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Nationaler Sicherheitsrat
Nationaler Sicherheitsrat für Deutschland – Chance erkannt, aber auch genutzt?

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU sieht die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats vor.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU sieht die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats vor.

© picture alliance / dts-Agentur | -

Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrat wird in Deutschland seit längerem diskutiert und ist bereits seit einiger Zeit eine liberale Kernforderung zur Verbesserung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Dass eine Verbesserung der Koordinations- und Strategiefähigkeit nötig ist, zeigt nicht nur allgemein die deutsche Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der letzten zwei Jahrzehnte. Auch die Abschlussberichte der beiden in der vergangenen 20. Wahlperiode zur Aufarbeitung des deutschen Afghanistan-Engagements eingesetzten Bundestagsgremien (Enquete Kommission und Untersuchungsausschuss) legen nahe, dass ein gut konzipierter Nationaler Sicherheitsrat eine Verbesserung darstellen würde. Insofern ist es zunächst zu begrüßen, dass sich die nahende neue Koalition dazu entschlossen hat, einen Nationalen Sicherheitsrat einzusetzen. So richtig der Vorstoß zur Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats auch ist, so sehr hängt der Erfolg dieser Initiative von der konkreten Umsetzung ab. Grund genug, die im Koalitionsvertrag enthaltenen Ideen genauer zu betrachten.

Was genau steht im Koalitionsvertrag?

Der Koalitionsvertrag enthält neben der generellen Absichtserklärung zur Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats auch eine vage Beschreibung dessen, was man sich von dem Gremium erhofft und wo es organisatorisch aufgehängt werden soll. Im Wortlaut heißt es:

Wir entwickeln den Bundessicherheitsrat, im Rahmen des Ressortprinzips, zu einem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt weiter. Er soll die wesentlichen Fragen einer integrierten Sicherheitspolitik koordinieren, Strategieentwicklung und strategische Vorausschau leisten, eine gemeinsame Lagebewertung vornehmen und somit das Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung sein.

Ergänzend hierzu und in Abgrenzung zum Nationalen Sicherheitsrat sieht der Koalitionsvertrag zwei weitere Gremien vor, einen Nationalen Krisenstab und ein Nationales Lagezentrum:  

Für eine ganzheitliche Bewältigung von Krisen braucht Deutschland einen Bund-Länder- und ressortübergreifenden Nationalen Krisenstab der Bundesregierung und ein Nationales Lagezentrum im Bundeskanzleramt, in dem ressortübergreifend ein Gesamtlagebild zusammengefügt wird.

Die Chance wurde erkannt…

Die Anbindung an das Bundeskanzleramt ist, da dem Sicherheitsrat eine ressortübergreifende Koordinierungsfunktion zugedacht ist, nur folgerichtig. An der Frage, ob der Nationale Sicherheitsrat im Kanzleramt oder im AA angesiedelt werden soll, war die Initiative zur Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats in der letzten Koalition gescheitert. Deshalb ist es gut, dass die Zuständigkeit von Vornherein geklärt wird.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass der Nationale Sicherheitsrat (NSR) aus einem weiterentwickelten Bundessicherheitsrat (BSR) hervorgehen soll. Dies ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen kehrt der Bundessicherheitsrat hierdurch wieder stärker zu dem Auftrag zurück, für den er ursprünglich gegründet wurde. Zusätzlich werden durch die Nutzung des BSR als Nukleus für den Nationalen Sicherheitsrat kostspielige und ineffiziente Parallelstrukturen vermieden und der Prozess ist relativ niedrigschwellig über eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrats initiierbar.

Es bleiben jedoch offene Fragen hinsichtlich der exakten Ausgestaltung der Zusammensetzung, der Arbeitsstruktur und der exakten Einbindung des Nationalen Sicherheitsrates in die Abläufe der von der Arbeit des Nationalen Sicherheitsrats betroffenen Ministerien und Behörden. Eine bis ins letzte Detail konkretisierte Vorstellung kann von einem Koalitionsvertrag sicher nicht erwartet werden. Die erforderliche Präzision an einigen und Erwähnung wichtiger Strukturelemente an anderer Stelle sind jedoch für den Erfolg und die zeitnahe Umsetzung eines Nationalen Sicherheitsrats essenziell.

