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Kosovo
Machtwechsel im Kosovo

Die Oppositionsparteien Vetevendosje und LDK werden wohl künftig regieren
Frau im Wahlbüro im Kosovo
Der Kosovo hat gewählt. © picture alliance / AP Photo

Kosovos vorgezogene Parlamentswahlen haben den erwarteten Machtwechsel, aber auch kleinere Überraschungen gebracht: Die bisher mitregierende liberale Neue Allianz Kosovos (AKR) von Außenminister Behgjet Pacolli hat den Parlamentseinzug wohl knapp verpasst.

Im fünften Wahlanlauf hat es Kosovos ewiger Rebell nun geschafft – und greift nach der Macht: Nach dem knappen Sieg der linksnationalistischen Vetevendosje (LVV), („Selbstbestimmung“), die aus den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag laut vorläufigem amtlichen Endergebnis mit 25,6 Prozent als stärkste Kraft hervorging, steht der frühere Studentenführer Albin Kurti vor der Übernahme der Regierungsgeschäfte.

Der mit Spannung erwartete Urnengang hat den vorhergesagten Machtwechsel, aber auch kleinere Überraschungen gebracht. Die in den Umfragen mit der Spitzenkandidatin Vjosa Osmani lange vorne liegende LDK (Demokratische Liga Kosovos) wurde im Endspurt von der LVV, die bereits aus dem Urnengang 2017 als stärkste Einzelpartei hervorging, noch überholt – und wurde mit 24,9 Prozent zweitstärkste Kraft. Auch etwas unerwartet hat das Wahlbündnis der beiden bisherigen Regierungspartner AKR und NISMA (Sozialdemokratische Initiative) mit 4,88 Prozent den Sprung ins Parlament vermutlich knapp verpasst.

Voraussichtliche Koalitionsregierung

Einen Wunschpartner für seine künftige Koalition hat der designierte Premier Kurti mit der bislang ebenfalls oppositionellen LDK bereits benannt: „Wenn die Opposition die Regierung stellt, wird der Wechsel gekrönt.“ Noch hält sich die LDK mit dem Verweis auf das noch ausstehende offizielle Endergebnis zwar bedeckt, hat aber die Bereitschaft zu Koalitionsgesprächen signalisiert.

In der Opposition kooperierten die bürgerliche LDK und die im Westen als radikal verrufene LVV recht gut. Während ihrer Koalition mit der bisher regierenden PDK (Demokratische Partei Kosovos) (2014-2017) hatte die Vetevendosje die LDK allerdings sehr heftig attackiert. Ob beide Parteien die von ihnen im Wahlkampf angekündigte „Regierung der Veränderung“ trotz ihrer programmatischen Unterschiede und Differenzen tatsächlich hinbekommen, ist unklar. Jeta Krasniqi, Analystin vom Kosova Democratic Institute (KDI) in Pristina, kommentiert: „Beide Seiten müssen dafür offen sein und den Kompromiss auch wollen.“

Tatsächlich deutet alles auf ein Bündnis der bisherigen Oppositionsparteien hin. Denn andere Regierungspartner drängen sich ohnehin nicht auf. Die bisherige Partei der Macht, die dem Präsident Hashim Thaci nahestehende PDK, hat nach ihrem enttäuschenden Ergebnis (21,05 Prozent) den Wechsel in die Opposition angekündigt: Ein Koalitionsangebot hätte sie von den Wahlsiegern LVV und LDK sowieso nicht erhalten. Die AAK (11,53 Prozent) des scheidenden Premiers Ramush Haradinaj ist als Mehrheitsbeschaffer zu schwach, die AKR von Außenminister Behgjet Pacolli parlamentarisch wohl nicht mehr vertreten.

Die Wähler hätten „eine andere Regierung gewollt und für den Wechsel gestimmt“, kommentiert Analystin Krasniqi den Denkzettel für die scheidenden Regierungsparteien. Mit der Umwandlung der Sicherheitskräfte in eine Kosovo-Armee und der Erhebung von 100-prozentigen Strafzöllen auf serbische Einfuhren habe die gescheiterte Regierung zwar auf „populistische Maßnahmen“ gesetzt: „Doch es scheint, als ob die Bürger vor allem die Hoffnung auf eine Regierung setzen, die Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft – und für bessere Lebensbedingungen sorgt.“

Kosovos neuer Hoffnungsträger?

Als eloquenter Kritiker der Macht hatte sich Albin Kurti schon in den neunziger Jahren einen Namen gemacht. Bereits 1997 schloss sich der damalige Elektrotechnik-Student der Untergrundarmee UCK an. In den Jahren 1997 und 1998 organisierte er die gewaltlosen Studentenproteste gegen die serbische Besatzung des Kosovo. Nach Ausbruch des Kosovo-Kriegs wurde er im April 1999 verhaftet und ein knappes Jahr später vom Bezirksgericht in Nis wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Erst Ende 2001 wurde Kurti unter dem damals neuen serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic aus serbischer Haft entlassen.

