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Jordanien
König Abdullah II. in Berlin: Hoffnung auf Hilfe für Gaza und die Region

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz empfängt Jordaniens König Abdullah II. zu einem Treffen in der Bundeskanzlei in Berlin.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz empfängt Jordaniens König Abdullah II. zu einem Treffen in der Bundeskanzlei in Berlin.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi

Heute reist der jordanische König Abdullah II zu einem Arbeitsbesuch nach Deutschland und wird dort mit Bundeskanzler Merz zusammentreffen. Hauptgesprächsthemen sind neben der allgemeinen geo- und regionalpolitischen Situation, besonders die humanitäre Katastrophe in Gaza, die besorgniserregenden Entwicklungen im Westjordanland und in Syrien, aber auch die wirtschaftliche Situation Jordaniens, insbesondere nach dem Einfrieren der US-Hilfen, durch die mehr als 70.000 Jordanier bereits ihre Arbeit verloren haben. Wir sprechen darüber mit Jörg Dehnert, dem Regionalbüroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die MENA-Region.

FNF: Herr Dehnert, der jordanische König reist wiederholt nach Deutschland und wird erstmals auch mit Friedrich Merz als Bundeskanzler sprechen. Wie ist es um das deutsch-jordanische Verhältnis bestimmt und welche Auswirkungen hatten die jüngsten Entwicklungen auf das bilaterale Verhältnis?

Die deutsch-jordanischen Beziehungen sind traditionell sehr gut. Sie hatten kurzweilig unter den Nachwehen des 7. Oktober gelitten, weil die Jordanier eine zu einseitige Positionierung der Bundesrepublik zugunsten Israels kritisierten. Es gab einen großen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust vor allem in der jordanischen Zivilbevölkerung und Zivilgesellschaft. Durch die mittlerweile wesentlich differenziertere Politik der Bundesrepublik, die schon zum Ende der Ampelpolitik begann und sich nun fortsetzt, ist dieser Trend mehr oder weniger gestoppt. Auch wurden die jüngsten Äußerungen des Bundeskanzlers zu der humanitären Katastrophe in Gaza sehr aufmerksam beobachtet. Deutschland ist für Jordanien ein wichtiger Partner und wird auch mit Blick auf die EU als der zentraler Akteur gesehen, der seinen Einfluss stärker geltend machen soll. Nicht umsonst ist König Abdullah mehrmals in Deutschland gewesen und sucht den regelmäßigen Austausch. Der Monarch hofft auf die weitere Unterstützung der Bundesrepublik in den zentralen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen Jordaniens.


Wie ist die Situation in Jordanien nach den aktuellen Ereignissen, Gaza, Westjordanland, Libanon (Hizbollah), Konflikt mit Iran, und Syrien-Entwicklung?  Gibt es Erwartungen an Deutschland?

Das haschemitische Königreich ist der vehementeste Verfechter einer Zwei-Staaten Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, schon allein weil mehr als 60% der jordanischen Bevölkerung palästinensische Wurzeln hat. Die jordanische Regierung hat im Gegensatz zu den meisten anderen Machthabern in der Region ein sehr differenziertes Verhältnis zu Israel. Man erkennt das Existenzrecht Israels und auch dessen Recht auf Selbstverteidigung an, kritisiert allerding auch sehr klar und eindeutig das Vorgehen der Netanyahu Regierung in Gaza und macht sie auch für das große Leid der Zivilbevölkerung verantwortlich. Auch hinsichtlich der Hamas ist die Bewertung klar und eindeutig. Hier treffen sich die Interessen beider Länder und man erwartet von Deutschland, dass es seinen Einfluss in dieser Hinsicht auch auf die israelische Regierung ausübt. Weitere Gemeinsamkeiten ergeben sich aus dem Einsatz und Engagement zu einer raschen Stabilisierung der Lage in Syrien. Das Königreich hat neben Libanon mit 25-30% den höchsten Anteil an Flüchtlingen in Relation zur eigenen Bevölkerung weltweit. Die Herausforderungen für die Wirtschaft sind enorm, der Anteil der informellen Beschäftigung liegt nahe an 40%; die meisten der in dieser Sparte Beschäftigten sind Flüchtlinge und keine Jordanier. Schon allein deswegen ist Jordanien an einer Stabilisierung Syriens stark interessiert, um die Anreize für eine Rückkehr der syrischen Flüchtlinge zu erhöhen. Auch könnte eine solche Stabilisierung den Einfluss des Irans begrenzen oder zurückdrängen und den Drogen und Waffenschmuggel an der Grenze stark reduzieren. Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass das Mullah Regime auf diese Weise in enger Kooperation mit den Muslim Brotherhoods versucht, das westliche Nachbarland Syriens zu destabilisieren und damit ein direktes geographisches Einfallstor zum verhassten „Erzfeind“ zu haben.

