DE

Politik
Walter Scheel wird FDP-Vorsitzender

Das Liberale Archiv erklärt die Umstände, unter denen Walter Scheel den Vorsitz übernahm
Erich Mende und Walter Scheel, FDP-Bundesparteitag 1968 in Freiburg

Erich Mende und Walter Scheel auf dem FDP-Bundesparteitag 1968 in Freiburg

© Foto Darchinger. Nutzungsrecht FNF. ADL, Audiovisuelles Sammlungsgut, FD-128b

Eigentlich war der „Neue“ nicht um seine neue Aufgabe zu beneiden. Während normalerweise der Parteivorsitz eine umworbene und prestigeträchtige Position ist, waren die Zeiten Anfang 1968 für die FDP alles andere als „normal“. 

Gut ein Jahr zuvor hatte man die Koalition mit Wunschkanzler Ludwig Erhard aufgeben müssen und befand sich seitdem in der Opposition gegen eine übermächtige Große Koalition, der man mit 10 % der Mandate kaum etwas entgegensetzen konnte. Im Jahr 1967 war zunächst Thomas Dehler, einer der profiliertesten Liberalen, der schon einmal die Partei in der Opposition stabilisiert hatte, plötzlich verstorben. Und dann hatte Parteichef Erich Mende seinen Rückzug durch das Wechseln zu einem windigen Finanzkonzern erklärt. Zu allem Überfluss war der künftige Kurs innerparteilich heftig umstritten, wie der vorhergehende Parteitag in Hannover gezeigt hatte.

In dieser Position bedurfte es einer gehörigen Portion Mutes, die Führung zu übernehmen. Diesen Mut hatte Walter Scheel zweifellos schon mehrfach unter Beweis gestellt, sei es als Düsseldorfer „Jungtürke“, sei es als erste Minister für Entwicklungshilfe, sei es als jemand, der seinen Rücktritt nicht nur ankündigte, sondern vollzog – und dabei zwei Mal einen Kanzler stürzte.

Scheel war aber keineswegs ein „blinder Draufgänger“, sondern er verfügte auch über viel Weitsicht: So war er – gegen die damalige Parteimehrheit – für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gewesen. So hatte er früh die Bedeutung der Entwicklungspolitik erkannt und bei den Koalitionsverhandlungen 1961 ein entsprechendes Ministerium durchgesetzt.

Ein „Parteimann“ war Scheel allerdings nicht so recht, sondern eher einer Mann des Parlaments: Seit 1948 hatte er allen parlamentarischen Ebenen von der Kommune bis zum Europaparlament angehört und übte aktuell das Amt des Bundestagsvizepräsidenten aus. Vor diesem Hintergrund an die Parteispitze zu treten, war also auch riskant. Doch die Delegierten des Parteitages in Freiburg wollten mit großer Mehrheit dieses Risiko eingehen und wählten Scheel mit fast 90 % Zustimmung zu ihrem Vorsitzenden.

Dieser ging seine schwere Aufgabe mit dem ihm eigenen Mut an und forderte vor allem ein neues Selbstbewusstsein: „Wir müssen unsere Anhänger dadurch gewinnen, dass wir mutig Meinungen aussprechen, die eine Mehrheit an Gegnern hat. Wir können unmöglich hoffen, Anhänger zu gewinnen, wenn wir permanent den Versuch unternehmen, es allen recht zu machen. … Es gibt dem Fortschritt aufgeschlossene Leute, und das sind unsere Leute.“

Dieser Mut sollte belohnt werden: Zwei Jahre später hatte zwar die FDP das bis dahin schlechteste Wahlergebnis erzielt, die damit aber dennoch errungene Schlüsselposition aber unter der Führung von Scheel dazu genutzt, einen grundlegenden Kurswechsel in der nationalen Politik einzuleiten. Unter dem Vizekanzler und Außenminister Scheel war der liberale Einfluss auf die Bundespolitik größer als jemals zuvor.

 

Erstmals erschien dieser Text in der Reihe „Liberale Stichtage“ am 30.01.2018 unter dem Titel „Vor 50 Jahren wurde Walter Scheel FDP-Vorsitzender“.