…aber nicht ganz genutzt

Damit der Nationale Sicherheitsrat, die ihm im Koalitionsvertrag zugedachten Aufgaben Strategieentwicklung, strategische Vorausschau, Lagebewertung und Koordinierung der integrierten Sicherheitspolitik tatsächlich wahrnehmen kann, reicht es nicht, diesen ausschließlich als Kabinettsausschuss zu denken, in dem sich die Spitzen der sicherheitsrelevanten Ministerien gemeinsam mit dem Bundeskanzler über aktuelle sicherheitspolitische Fragestellungen austauschen. Vielmehr bedarf es, neben eines angegliederten Sekretariats, zusätzlich eines ständig arbeitenden fachlichen „Arbeitsmuskels“. Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats darf nicht einfach zu einer Mehrbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien werden, sondern muss vielmehr die Prozesse aus den Ministerien und nachgeordneten Bereichen aufgreifen und dort erstellte Analysen zusammenführen, ressortübergreifende Strategieprozesse und deren Umsetzung betreuen sowie darauf aufbauend Entscheidungen vorbereiten. Zudem könnte aus dem Sicherheitsrat heraus die Koordinierung der Konzeption und Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie erfolgen. Sofern die neue Bundesregierung eine solche plant. Ein Update der Nationalen Sicherheitsstrategie ist trotz der drastisch veränderten sicherheitspolitischen Situation Deutschlands im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen.

Damit im Sicherheitsrat eine gemeinsame Lagebewertung stattfinden kann, muss dieser zudem eine Schnittstelle zum ebenfalls von der Koalition vorgesehenen Nationalen Lagezentrum aufweisen. Ob es tatsächlich sinnvoll ist, parallel zum Nationalen Sicherheitsrat einen Nationalen Krisenstab einzurichten, darf hinterfragt werden. Sinnvoller wäre es vielmehr, eine Krisenstabfunktion in der Konzeption des Nationalen Sicherheitsrats bereits mitzudenken und auf ein weiteres Gremium zu verzichten, für welches die Zuständigkeiten und wichtige strukturelle Fragen im Koalitionsvertrag überdies nicht geklärt werden. Eine Integration in den NSR würde zudem die Möglichkeit eröffnen die wichtige Einbindung der Länder, die die Koalition beim Krisenstab mitgedacht, aber beim Sicherheitsrat übersehen hat, noch nachzuholen.

Der Geist der Gesamtverteidigung fehlt im NSR

Der Sicherheitsrat ist im Koalitionsvertrag im Kapitel „Kohärenz im Außenhandeln“ untergebracht. Daher stellt sich die Frage der Fokussetzung des Sicherheitsrats. In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit – nicht zuletzt durch hybride Bedrohungsszenarien – immer mehr verwischen, muss dieser Umstand auch in der Ausgestaltung des Nationalen Sicherheitsrats Beachtung finden.

Mit der Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats stellen sich aber auch Fragen der Parlamentarische Kontrolle: der Bundessicherheitsrat, aus dem der Nationale Sicherheitsrat hervorgehen soll, tagt geheim. Will man nun nicht mehr, wie in der jüngeren Vergangenheit, überwiegend Rüstungsexporte dort diskutieren und beschließen, sondern dort umfassende Weichenstellungen der deutschen Sicherheitspolitik vornehmen, stellt sich somit auch die Frage, wie gewährleisten werden kann, dass die Prozesse im Nationalen Sicherheitsrat - unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen - transparent erfolgen.   

Ein Nationaler Sicherheitsberater als konsequente Ergänzung

Im Koalitionsvertrag ist bisher nicht festgehalten, ob geplant ist, gemeinsam mit dem Nationalen Sicherheitsrat auch das Amt eines Nationalen Sicherheitsberaters zu etablieren. Aktuell übt der Leiter der Abteilung 2 im Bundeskanzleramt eine vergleichbare Rolle aus, welche jedoch weitgehend außen- und verteidigungspolitisch geprägt ist. Es wäre zu prüfen, inwieweit hier eine Umstrukturierung und Verflechtung von Abteilung 2 mit den Arbeitsstrukturen des Nationalen Sicherheitsrats sinnvoll ist.

Fest steht, dass die Etablierung eines tatsächlichen Nationalen Sicherheitsberaters als obersten Lobbyisten für Sicherheitsthemen innerhalb der Regierung essenziell dafür ist, sicherheitspolitisch relevante Entscheidungsprozesse voranzutreiben und strategischen Fragestellungen auch im politischen Tagesgeschäft Gehör zu verschaffen. Um dem Sicherheitsberater auch hierarchisch mehr Gewicht zu geben, sollte erwogen werden, dieses Amt auf Ebene der Staatssekretäre zu etablieren und mit entsprechenden Vortragsrechten im Sicherheitsrat zu versehen.

Zusammenfassung

Dass die werdende Koalition die Kraft für notwendige Strukturreformen im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik findet, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt entsteht jedoch der Eindruck, dass sich das Konzept von SPD und Union noch in einem frühen Stadium befindet und noch nicht ausgereift ist. Die politische Debatte über die konkrete Ausgestaltung eines Nationalen Sicherheitsrats hat gerade erst begonnen und man darf gespannt sein, welche der Ideen, die momentan in Fachkreisen diskutiert werden, am Ende Realität werden.

Wie auch immer die Debatte ausgeht: Es bleibt festzuhalten, dass die kommende Regierung vor Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Herausforderungen steht, wie es sie in diesem Ausmaß seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat. Man kann ihr nur Erfolg wünschen.