Die größte Herausforderung für das haschemitische Königreich bildet jedoch die Situation im Westjordanland. Die aggressive Siedlungspolitik der derzeitigen israelischen Rechtsregierung lassen Befürchtungen auf eine nicht zu verhindernde Flüchtlingswelle neu erwachen, hunderttausende Palästinenser in der Westbank verfügen über die jordanische Staatsangehörigkeit und eine Flucht nach Jordanien wäre somit sehr schwer zu verwehren.

Der Nahe Osten ist die unmittelbare Nachbarregion Europas, deren strategische Bedeutung für Sicherheit und Stabilität nicht zu unterschätzen ist. Jordanien hat sich seit dem Ausbruch des arabischen Frühlings als das stabilste und verlässlichste Land der Region erwiesen. Welche konkreten Handlungsoptionen ergeben sich aus Ihrer Sicht für Europa und Deutschland, um Jordanien in dieser kritischen Situation zu unterstützen?

Neben Israel ist Jordanien das derzeit einzige Land in der MENA Region, dass westlich orientiert ist. Will man nicht ähnliche politische Rahmenbedingungen haben wie in Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten und Tunesien, sollte Europa und Deutschland alles daran setzen, die Stabilität Jordaniens weiter zu garantieren. Während in den meisten Ländern in der Region einschließlich Israel versucht wird, die Aktionsspielräume der nationalen und internationalen NGOs durch Steuergesetze oder Restriktionen hinsichtlich Meinungsäußerungen, komplizierter und langwieriger Genehmigungsverfahren einzuschränken, können die internationalen Akteure in Jordanien nahezu uneingeschränkt frei arbeiten. Darüber hinaus will er mit seiner Demokratisierungsinitiative auch im universitären Bereich das Interesse und Engagement der Studierenden fördern. Der König selbst treibt diesen Demokratisierungsprozess mit der Unterstützung westlicher Partner voran.

Sollte das Land dagegen in den Einflussbereich Irans und des politischen Islam geraten, ist Israel auch vom Osten her direkt und geographisch unmittelbar bedroht. Die USA und Israel haben dies erkannt und ihre Politik demensprechend ausgerichtet, auch wenn die Politik der derzeitigen rechtsgerichteten Regierung in Tel Aviv im Westjordanland hier starke Zweifel aufkommen läßt. Von Europa und Deutschland kann man dies leider nicht in diesem Ausmaß konstatieren. Zwar wurden auch weiterhin finanzielle Hilfen geleistet, aber eine aktive Unterstützung und objektive Evaluierung des Stellenwertes Jordaniens in und für die Region wurde dagegen vernachlässigt. Erste Schritte in diese Richtung wurden nun ansatzweise von der neuen Regierung eingeleitet, in dem man Jordanien bei seinen humanitären Hilfsaktionen mit einer Luftbrücke aktiv unterstützen will und sich auch gegenüber der Netanyahu und ihrer aggressiven Siedlungspolitik wie dem Vorgehen in Gaza kritischer äußert.

Mit dem Rückzug der finanziellen Unterstützung der USA bietet sich für Deutschland und Europa darüber hinaus die große Chance, durch größere wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und an politischem Einfluss zu gewinnen. Sollte diese Chance nicht genutzt werden, könnte sich Jordanien gezwungen sehen, sich in der Not an andere Unterstützer zu wenden. Russland und vor allem China stehen dafür schon jetzt in den Startlöchern.

Vielen Dank, Herr Dehnert, für Ihre Zeit und Ihre Einschätzungen zu diesen entscheidenden Entwicklungen in der Region.