Während frühere UCK-Kommandanten nach dem Krieg als Politiker Karriere machten, blieb Kurti nach seiner Heimkehr der Stachel im Fleisch von Kosovos korruptionsträchtigem Establishment. Kompromisslos stritt der selbsterklärte Kämpfer gegen die Korruption und für Kosovos Vereinigung mit Albanien, gegen die EU-Justizmission Eulex und gegen jegliche Zugeständnisse an Serbien. Vor radikalen Mitteln schreckte er dabei nicht zurück: Zur Verhinderung eines missliebigen Grenzabkommen mit Montenegro entzündete er noch vor wenigen Jahren selbst Tränengasbomben im Parlament.

Kurti gilt im Kosovo als „sauberer“ Politiker, wurde im Westen bislang allerdings eher misstrauisch beäugt, nicht zuletzt aufgrund seiner unverhohlenen Sympathien für ein Großalbanien. Im Wahlkampf hielt sich der LVV-Chef zu außenpolitischen Fragen allerdings genauso auffällig zurück wie mit Ausfällen gegen den potenziellen Partner LDK. Nicht nur gegenüber dem Westen schlägt Kosovos Wahlsieger nun wesentlich moderatere und pragmatischere Töne an. Gegenüber dem Ex-Kriegsgegner Serbien kündigte er in der Wahlnacht erneut die Bereitschaft zum Dialog, aber auch eine härtere Gangart an: Er werde den Dialog „nicht mehr zum Schaden Kosovos führen.“ Was immer das im Einzelnen bedeuten mag.

Eine neue LVV-LDK-Regierung unter Führung Kurtis würde sich sicher um „korrekte Beziehungen zum Westen“ bemühen, ist Analystin Krasniqi überzeugt: Die potenziellen Partner hätten im Wahlkampf auch ihr Engagement für den Dialog mit Serbien deutlich gemacht, auch wenn sich dessen Form und Inhalt ändern dürfte: Statt Präsident Thaci werde künftig die Regierung die führende Rolle bei den Gesprächen mit Belgrad spielen.

Zwar hat Kurti angekündigt, vermehrt kriegsrelevante, aber kaum konsensfähige Themen wie die Frage der Vermissten oder die der von Pristina geforderten Kriegsreparationen bei den völlig festgefahrenen Gesprächen mit Serbien auf die Tagesordnung setzen zu wollen. Doch letztendlich dürfte auch der künftigen Regierung an dem Zustandekommen des von der EU forcierten Nachbarschaftsabkommens gelegen sein. Denn die mühsamen Beziehungen zu Serbien bleiben für Kosovo das größte Entwicklungshemmnis.

Mit Hilfe Moskaus blockiert Serbien die Ex-Provinz in der internationalen Arena noch stets nach Kräften. Umgekehrt hat Kosovo mit der Verhängung von hundertprozentigen Zöllen auf serbische Einfuhren im letzten November selbst die westlichen Schutzmächte verstimmt. Im Wahlkampf hätten die Parteien zwar fast nur über innenpolitische Probleme gesprochen, berichtet der Analyst und Ökonom Berat Thaqi vom GPA-Institut in Pristina: „Aber tatsächlich wird sich die nächste Regierung vor allem mit dem Dialog beschäftigen müssen. Erst wenn dieser abgeschlossen ist, kann die übernächste Regierung die Verbesserung der Lebensverhältnisse wirklich in Angriff nehmen.“

Enttäuschung bei den Liberalen

Naturgemäß enttäuscht über das Wahlergebnis aber als gute Verlierer zeigten sich die Spitzenvertreter der liberalen AKR (Neue Allianz Kosovos), die eine Wahlkoalition mit der erst 2014 gegründeten „Sozialdemokratischen Initiative“ (NISMA) eingegangen waren und – nach bisheriger Auszählung – denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind. Ihr Vorsitzender, der amtierende Außenminister und stellvertretende Premier, Behgjet Pacolli, gratulierte noch am Wahlabend den Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien zu ihrem Wahlsieg und wünschte ihnen eine glückliche Hand. Es sei offensichtlich, so Pacolli, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung, die durch Perspektivlosigkeit, wirtschaftliche Stagnation und internationale Isolation hervorgerufen worden sei, den Machtwechsel zu den oppositionellen Parteien begünstigt habe: „Der Wille zum Wandel hat gewonnen.“ Nun gelte es zu zeigen, dass die pro-atlantische und europäische Ausrichtung des Landes unumkehrbar sei und sich nur noch verstärken werde. Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen, vor dem das Land steht, geht Valdrin Luka (AKR), Minister für wirtschaftliche Entwicklung, davon aus, dass es nun rasch zu einer neuen Regierungsbildung kommen wird.