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Steuern

Gutachten: Verfassungsrechtliche Grenzen kumulierter Steuerlasten

Angesichts der hohen Ausgaben zur Bewältigung der Corona-Krise wird die Diskussion um die zukünftige Steuerpolitik wieder intensiver geführt. In unserem Rechtsgutachten fordert Prof. Kube, dass sich die Gesamtsteuerlast an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Besteuerten orientieren muss. Heute Abend diskutiert mit uns im Stream. Jetzt anmelden!

Die Steuerquote ist in Deutschland in den letzten Jahren von 21,8 Prozent in 2010 auf 24 Prozent in 2019 angestiegen. Angesichts dieses deutlichen Anstiegs und der hohen Ausgaben zur Bewältigung der Coronakrise stellt sich die Frage, wie die Steuerpolitik in den nächsten Jahren gestaltet werden soll. Hierbei stehen sich die Befürworter von Steuerentlastungen und Steuererhöhungen gegenüber. Neben den wirtschaftlichen Folgen sollte bei dieser Diskussion auch berücksichtigt werden, dass es verfassungsrechtliche Grenzen für die Gesamtsteuerbelastung gibt.

In seinem vorliegenden Gutachten führt Prof. Kube von der Universität Heidelberg aus, dass sich die Gesamtsteuerlast über alle Steuerarten hinweg an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Besteuerten orientieren muss. Diesem muss nach der Besteuerung ein wesentlicher Teil seiner wirtschaftlichen Erträge verbleiben. Das Grundgesetz kennt somit eine systemimmanente Belastungsgrenze, auch wenn noch offen ist, bei welchem Prozentsatz der persönlichen Steuerbelastung diese gilt. Hier liegt eine verfassungspolitische Lücke, die geschlossen werden sollte.

Dass Gesamtsteuerlast und Leistungsfähigkeit in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssen, gilt auch für die Betrachtung der Steuern im Gesamtstaat (also Bund, Länder und Kommunen). Hierauf müssen die einzelnen Ebenen bei der Gestaltung der Steuerhöhe in ihrem Zuständigkeitsbereich Rücksicht nehmen – die Länder dürfen z. B. eine Ländersteuer nicht soweit erhöhen, dass sie allein schon die Steuerlast bis ans verfassungsrechtlich Zulässige ausreizt. Prof. Kube spricht sich deshalb für eine Vereinfachung des Steuersystems aus, in der die einzelnen Steuerarten miteinander abgestimmt sind und in ihrer Gesamtbelastungswirkung gut betrachtet werden können. Abgaben sind laut Prof. Kube zunächst nicht in die Betrachtung der Gesamtsteuerlast einzubeziehen – aber nur, solange sie in ihrem Charakter nicht Funktionen von Steuern (also die allgemeine Staatsfinanzierung) übernehmen.

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Videovorstellung der Publikation durch Professor Kube

