News
Stille Explosion

Jordanien, 23. April 2025: Der Himmel über Amman ist bewölkt und ein dichter Sandsturm verdichtet die Sicht über die Stadt. Am Nachmittag geben die jordanischen Behörden im nationalen Fernsehen bekannt, dass die Regierung ein Verbot der lang etablierten Muslimbruderschaft auferlegt.
Die Verkündung kommt wenige Tage nach der aufsehenerregenden Verhaftung von 16 Mitgliedern der Organisation. Die Sicherheitskräfte des Landes, darunter der jordanische Geheimdienst, hatten Drohnen, Sprengstoff, Waffen, Raketen sowie terroristische Pläne in den Wohnungen der Angeklagten gefunden und einige der Festgenommenen bereits seit 2021 überwacht. Im nationalen Fernsehen sprachen drei Angeklagte öffentlich zu ihren Plänen, ihrer Ideologie und ihren Verbindungen – die bis nach Libanon, Syrien und in den Iran reichten. Ein Spektakel, welches selten so öffentlich ausgetragen wurde und welches die Ausgangslage der Verdächtigen und ihrer Organisation deutlich verschlechtert.
Was bedeutet dieser Schritt für die Zukunft Jordaniens?
Das Verbot der Muslimbruderschaft markiert nicht nur ein innenpolitisches Erdbeben, sondern auch einen tiefgreifenden Wandel in der strategischen Ausrichtung des Königreichs. Jahrzehntelang war die Organisation – trotz häufiger Spannungen – ein fester Bestandteil des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Jordanien. Ihre Wohltätigkeitsstrukturen, Bildungsprogramme und religiösen Netzwerke hatten weitreichenden Einfluss in der Bevölkerung, vor allem in die ärmeren Regionen des Landes.
Mit dem Verbot vollzieht die Regierung nun eine klare Zäsur. Sie stellt sich damit offen gegen jegliche Form islamistischer Organisierung – auch solcher, die nicht explizit zu Gewalt aufrufen. Die Begründung: Die Bruderschaft sei keine reine Oppositionsbewegung mehr, sondern eine „verdeckte sicherheitspolitische Bedrohung“. Diese Einschätzung dürfte nicht nur auf dem jüngsten Fund von Waffen basieren, sondern auch auf regionalen Entwicklungen. Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate hatten die Organisation schon früher als terroristisch eingestuft.
Die jetzige Entscheidung des Haschemitischen Königreichs sollte gleichzeitig auch eine Mahnung an westliche Staaten sein: gibt sich die Muslimbruderschaft oft als glaubenstreue Reformbeweger stecken hinter ihrer demokratischen und sozialen Rhetorik immer noch radikale Ziele, so wie die Errichtung eines islamistischen Gesellschaftssystems. Während sie im Nahen Osten Religion geschickt instrumentalisiert, nutzt sie im Westen liberale Strukturen für ihre Einflussnahme. Zwar steht Gewalt öffentlich nicht mehr im Vordergrund der Organisation, doch das bevorzugte Schlachtfeld ist heute politisch und kulturell. Ihr Netzwerk reicht längst bis in westliche Gesellschaften – und gefährdet dabei nicht nur die Meinungsvielfalt, sondern die Stabikät unserer demokratischen Systeme.
Kurzfristig dürfte der Schritt die Spannungen in Jordanien verschärfen. Proteste, auch von bisher unpolitischen islamischen Gruppierungen, könnten folgen. Langfristig aber zielt die Regierung offenbar auf eine Umstrukturierung der politischen Landschaft: weniger religiös geprägte Parteien, mehr Raum für eine gemäßigt nationalistische, insbesondere wirtschaftlich orientierte Agenda.
Ob diese Strategie aufgeht, hängt davon ab, wie gut die Regierung Alternativen zur Bruderschaft etablieren kann – sowohl im sozialen Bereich als auch im politischen Diskurs. Andernfalls könnte eine Radikalisierung bisher moderater Kreise drohen, gerade durch das soziale Vakuum, welches die Muslimbruderschaft im Land hinterlassen würde.
Auswirkungen auf den politischen Flügel: Die Islamic Action Front
Besonders betroffen von den Auswirkungen des Verbots dürfte der politische Arm der Bruderschaft, die Islamic Action Front (IAF) sein. Als größte oppositionelle Partei im jordanischen Parlament hatte sie eine wichtige Rolle bei vergangenen Wahlen gespielt. Verbindungen zur Mutterorganisation hatten sie in den Augen der Regierung stets verdächtig gemacht, auch wenn sie sich offiziell von Gewalt distanzierte und als Partei rechtlich getrennt von der Muslimbruderschaft ist.
