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Politik auf zwei Rädern

Erste politische Fahrradtour entlang des Tagebaus Hambach
Titel

F wie Freiheit - F wie Fahrrad

In Kooperation mit dem Rhein-Erft Tourismus e.V. und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) e.V. lud die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit unter dem Titel „Touristische Erschließung einer Industrieregion“ zur ersten politischen Fahrradtour entlang des Tagebaus Hambach. Dabei konnten sich die Teilnehmer ein Bild von einer Landschaft machen, die die Region vor ganz besondere Herausforderungen stellt.

NRW ist das Bundesland mit der größten Braunkohleförderung. Der nördliche Rhein-Erft-Kreis wird seit Jahrzenten vom Braunkohletagebau geprägt. Die Braunkohle ist immer noch ein wichtiger, aber auch umstrittener Energieträger in Deutschland. Doch was passiert nach der Braunkohle? Wie können der Strukturwandel und die touristische Nutzung erfolgreich gestaltet werden?

Im Jahre 1978 wurde mit dem Braunkohlentagebau Hambach bei Köln begonnen. Seitdem entsteht zwischen Bergheim und Jülich das “größte Loch Europas”. Gleichzeitig laufen die Arbeiten an der Umwandlung des Gebietes für die Zeit nach der Braunkohleförderung, die 2045 beendet sein soll. Hier entsteht unter dem Namen :terra nova eine Zukunftslandschaft, die Einheimische wie Touristen anlocken soll. Dazu wurde auf der Trasse einer ehemaligen Fernbandanlage zwischen dem Bergheimer Ortsteil Niederaußem bis hin zum Tagebau Hambach in Elsdorf ein Freizeit-Speedway angelegt, der Radfahrer und Skater einlädt.

Auf einer etwa 20km langen Fahrradtour, die von freiwilligen Ersthelfern der lokalen DLRG-Ortsgruppe begleitet wurde, erfuhren die Teilnehmer die Geschichte und Entwicklung des Gebietes und diskutierten anschließend im Forum :terra nova. Entlang des fünf Meter breiten Asphaltwegs machte die Gruppe an mehreren Aussichtspunkten Halt, um unter anderem einen spektakulären Blick in den rund 400 Meter tiefen Tagebau zu werfen.

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Helfer von ADFC und DLRG am Bahnhof Glesch

„Wo soll unsere Energie dann herkommen?“

Josef Gromadzki, selbst über 40 Jahre lang Bergbauer und heute als Gästeführer im rheinischen Braunkohlerevier aktiv, berichtete von seinen langjährigen praktischen Erfahrungen und erläuterte, wie der Braunkohleabbau funktioniert. Etwa 90% der über 100 Tonnen Braunkohle, die jedes Jahr in der Region gefördert werden, werden in Strom umgewandelt. Dabei habe in den letzten Jahrzehnten der technische Fortschritt die Effizienz verfünffacht. Während ältere Kraftwerke für eine Kilowattstunde Strom noch fünf Kilogramm Braunkohle benötigen, sei es heute nur noch ein Kilogramm. „Im gleichen Maße sind auch die Schadstoffemissionen zurückgegangen“, freute sich Gromadzki.

Trotz der Belastungen für Bauern und Umsiedler verteidigte Gromadzki den Braunkohleabbau: „Wenn wir keine Atomenergie und keine Braunkohle mehr wollen, wo soll unsere Energie dann herkommen?“. Die Umweltaktivisten, die häufig im Wald campen und kürzlich wieder einen Schaufelradbagger besetzt haben, könne er nicht verstehen: „Diese Leute sind zwar gegen die Braunkohle, aber Alternativvorschläge kommen von dort auch nicht.“ Am Beispiel von :terra nova könne man sehr gut erkennen, welches Potential in solch einer Industrielandschaft stecke und was aus ihr entstehen könne: Naturschutzgebiete, Seen, Wander- und Radwege.

Tourismus ins Bewusstsein rücken

Welche Anziehungskraft solche angelegten Erholungsgebiete haben, berichtete Mirca Litto, Leiterin des Rhein-Erft Tourismus e.V. und des RadRegionRheinland e.V.. Zum dritten Mal schon haben in diesem Jahr auf dem :terra nova-Gelände die internationalen deutschen Meisterschaften im Zeitfahren und der Eurocup der Paracycler stattgefunden: „Wir haben hier rund um den Speedway ein optimales Gelände für diesen Sport. Dank einer hervorragenden interkommunalen Zusammenarbeit haben wir es erneut geschafft, das Sportereignis nach Elsdorf zu holen –  trotz der Tatsache, dass Radrennen, gerade im Bereich Behindertensport, nicht mit besonders viel Geld unterstützt werden.“ Die Region konnte sich somit im Sommer über Besucher aus 18 Nationen freuen, die natürlich auch Geld in die Region gebracht haben.

