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Russland
Freude und Hoffnung für Russlands liberale Opposition

Julius Freytag von Loringhoven analysiert die lokalen Wahlen in Russland
Karte Moskau

Liberale Oppositionskandidaten gewannen in Moskaus Bezirksversammlungen überraschend fast 250 der 1502 Mandate.

© iStock/ JulyVelchev

Am vergangenen Sonntag fanden in vielen Regionen Russlands Wahlen für Gouverneure, regionale und lokale Parlamente statt. Wie es in Russland leider üblich ist, wurde von zahlreichen Wahlfälschungen berichtet.  Mögliche Konkurrenten der vom Kreml gestützten Kandidaten bei den Gouverneurswahlen wurden bereits im Voraus an der Teilnahme gehindert. Doch es gibt auch Grund zu Freude und Hoffnung für die Opposition: Liberale Oppositionskandidaten gewannen in Moskaus Bezirksversammlungen überraschend fast 250 der 1502 Mandate. Eine Koalition der liberalen Parteien Jabloko und Parnas gewann gemeinsam mit zahlreichen, unabhängigen Kandidaten um den ehemaligen Duma-Abgeordneten Dimitri Gudkow in manchen Bezirken des Moskauer Zentrums alle oder zumindest eine Mehrheit der Mandate, in vielen anderen stellen sie mehrere Abgeordnete. Im Gespräch mit freiheit.org erläutert Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter des Moskauer Stiftungsbüros, die Bedeutung dieses Wahlergebnisses.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte den Achtungserfolg der Liberalen Opposition gestern eine „Revolution in den Köpfen“. Wie revolutionär ist das Ergebnis?

Bei einem Sechstel der Mandate in Moskau für unabhängige liberale Kandidaten und immer noch über zwei Dritteln für die Kreml-Partei Einiges Russland kann man schwerlich von einer Revolution reden. Dass die Opposition zum ersten Mal in gleich 14 von 125 Bezirken die Mehrheit der Abgeordneten stellen wird, ist jedoch wirklich bemerkenswert. Im Bezirk, in dem der russische Präsident selbst gewählt hat, gibt es keinen einzigen Kreml-Abgeordneten. Die Stadtregierung von  Moskau hatte im Vorfeld eine Demobilisierungsstrategie verfolgt und den Wahltermin kaum kommuniziert. Die Wahlbeteiligung lag deshalb mit unter 15 Prozent erschreckend tief. Dadurch wurden vor allem die Stimmen zweier Gruppen sichtbar: Einerseits diejenigen, die entweder direkt vom Staat und den Machtstrukturen abhängen und die Kremlpartei wählen, und anderseits diejenigen, die den Machthabern sehr kritisch gegenüberstehen.

„Diese Wahlen geben große Hoffnung für die Zukunft. Auch wenn sie nichts Konkretes versprechen können, zeigen sie, dass in der Hauptstadt viele eine politische Wende möchten.“

Dmitri Androssow, Kandidat der liberalen Partei Parnas in Moskau

Was haben diese Wahlen dann für eine Bedeutung?

Zum einen ist deutlich geworden, dass es sich für die Opposition weiter lohnt, an Wahlen teilzunehmen, was viele nach den Ergebnissen der Duma-Wahlen im letzten Jahr angezweifelt hatten. Zum zweiten ist deutlich geworden, dass die Liberalen in Moskau die wichtigste Opposition bilden. Erfolgreich waren vor allem Kandidaten der liberalen Parteien Jabloko und Parnas sowie Unabhängige, die sich Dimitri Gudkov, angeschlossen hatten. Nicht Linke, Konservative oder Nationalisten bilden in Moskau die Opposition, sondern vor allem und wieder sichtbar die Liberalen. Die „kremltreue“ Opposition hat sehr schlecht abgeschnitten. Und zum dritten hat das Ergebnis eine Bedeutung für die Bürgermeisterwahl in Moskau im kommenden Jahr und wird sicherlich die Karten in Kreml-Kreisen etwas neu mischen.

Hat Putin selbst durch die Wahlen Schaden genommen?

Innerhalb des Machtapparates wird sich weiter niemand trauen, die absolute Macht des Präsidenten anzuzweifeln. Aber natürlich stiftet die absolute Niederlage von „Einiges Russland“ im Wahlbezirk des Präsidenten Unruhe. Irgendjemand wird sich im Kreml dafür verantworten müssen. Die Geschichte, das sei alles gelebter Pluralismus, wie Putins Sprecher Dimitri Peskow gestern sagte, klingt für die westlichen Medien gut, entspricht aber nicht der panischen Angst vor der Opposition, die sich in der Repression der letzten Jahre gezeigt hat. Wichtiger als die Frage, ob Putin Schaden genommen hat, finde ich die Hoffnung, die die liberale Opposition für einen friedlichen Wandel schöpfen durfte.

Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Stiftungsbüros in Moskau.