Hauptthesen

  1. Steuern spiegeln Herrschaftsstrukturen und Staatsverständnisse, Wertungen über besteuerungs- würdige Sachverhalte und auch die faktischen Möglichkeiten und Grenzen der Steuererhebung in einer bestimmten Zeit wider. Dies erklärt Entwicklung und Wandel der Steuerarten. Gleichwohl wurden und werden Steuern – einmal eingeführt – oftmals beibehalten. Normativ enthebt die verfassungsrechtliche Fortschreibung in Kompetenznormen aber nicht von der grundrechtlichen Prüfung. Diese Prüfung ist gerade bei fortgeschriebenen und sich im Belastungsgrund überlagernden Steuerarten von großer Bedeutung.
  2. Bereichsspezifischer Maßstab freiheits- und gleichheitsgerechter Ertragsbesteuerung ist das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Das Leistungsfähigkeitsprinzip korrespondiert mit der Steuerrechtfertigung durch die Markteinkommenstheorie, nach der der Steuerstaat am wirtschaftlichen Erfolg teilhat, den der Einzelne mithilfe der staatlich bereitgestellten und gewährleisteten Marktinfrastruktur erzielt. Freiheitsgrundrechtlich sind die Ertragsteuern, die stets an den Hinzuerwerb einer konkreten Vermögensposition anknüpfen, am Eigentumsgrundrecht gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Mehrere ertragsbezogene Steuerzugriffe sind dabei in ihrer kumulativ ertragsbelastenden Wirkung zu prüfen. Denn sie suchen sich durch die gleiche Steigerung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, den gleichen konkreten Hinzuerwerb, zu rechtfertigen. Als additive Grundrechtseingriffe müssen deshalb die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer, der Solidaritätszuschlag und eine mögliche Vermögensteuer (als Soll-Ertragsteuer) in der Summe der Belastungen verhältnismäßig bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dies ein gesicherter Befund.
  3. Verhältnismäßig ist die kumulative ertragsteuerliche Belastung nur dann, wenn dem Steuerpflichtigen nach dem Zugriff durch alle Ist- und Soll- Ertragsteuern noch ein substanzhaltiger Anteil des in Ausübung wirtschaftlicher Freiheit hinzuerworbenen Eigentums verbleibt. Dies folgt aus der Grundwertung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ebenso wie aus dem Aufteilungsprinzip des Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG. Eine Zunichtemachung des hinzuerworbenen Eigentums und damit der Freiheit ist mit Art. 14 Abs. 1 und 2 GG nicht zu vereinbaren.
  4. Als bereichsspezifischer Maßstab verfassungsrechtlicher Freiheit und Gleichheit gilt das Leistungsfähigkeitsprinzip über die Ertragsteuern hinaus für alle Steuern und sichert dadurch konsistente Freiheit und Gleichheit. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die – komplementär zu den marktbezogenen Ertragsteuern – den marktfernen Vermögenszuwachs belastet, findet ihr besonderes freiheitsgrundrechtliches Maß in der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Grundsteuer erfasst die durch den Grundbesitz vermittelte Leistungsfähigkeit; als gemeindliche Objektsteuer hat sie eine besondere Nähe zum Äquivalenzprinzip und steht in der Rechtfertigung, ähnlich wie die Erbschaft- und Schenkungsteuer, weitgehend eigenständig.
  5. Demgegenüber haben sich die Steuern auf die Vermögensverwendung aufgrund der Weite und Allgemeinheit ihres Zugriffs im Gesamtsystem zu rechtfertigen. Die indirekt erhobenen Verbrauchsteuern knüpfen an die Leistungsfähigkeit an, die sich im Verbrauch von Waren und Dienstleistungen widerspiegelt. Angesichts dieses steuerdogmatisch und grundrechtlich eindeutigen Rechtfertigungsgrundes der Belastung ist es unbefriedigend, wenn das Bundesverfassungsgericht bei der Feststellung und Verortung eines verbrauch- steuerlichen Freiheitseingriffs bislang sehr zurückhaltend geblieben ist. Die Überwälzung der Verbrauchsteuer auf den Verbraucher ist legislativ und auch judikativ vorauszusetzen.
  6. Das Leistungsfähigkeitsprinzip korrespondiert auch bei den Steuern auf die Vermögensverwendung mit der Steuerrechtfertigung durch die staatliche Bereitstellung von Infrastrukturen. In den Blick kommen dabei zum einen die Infrastrukturen, die unmittelbar den Konsum ermöglichen, zum anderen aber auch die Infrastrukturen, die der Erzielung des Einkommens zugrunde liegen, das seinerseits den Konsum erlaubt. Die Konsumsteuern stellen sich in diesem Licht als ergänzende Steuern auf den Ertrag dar, soweit dieser Ertrag Konsumpotential bedeutet. Gleichwohl greifen Steuern auf die Vermögens-verwendung nur in die vermögensschützende allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ein, nicht hingegen – mangels hinreichenden tatbestandlichen Konnexes – in das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG.