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v.l.n.r. Daniel Wegerich, Henning Kaseler, Mirca Litto

Oft sei der Tourismus im öffentlichen Bewusstsein in NRW auf den hinteren Plätzen, sagte Litto. Dabei gebe es viele Menschen, die in Nordrhein-Westfalen Kurzreisen unternehmen. Gerade der Radtourismus sei im Kommen. Über 3000 Kilometer Radwegenetz seien in den über 60 Kommunen der RadRegionRheinland heute befahrbar. „Der Aufbau dieses Radwegenetzes hat viele Jahre gedauert“, berichtete Litto. Während das Radwegenetz im Rhein-Erft-Kreis nun schon sehr gut ausgebaut sei, gebe es noch andere Regionen, beispielsweise im Bergischen, wo man das Netz noch deutlich kleinmaschiger gestalten könnte.

Die Nachfrage nach Fahrradinfrastruktur ist groß – auch im digitalen Bereich. Für moderne Radfahrer in der Region gibt es mit „QuoRadis“ mittlerweile eine kostenfreie App, die Nutzer vom Rhein-Kreis Neuss bis zum Rhein-Sieg-Kreis sprachgesteuert navigiert und gleichzeitig wie ein Reiseleiter Informationen zu den Wegepunkten gibt. Seit ihrem Erscheinen wurde die innovative App schon 35.000 heruntergeladen.

Mit Stolz aus dem Kohlenpott

Laut Daniel Wegerich, Geschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs NRW, ist Nordrhein-Westfalen ist absolutes Fahrradfahrerland. 25 Prozent der Mitglieder des ADFC Deutschland seien aus NRW. Auch der Anteil des Radtourismus am Gesamttourismus in Deutschland sei mit zehn Prozent nicht zu verachten. Das Zweirad könne damit zum wichtigen Baustein in der touristischen Entwicklung der ehemaligen Braunkohlegebiete im Rhein-Erft Kreis werden: „Wir befinden uns hier in einer Region, die sich gerade aufmacht, sich touristisch zu entwickeln. Radfahren ist da ein wichtiger Aspekt. Denn Radtourismus ist ganz klassische Wirtschaftsförderung für Gastgewerbe, Hoteliers und Sehenswürdigkeiten.“

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Durch Radtourismus entwickele sich zusätzlich automatisch ein Markt für den Fahrradverleih. „Heutzutage ist es im Trend, bei einem Radurlaub sein eigenes Gefährt zu Hause zu lassen, um sich in der Urlaubsregion ein gutes Rad auszuleihen“, erklärte Wegerich. Doch auch die Einheimischen sollte man nicht vergessen, meinte der Experte. Die Einwohner sollten ihre eigene Heimat kennen und sie als Naherholungsgebiet erkunden - auch um dann für sie Werbung machen zu können. Wegerich, der aus dem Ruhrgebiet stammt, berichtete von seinen eigenen Erfahrungen: „Das Ruhrgebiet hatte früher als Kohleregion ein sehr schlechtes Image. Mit dem Strukturwandel hat sich auch ein großer Imagewandel vollzogen. Heute erzählen die Menschen mit Stolz, dass sie ‘aus dem Kohlenpott‘ kommen.“

Wegerich verwies auf die Radstationen, ein Erfolgsprojekt, das in NRW entwickelt und mittlerweile auch in andere Bundesländer übernommen wurde. An rund siebzig Orten in NRW gibt es heute Radstationen, die nicht nur sichere Parkmöglichkeiten für Fahrräder, sondern auch Mieträder, Reparaturen und Zubehör anbieten. Doch nur in den seltensten Fällen werden Radstationen wirtschaftlich betrieben. Dies funktioniere vor allem in Städten, die touristisch gut aufgestellt sind, wie zum Beispiel Köln. Hier könne noch einiges verbessert werden, beispielsweise in der Zusammenarbeit der einzelnen Stationen. Dennoch seien sie ein wichtiger Baustein, um allen Verkehrsteilnehmern die Freiheit zu ermöglichen, zwischen verschiedenen Fahrzeugen zu wechseln. Je besser die Infrastruktur für das Fahrrad werde, desto attraktiver werde es auch, sich auf zwei Rädern fortzubewegen.

Freizeit und Politik

Die erste politische Fahrradtour der Stiftung für die Freiheit endete für die meisten Teilnehmer mit einer gemeinsamen Rückfahrt auf dem Fahrrad zum Bahnhof Bergheim-Glesch. Henning Kaseler, Forenleiter NRW und Organisator der Veranstaltung, war begeistert von dem besonderen Charakter der Exkursion: „Politische Bildung mit einem Freizeit-Erlebnis zu verbinden – das ist heute bei unseren Teilnehmern sehr gut angekommen. Für mich bedeuten diese Veranstaltungen zwar mehr Aufwand in der Organisation und Vorbereitung, aber auch viel Freude und eine lohnenswerte Arbeit!“

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