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Liberale Denker
Hildegard Hamm-Brücher: “Bildung ist kein Luxus“ (11.5.1921-7.12.2016)

Hildegard Hamm-Brücher

Hildegard Hamm-Brücher widmete ihr Leben dem Kampf für Demokratie und Bürgerrechte.

© picture-alliance / dpa | dpa

Kurzbiographie

Hildegard Hamm-Brücher war die erste Frau, die für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte und eine streitbare Liberale, die ihr Leben dem Kampf für Demokratie und Bürgerrechte widmete. Hamm-Brücher wurde in Essen geboren und wuchs Berlin-Dahlem auf. Ihre Kindheit und Jugend war klassisch-bildungsbürgerlich geprägt, obwohl sie durch den frühen Tod ihrer Eltern einen frühen Schicksalsschlag verkraften musste – doch ihr „Stück unbeschwerter Jugend“ endete mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die sie fortan als „Halbjüdin“ diskriminierten und Familienmitglieder in den Tod trieben. So starben zwei ihrer Brüder in nationalsozialistischen Arbeitslagern während sich ihre jüdische Großmutter vor der Deportation in das KZ Theresienstadt das Leben nahm. Vor allem die Bekanntschaft mit Vertretern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, darunter Sophie Scholl, sollte ihr Leben und ihr Engagement für die demokratische Bürgergesellschaft maßgeblich prägen. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat sie der FDP bei, wurde Teil des bayerischen Landtags und von 1976 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestags. Als Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium (1967-1969) und vor allem im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (1969-1972) prägte sie die bundesdeutsche Bildungspolitik maßgeblich mit. Auch im Auswärtigen Amt, dem sie ab 1976 als Staatsministerin von Hans-Dietrich Genscher angehörte, setzte sie maßgebliche Akzente, bevor sie nach dem „Machtwechsel“ 1982 aus der Regierung ausschied. Nicht nur als Mitglied des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung (1958 bis 1993), sondern auch in verschiedensten anderen Ämtern und als Buchautorin prägte sie die politische Kultur der Bundesrepublik im freiheitlichen Sinne – zuletzt als „freischaffende Liberale“ nach ihrem Parteiaustritt aufgrund der von ihr später als „antizionistischen Welle“ bezeichneten Aktionen Jürgen Möllemanns.

Damals und heute

Bildungspolitik war für Hamm-Brücher ein Lebensthema. Sie war dabei nicht nur von der Überzeugung getragen, dass Bildungspolitik die „wichtigste Form der Sozialpolitik“ sei, sondern arbeitete auch die Bedeutung der Schule für die demokratische Bürgergesellschaft heraus. Hier sollten die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Staatsbürgern und echten Demokraten gebildet werden, die Verantwortung für sich und andere übernehmen können. Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Shoah und dem auch in der Bundesrepublik stets virulenten Antisemitismus spielten dabei eine zentrale Rolle. Aber auch Bildungsgerechtigkeit, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen und Pläne für mehr Durchlässigkeit prägten ihre Politik in Theorie und Praxis. Die Probleme – von der Finanzierung über die Demographie bis hin zur Bürokratie – sah sie dabei mit großem Scharfsinn und außerordentlicher Fachkenntnis. Doch am Ende stand für sie das „Plädoyer gegen die Resignation“, denn: „Bildungschancen sind Überlebenschancen.“

Nein. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Gordischen Knoten durchzuschlagen: nämlich zur Praxis in Europa vor dem Ersten Weltkrieg zurückzukehren: also grundsätzlich alle hochschulberechtigten Abschlüsse in Europa und alle Zwischenphasen und alle Studienabschlüsse innerhalb Europas anzuerkennen. Wenn wir uns nicht dazu aufraffen, werden wir noch zehn oder zwanzig Jahre lang Erbsen oder Fliegenbeine zählen und in dieser schwierigen Äquivalenz-Problematik außer Empfehlungen und Absichtserklärungen in der Praxis allenfalls Millimeter weiterkommen.

Hildegard Hamm-Brücher, Bundestagsrede am 18. Oktober 1979 (als Staatsministerin im AA).

Alles in allem haben wir hinzugelernt, daß die Wege, die zu den als richtig erkannten bildungspolitischen Zielen führen, länger und beschwerlicher sind als ursprünglich gedacht. […] Das schöne Wort, das alle Reformer seit eh und je auf ihre Fahne geschrieben haben, heißt nicht ohne Grund Fortschritt und nicht Fortsprung. Fortschritt besteht aus Schritten, nicht aus Sprüngen, sonst endet das wie bei einer Echternacher Springprozession als Rückschritt oder gar im Abseits. Das heißt also wiederum: Nicht sprunghaft und ungeduldig sein, sondern schrittweise voran- und fortschreiten.

Hildegard Hamm-Brücher, Bildung darf kein Luxus sein (1976).

Ich bin ein Typ, der nicht so schnell aufgibt und ich habe mir gesagt: Meine Güte, was haben wir als Deutsche in der Welt und bei uns angerichtet! Was bedeutet eine Diktatur, in der nur noch Märtyrer bereit sind, etwas zu ändern! Wenn das so ist, dann müssen wir doch in Zeiten der Freiheit etwas tun. Diese Erfahrung ist jungen Menschen schwer verständlich zu machen, weil sie in Freiheit aufwachsen und die Bedrohung einer Diktatur gar nicht nachempfinden können. Und gerade deshalb dürfen junge Menschen sich nicht von der Mühsal politischer Arbeit entmutigen lassen, sondern müssen dran bleiben, auch wenn sie nur wie die Schnecke vorankommen.

Hildegard Hamm-Brücher, "Dann müssen wir doch in Zeiten der Freiheit etwas tun ... " (Schülergespräch 2000)

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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