  7. In der Gesamtschau offenbart sich ein Steuersystem, das – sieht man von der Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Grundsteuer als grundsätzlich gesondert stehenden Steuern ab – mehrfach unmittelbar an den gleichen Ertrag anknüpft und das sodann die Verwendung des Vermögens besteuert, das in aller Regel zuvor ertragsbesteuert (oder erbschaftsbesteuert) worden war. Zwar stehen Ertrag- und Konsumsteuern insoweit komplementär, als die ertragsbesteuerte Leistungsfähigkeit (in Gestalt des hinzuerworbenen Eigentums) nicht vollständig identisch mit der konsumbesteuerten Leistungsfähigkeit ist, die in der Vermögensverwendung Ausdruck findet. Gleichwohl stützt sich der Konsum typischerweise auf vorherigen Ertrag, was auch neuere Ansätze zur Rechtfertigung der Konsumsteuern berücksichtigen. Im Ergebnis geht es um den gleichen Steuerpflichtigen, das gleiche – für alle Steuern zur Verfügung stehende – Vermögen und teilweise auch    inhaltlich verbundene Steuerrechtfertigungen. Freiheits- und gleichheitsgerecht ist das Steuersystem nach alldem nur dann, wenn man den Leistungsfähigkeitsmaßstab tatsächlich bereichsweit anlegt, also die Gesamtsteuerlast nach der Gesamtleistungsfähigkeit bemisst. Gemeinsamer grundrechtlicher Maßstab ist dabei Art. 2 Abs. 1 GG, der eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der steuerlichen Gesamtlast erfordert. Dieser Ansatz entspricht dem eigentlichen, übergreifenden Ziel des Vielsteuersystems, für eine freiheits- und gleichheitsgerechte Besteuerung trotz ganz unterschiedlicher persönlicher Profile der Steuerpflichtigen und dementsprechend unterschiedlicher Manifestationen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu sorgen.
  8. Gesamtleistungsfähigkeit und steuerliche Gesamt-last sind, gerade bei gesetzlicher Typisierung, nur eingeschränkt genau zu ermitteln und zu bemessen. Umso bedeutsamer ist deshalb das zu den materiellen Belastungsgrenzen hinzutretende grundrechtliche Gebot, das Nebeneinander der Steuern im Vielsteuersystem abzustimmen und zu begründen. Je substanzhaltiger eine derartige Begründung ist, desto mehr Gestaltungsraum wird dem Gesetzgeber bei der Lastenkumulation – in Grenzen – zuzubilligen sein. Spiegelbildlich ergibt sich hieraus die gesetzgeberische Pflicht, unbegründete Überschneidungen von Bemessungsgrundlagen, die zu einer intransparenten und inhaltlich nicht gerechtfertigten Mehrfachbelastung führen, zu vermeiden, und gegebenenfalls gegenseitige Abzugsmöglichkeiten oder auch Anrechnungen von Steuern vorzusehen. Entsprechende Scharniernormen zur Abgrenzung und Anrechnung sind deshalb zwingend.
  9. Die bundesstaatliche Verteilung der Besteuerungs-zuständigkeiten in Art. 105 ff. GG hat nicht nur kompetenzbegründende, sondern auch belastungs- mäßigende Funktion, insbesondere durch die Benennung zulässiger Steuerquellen und die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Gleichartigkeitsverbote. Ungeachtet dessen gilt, dass die grundrechtlichen Besteuerungsmaßstäbe ohne Einschränkung auch bei der Kumulation von Steuern greifen, die auf unterschiedlichen Ebenen des Bundesstaates ausgestaltet und erhoben werden. Die Grundrechte können deshalb einem späteren Hinzutreten einer erheblichen, im Ergebnis überfordernden steuerlichen Belastung im föderalen Belastungsgefüge entgegenstehen.
  10. Aus dem bundesstaatlichen Gebot der föderalen Rücksichtnahme ist abzuleiten, dass Bund, Länder und Gemeinden bei der Inanspruchnahme von Steuerquellen maßvoll bleiben müssen, um zu verhindern, dass die steuerliche Gesamtleistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen bereits durch einzelne Steuern voll in Anspruch genommen wird, ohne dass andere, verfassungsrechtlich zugeordnete Steuerquellen substanzhaltig genutzt werden könnten.
  11. Die Analyse des historisch gewachsenen Gesamtsteuersystems und der jeweiligen Anknüpfungspunkte der Einzelsteuern mündet in einem Plädoyer für eine bereinigende Reduzierung der Anzahl der Steuerarten. Der Marktertrag sollte allein durch die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer erfasst werden, der marktferne Vermögenszuwachs durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Der Grundsteuer kommt als Realsteuer der Gemeinden mit Äquivalenzbezug eine Sonderrolle zu. Die in der Vermögensverwendung zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit wird durch die – bereits differenzierungsfähige – Umsatzsteuer erfasst. Daneben mögen einige wenige weitere Steuern auf die Leistungsfähigkeit stehen, die sich in besonderen Formen der Vermögensverwendung manifestiert. Eine derartige Vereinfachung des Vielsteuersystems führt die Besteuerung auf tragfähige, konsistent ineinandergreifende Belastungsgründe zurück, sichert damit eine freiheits- und gleichheitsgerechte Gesamtbelastung und enthebt vom Erfordernis zahlreicher Abgrenzungs- und Anrechnungsregeln.
  12. Entgeltende Abgaben unterscheiden sich von Steuern im Belastungsgrund und folglich in den grundrechtlichen Maßstäben. Sie sind deshalb auf die kumulative Steuerlast nicht anzurechnen. Dies gilt aber nur so lange und so weit, wie die besonderen Belastungsgründe der entgeltenden Abgaben tatsächlich tragen. Sollte der Staat in Betracht ziehen, die Finanzierung bestimmter allgemeiner Staatsaufgaben durch die Erhebung entgeltender Abgaben zu individualisieren, ergäbe sich daraus ein erhebliches kompetenzrechtliches und auch grundrechtliches Problem. Besondere Aufmerksamkeit verlangen dabei die ohnehin in problematischer Nähe zu den Steuern stehenden Sonderabgaben. Die besondere Sachverantwortung einer gesellschaftlichen Gruppe, die eine Sonderabgabe rechtfertigt, muss offensichtlich sein und der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Abgabe vorausliegen.

