die auf den Sanktionslisten westlicher Staaten stehen. Unter den neuen Abgeordneten finden sich Mitglieder der neuen Geschäftselite sowie Milizenführer und Angehörige von "Märtyrern".

Damaskus versucht, den Anschein von Normalität zu verbreiten. Dazu gehörte insbesondere die Durchführung der Wahl in fast allen Teilen des Landes, auch in den vom Regime eroberten Teilen der noch umkämpften Provinzen Idlib und Rakka. Assad will zeigen, dass die Zeit des Aufstands endgültig vorbei ist.

Auch um diesem Eindruck entgegenzutreten, muss der Westen die Wahlen nun geschlossen als undemokratisch einstufen und dabei der russischen Propaganda entgegentreten. Entscheidend ist, dass Deutschland und seine Partner sich gegen solche Stimmen durchsetzen, die zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Syrien aufrufen oder Wiederaufbauhilfe ohne echte Vorbedingungen fordern. Bis auf Weiteres verbietet sich eine Diskussion über ein Wiederaufbauprogramm für ein Regime, das die Rechte seiner Bürger auf das Schlimmste missachtet und große Teile der eigenen Bevölkerung vertreibt, bombardiert und aushungert.

 

Kristof Klemann ist Projektberater für Libanon & Syrien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Beirut.

Der Artikel wurde am 21. Juli 2020 in der Fuldaer Zeitung veröffentlicht.