Durch das erlassene Verbot könnten ihre Strukturen zerschlagen, ihre Mitglieder juristisch verfolgt werden. Viele ihrer Anhänger dürften in den Untergrund gedrängt oder gezwungen werden, sich neuen, nicht-islamistischen Gruppierungen anzuschließen. Kritiker warnen bereits vor einem demokratischen Vakuum, das sich auftun könnte, sollte es keine legale religiös-konservative Stimme mehr im Parlament geben. Gleichzeitig könnte das Verbot die IAF aber auch symbolisch stärken – als Märtyrerpartei, als Opfer eines autoritären Staates. In einer Region, in der politische Repression oft zur Radikalisierung führt, ist dieses Risiko nicht außer Acht zu lassen.
Der Gründer der liberalen Nachrichtenplattform ShezoMedia Osama Essa merkt an „Die jordanische Regierung hat über die Jahre hinweg bemerkenswerte Geduld mit der Muslimbruderschaft gezeigt – insbesondere angesichts ihrer wiederholten Versuche, die jordanische Öffentlichkeit zu manipulieren“. Gleichzeitig ist er darüber besorgt, welche langfristigen Auswirkungen das Verbot haben könnte. Aus seiner Sicht besteht die Gefahr, dass die Gruppe sich noch tiefer in den Untergrund bewegen und sich sowie ihre Anhänger stärker radikalisieren könnte. Diese Entwicklung wäre verheerend.
Internationale Reaktionen: Zwischen Verständnis und Vorsicht
Das Verbot der Muslimbruderschaft in Jordanien hat in der internationalen Gemeinschaft gemischte Reaktionen ausgelöst. Westliche Regierungen – allen voran die USA und einige EU-Staaten – stehen vor einem Dilemma: Einerseits begrüßen sie jede Maßnahme zur Bekämpfung gewaltbereiter Extremistengruppen, andererseits sehen sie in der Muslimbruderschaft einen potenziellen Gesprächspartner, vor allem in Ländern, in denen sie sich parlamentarisch betätigt hat. In der Vergangenheit hatten etwa die USA oder Großbritannien den politischen Arm der Bruderschaft nicht als Terrororganisation eingestuft – ein deutlich anderer Kurs als der der Golfstaaten.
Washington hat in einer ersten Stellungnahme Zurückhaltung geübt und zur „Wahrung politischer Pluralität“ gemahnt, gleichzeitig jedoch das „Recht jedes Staates auf Selbstverteidigung gegen sicherheitsrelevante Bedrohungen“ betont.
Die Golfstaaten, insbesondere Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, äußerten hingegen demonstrative Unterstützung. Für sie ist die Muslimbruderschaft seit Langem ein rotes Tuch – nicht nur aus sicherheitspolitischen, sondern auch ideologischen Gründen: Die Bewegung steht für einen politischen Islam, der Monarchien und autoritäre Regime grundsätzlich infrage stellt.
Auch in Ägypten, in dem die Bruderschaft bereits 2013 verboten und zerschlagen wurde, wertet das Vorgehen Jordaniens als eine Art Schulterschluss gegen destabilisierende Kräfte in der Region.
Die Rolle von König Abdullah II.: weltmännischer Stratege zwischen Stabilität und Reformdruck
König Abdullah II. selbst steht in dieser Entwicklung klar im Zentrum. Er gilt seit Jahren als Garant der Stabilität in einem politisch volatilen Umfeld. Das Verbot der Bruderschaft – einer Organisation, die zeitweise Teil des institutionellen Systems war – ist ein mutiger, wenn auch umstrittener Schritt.
Dabei verfolgt Abdullah offenbar eine Doppelstrategie: einerseits ein klares Vorgehen gegen extremistische Bewegungen, andererseits Reformen auf anderen Ebenen, etwa durch wirtschaftliche Liberalisierung, gezielte Investitionsanreize und eine vorsichtige Öffnung gegenüber technokratischen, jungen Führungspersönlichkeiten im Parlament.
Doch der Spielraum ist begrenzt: sollte die jordanische Bevölkerung den Eindruck gewinnen, dass politische Mitsprache dauerhaft eingeschränkt wird, könnte das Vertrauen in die Institutionen schwinden. Und genau das wäre langfristig die größere soziale Bedrohung für das Königreich.
Das Verbot der Muslimbruderschaft in Jordanien ist mehr als eine sicherheitspolitische Maßnahme – es ist ein Signal an die gesamte Region. Jordanien stellt sich klar gegen politischen Islam, auch auf die Gefahr hin, neue soziale Spannungen zu schaffen. Für die Regierung ist es ein riskanter Balanceakt: zwischen der Stabilität des Staates und der Gefahr, moderate Kräfte in eine extremistische Ecke zu treiben. Das Verbot der Muslimbruderschaft in Jordanien könnte in die Geschichtsbücher eingehen – als Wendepunkt, an dem sich das Land klar gegen politischen Islam positionierte. Doch ob dies der Beginn einer stabileren, moderneren Ordnung ist oder der Auftakt zu neuen Spannungen, bleibt abzuwarten.