„Leistungsgerechtigkeit ist der Kern des Aufstiegsversprechens: Wer hart arbeitet, dem soll genügend Geld für ein gutes Leben und für den Vermögensaufbau bleiben. Die Steuerquote darf deshalb nicht weiter ansteigen. Auch aus verfassungsrechtlicher Betrachtung muss jedem Steuerpflichtigen ein wesentlicher Teil seines Einkommens verbleiben. Es ist jetzt Aufgabe der Politik, die Grenze hierfür zu definieren.“

Karl-Heinz Paqué

Ausgangslage und Gutachtenauftrag

Über viele Jahre ist das Steueraufkommen in Deutschland stetig und kräftig angestiegen, allein im letzten Jahrzehnt von rund 483 Mrd. Euro (2010) auf rund 736 Mrd. Euro (2019).1 Im internationalen Vergleich bewegt sich die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben in Deutschland auf einem hohen Niveau.2 Schon seit einiger Zeit wird deshalb eine Anpassung angemahnt, insbesondere mit Blick auf das Zusammenwirken und die Höhe von Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer,3 mit Blick auf den Verlauf des Einkommensteuertarifs4 oder auch mit Blick auf die Weitererhebung des Solidaritätszuschlags.

Infolge der Corona-Krise wird die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der zulässigen Steuerbelastung nun noch drängender. Zur Krisenbewältigung nimmt allein der Bund im Jahr 2020 rund 218 Mrd. Euro neuer Schulden auf,6 fast fünfmal so viel wie im bisherigen Rekordverschuldungsjahr 2010 zur Bekämpfung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise (44 Mrd. Euro). Der Schuldenstand steigt dadurch auf rund 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an. Auch wenn rasches und kraftvolles Handeln in Reaktion auf den coronabedingten Konjunktureinbruch geboten ist,7 werden die Staatsschulden in Zukunft aus Steuermitteln zurückgezahlt werden müssen, woraus sich neuer, weiterer steuerlicher Belastungsdruck ergeben wird.

Vor diesem Hintergrund hat mich die Friedrich-Naumann- Stiftung für die Freiheit gebeten, zu der grundsätzlichen Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der zulässigen Steuerbelastung Stellung zu nehmen. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei nicht nur auf die für einzelne Steuern geltenden Erhebungsgrenzen, sondern gerade auch auf die verfassungsrechtlichen Maßgaben, die an die – aus Sicht des Steuerpflichtigen entscheidende kumulierte steuerliche Belastung, insbesondere die Gesamtbelastung, anzulegen sind. Es handelt sich hierbei um eine gegenwärtig klar im Raum stehende Fragestellung, die steuerrechtswissenschaftlich fundamental bedeutsam und rechtspraktisch höchst relevant ist. Sie lenkt das Augenmerk auf das Nebeneinander und das Zusammenwirken der Einzelsteuern im Vielsteuersystem, auf die Bedeutung der jeweiligen Belastungsgründe für die verfassungsrechtliche Beurteilung, auf den Topos der Gesamtleistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, auf die Frage nach einer erforderlichen Abstimmung der Steuerbelastungen im föderalen Gefüge und zudem auf das Verhältnis zwischen Steuern und nichtsteuerlichen Abgaben.

