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Ist Bayern auf dem Weg zum Überwachungsstaat?

Bayern hat seit der Novelle 2018 das strengste Polizeiaufgabengesetz: Wird es zur Vorlage für ein Muster-Polizeiaufgabengesetz des Bundes?
Alexander Rieper (FNF), Hartmut Goebel (digitalcourage), Nadja Hirsch MdEP, Stephan Thomae MdB

v.l.n.r: Alexander Rieper (FNF), Hartmut Goebel (Digitalcourage), Nadja Hirsch MdEP, Stephan Thomae MdB

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Ist Bayern auf dem Weg zum Überwachungsstaat?“, darüber diskutierten Nadja Hirsch MdEP, Stefan Thomae MdB und Hartmut Goebel von Digitalcourage auf Einladung der Thomas-Dehler-Stiftung / Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Anlass ist das neue Polizeiaufgabengesetz: Es verwischt die Trennlinie zwischen Polizei und Geheimdienst, die über Jahrzehnte Bestand hatte, in nicht gekannter Art und Weise und schafft das wohl härteste Sicherheitsgesetz seit 1945.

Vor allem der Rechtsbegriff der drohenden Gefahr steht im Mittelpunkt der Diskussionen. Dieses Konstrukt gibt der Polizei weitreichende Entscheidungsbefugnisse schon weit im Vorfeld möglicher krimineller Aktionen. Schon bei der Novelle 2017 wurde der Präventionsgedanke immer stärker in den Fokus gerückt, die Hemmschwelle für Eingriffe in die Rechte der Bürger also gesenkt. Gleichzeitig ermöglicht diese Rechtsfigur erhebliche Eingriffe, von Aufenthaltsverboten sowie dem Einsatz der elektronischen Fußfessel und weiteren Überwachungsmaßnahmen bis hin zum Präventivhaft. Gegen dieses Gesetz wurden bereits Verfassungsklagen angekündigt.

"Wir wollen eine Überprüfung des Gesetzes durch die EU-Kommission erreichen"

Nadja Hirsch, MdEP
Nadja Hirsch MdEP

Die erneute Verschärfung 2018 bringt beispielsweise die Befugnis zur Videoüberwachung von Demonstrationen, auch mit Software zur automatischen Gesichtserkennung. In der gesamten Novelle sieht Stephan Thomae kritische Verschiebungen in der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zulasten der Bürgerrechte.

Die gerne genutzte Ausrede, dass die EU-Datenschutzrichtlinie dies erforderlich machen würde, widerlegt Nadja Hirsch, unter anderem mit dem Datenschutzgrundrecht der EU sowie den vorangestellten Erwägungen zur Datenschutzrichtlinie. Sie kritisiert vor allem, dass die Datenschutzgrundverordnung auf der einen Seite ein sehr hohes Schutzniveau für die Bürger schaffe gegenüber privaten Anbietern, und auf der anderen Seite „das Polizeiaufgabengesetz die Bürger zum Freiwild macht“. Deshalb setzt sie sich auch für eine Überprüfung durch die EU-Kommission ein.

"Anis Amri war der meistdiskutierte Verdächtige im Terrorabwehrzentrum, dennoch wurde die Überwachung eingestellt – aus Personalmangel."

Stephan Thomae, MdB
Stephan Thomae MdB

Einen dringenden Handlungsbedarf zur Gesetzesverschärfung aufgrund der gestiegenen Terrorgefahr sehen die Diskutanten nicht. „Bei den meisten Anschlägen, auch bei dem vom Breitscheidplatz, waren die Täter vorab polizeibekannt,“ stellt Nadja Hirsch fest. Stephan Thomae ergänzt: „Anis Amri war der meistdiskutierte Verdächtige im Terrorabwehrzentrum, dennoch wurde die Überwachung eingestellt – aus Personalmangel.“ Deshalb sieht er auch keinen Gewinn in weiteren Befugnissen für die Polizei. Vielmehr müsse die Polizei nach seiner Auffassung mit mehr personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden.

Auch für die gesamte Bundesrepublik ist die bayerische Debatte von höchster Relevanz, schließlich steht im Raum ein Muster-Polizeiaufgabengesetz im Bund zu erarbeiten, was in den Aufgabenbereich des CSU-geführten Innenministeriums fällt. Stephan Thomae MdB hält das bayerische Gesetz für einen Testfall, der zeigen wird, was das Bundesverfassungsgericht für grundgesetzkonform hält. Das könnte dem Bundesinnenminister als Schablone dienen, für ein Muster-Polizeiaufgabengesetz des Bundes. Der Abend in Bayern endet mit einem ernüchternden Fazit, der Innenausschuss hat nach den Expertenanhörungen keinen größeren Änderungsbedarf ausgemacht, so steht zu erwarten, dass der Gesetzentwurf in Kürze von der CSU-Mehrheit im Landtag beschlossen wird.