 

„Die Analyse des historisch gewachsenen Gesamtsteuersystems und der jeweiligen Anknüpfungspunkte der Einzelsteuern mündet in einem Plädoyer für eine bereinigende Reduzierung der Anzahl der Steuerarten. (…) Eine derartige Vereinfachung des Vielsteuersystems führt die Besteuerung auf tragfähige, konsistent ineinandergreifende Belastungsgründe zurück, sichert damit eine freiheits- und gleichheitsgerechte Gesamtbelastung und enthebt vom Erfordernis zahlreicher Abgrenzungs- und Anrechnungsregeln.“

Prof. Dr. Hanno Kube
Hanno Kube

Historische Entwicklung des Vielsteuersystems

Steuern als Spiegel ihrer Zeit

Steuern sind stets ein Spiegel ihrer Zeit. Steuern spiegeln Herrschaftsstrukturen und Staatsverständnisse, Wertungen über besteuerungswürdige Sachverhalte und auch die faktischen Möglichkeiten und Grenzen der Steuererhebung wider. Ein dirigistischer Staat, der Sicherheit und Planung in den Mittelpunkt stellt, mag zu einer Kopfsteuer tendieren und im Übrigen Verbrauchsabgaben erheben. Der moderne, auf die freiheitliche Privatwirtschaft gegründete Staat wählt dagegen die vom Einzelnen erwirtschafteten Erträge als wesentliche Grundlage der Besteuerung, weil diese Erträge unter Nutzung der staatlich bereitgestellten.

Tatsächliche und verfassungsrechtliche Fortschreibung hergebrachter Besteuerungsformen

Trotz dieser ganz erheblichen Wandlungen über die Zeit ist zu beobachten, dass Steuern, die einmal eingeführt worden waren, oftmals beibehalten wurden und werden. Das beste Beispiel ist die soeben skizzierte Vermögensteuer, die Soll-Erträge im Vermögensbestand typisiert und die trotz Einführung der Ist-Einkommensteuer im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht aufgegeben, sondern teilweise weitererhoben wurde. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Preußen entwickelte Fundustheorie11 war der Versuch einer nachgeschobenen, neuen Rechtfertigung der Vermögensteuer zur Begründung des Nebeneinanders von historisch nacheinander entstandenen, gleichermaßen auf den Ertrag zugreifenden Steuern.

Mitunter ist es gerade auch die Bequemlichkeit der Erhebung, die dazu veranlasst, Steuern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einem bestimmten, den Zeitumständen geschuldeten Anlass eingeführt wurden, fortzuschreiben. Besonders bequem ist die Erhebung indirekter, im Preis überwälzter Steuern auf den Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen. Einmal – zumal unter Verweis auf einen besonderen staatlichen Finanzierungsbedarf – ausgestaltet, bleiben diese Steuern oftmals bestehen, wie beispielsweise die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführte Schaumweinsteuer. Vor diesem Hintergrund haben wir es heute mit einer großen Zahl verschiedener, besonderer Verbrauch- und Aufwandsteuern neben der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer zu tun.

Normativ ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass historisch hergebrachte Steuern vielfach durch verfassungsrechtliche (Kompetenz-)Normen, die an Altbestände anknüpfen, durch die Zeit getragen werden und damit gleichsam perpetuiert zu werden scheinen.

Doch ergeben sich hieraus mögliche Steuerkumulationen, die sich freiheits- und gleichheitsgrundrechtlich zu rechtfertigen haben. Die kompetenzrechtliche Anlage historisch hergebrachter Steuerbestände enthebt mit anderen Worten nicht von der grundrechtlichen Prüfung.13 Dies leitet über zu den grundrechtlichen Maßstäben einer verfassungsgemäßen Besteuerung nach dem Grundgesetz.

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