EN

Eine Stiftung Weltweit
FNF verbindet – Ein Monat in Istanbul

Turkey

Eine Stiftung weltweit

Im Rahmen des „Eine Stiftung weltweit“-Programms hatte ich die Gelegenheit, als Mitarbeiterin des Brüsseler Büros für fünf Wochen in Istanbul zu arbeiten. So habe ich Einblicke in die Arbeit des lokalen Teams und auch in ein Land bekommen, das für die Europäische Union (EU) ein unverzichtbarer, aber sehr herausfordernder Partner ist.

Die Türkei in der Zeit der Unsicherheiten

Die Umstände meiner Ankunft waren nicht einfach. Das Land trauerte um tausende Verluste bei der Jahrhundert-Erdbeben und alle Augen haben sich auf die Region in der Südosttürkei gerichtet. Dieses Ereignis hat große Auswirkungen auf die türkische Gesellschaft und auch auf die MitarbeiterInnen und lokalen Partner des Istanbuler Büros der FNF. Die humanitäre Katastrophe hat ebenfalls innenpolitische Auswirkungen, insbesondere da das traurige Ereignis in die Zeit geplanter Präsidentschafts- und Parlamentswahlen fällt, deren Ausgang ungewiss ist.

Die Erdbebenkatastrophe hat in mehrfacher Hinsicht Auswirkungen auf die Wahlen. Erstens war für einige Wochen nicht klar, wann die Wahlen nun stattfinden werden. Es gab Befürchtungen, dass die Wahlen, die ursprünglich für Mai erwartet waren, auf den Herbst oder gar ins nächste Jahr verschoben werden könnten. Die Befürworter einer Verschiebung argumentierten, dass es in solch schwierigen Zeiten nicht zumutbar sei, sich mit aktiver Politik zu beschäftigen, sondern die Trauer und humanitäre Hilfe im Mittelpunkt stehen müsse. Eine Verschiebung des Wahltermins ist allerdings von der türkischen Verfassung nur nach Parlamentsentscheid im Falle eines Krieges vorgesehen. Außerdem hat das Land in seiner Geschichte noch nie eine Wahl verschoben. Zweitens stellen sich wichtige logistische Fragen im Zusammenhang mit der Teilnahme von den Erdbebenopfern an der Wahl. Mehrere Tausende Menschen sind in andere Städte umgezogen und haben damit keinen festen Wohnsitz. Damit war es fraglich, ob sie nur an den wohnortunabhängigen Präsidentschaftswahlen oder auch an den Parlamentswahlen teilnehmen können. Drittens nehmen kritische Stimmen gegenüber dem Krisenmanagement und den umgesetzten Maßnahmen zur Erdbebenvorsorge in der Bevölkerung zu. Die Kritik adressiert Probleme bei Aufsichtsbehörden, Bauunternehmern wie auch in der Politik.

Während meines Aufenthalts in Istanbul konnte ich einige Fortschritte bei der Vorbereitung der Wahlen beobachten. Eine Verschiebung wird es nicht geben. Präsident Recep Tayyip Erdoğan legte den Termin der nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wie zuvor angekündigt auf den 14. Mai fest. Dies ist etwas früher als der reguläre Wahltermin am 18. Juni. Laut dem Präsidenten sei wichtig, eine Überschneidung mit dem Beginn der Sommerferien, den Universitätsprüfungen und der muslimischen Pilgerreise zu vermeiden.

Für die Wahlen sind sechs Oppositionsparteien ein Bündnis eingegangen, um Erdoğan abzulösen. Obwohl es Anfang März beinahe zu einem Auseinanderbrechen des Bündnisses kam, wurde am 6. März Kemal Kiliçdaroğlu, Vorsitzender der Partei CHP, als gemeinsamer Oppositionskandidat verkündet. Der nur knapp verhinderte Bruch zeigt, dass Opposition ein Zweckbündnis eingegangen ist, welches im Wahlkampf Geschlossenheit zeigen muss, um als Alternative wahrgenommen zu werden, innerhalb dessen aber eine Vielzahl von Konflikten bzw. Meinungsunterschieden existieren. Dies trat bei der Entscheidung über den gemeinsamen Spitzenkandidaten deutlich hervor. Bis Mitte Mai sind es noch einige Wochen, und es ist mit Überraschungen zu rechnen, da die heiße Wahlkampfphase erst jetzt beginnt.

Es ist wichtig für die Bevölkerung der Türkei, dass die EU das Land nicht vergisst. Denn die globale Verteidigung liberaler Werte wird nicht zuletzt in Ländern wie der Türkei entschieden.

Greta Kiss

Liberale Lichtblicke in einem illiberalen Meer

In einem Land, das seit 20 Jahren von Erdoğan regiert wird, ist der Ausgangssituation für Organisationen und BürgerInnen, die liberale Werte vertreten, nicht einfach. Von breiten Teilen der Gesellschaft wird das Wort liberal negativ verwendet. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen war es sehr inspirierend, die herausragenden und engagierten FNF-KollegInnen und Partner kennenzulernen. In Gesprächen mit ihnen konnte ich eine Wahrnehmung bekommen, wie wichtig es für die Bevölkerung ist, dass die EU die Türkei nicht vergisst. Denn die globale Verteidigung liberaler Werte wird nicht zuletzt in Ländern wie der Türkei entschieden.

Meine Gesprächspartner äußerten oft die Befürchtung, dass nach einem erneuten Sieg Erdoğans noch mehr Menschen das Land verlassen würden. Im Falle eines Regierungswechsels müsste aber auch die EU und ihre Mitgliedstaaten wie Deutschland sich überlegen, wie sie den langjährigen Beitrittskandidaten Türkei dabei unterstützen können, zu liberalen und europäischen Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zurückzukehren, und wie eine Zusammenarbeit in Zukunft gestaltet werden kann. Aus diesem Grund war es ermutigend, die Entschlossenheit der türkischen Liberalen und ihren Kampf für die grundlegenden Menschenrechte und europäischen Werte zu beobachten. Sie arbeiten unter politisch widrigen Bedingungen, gehen aber mit vorsichtigem Optimismus auf die kommenden Wahlen zu.

Lass uns gemeinsam weiter für die Freiheit kämpfen

Als neue Mitarbeiterin der Stiftung hat mir der Aufenthalt in Istanbul geholfen, die internationale Arbeit der Stiftung besser kennenzulernen. Es war äußerst interessant, die Veränderungen im Zusammenhang mit den Wahlen zu erleben und die Hoffnung zu beobachten, mit denen meine KollegInnen und ihre Projektpartner die politischen Prozesse beobachten und begleiten. Gleichwohl wird die Wahl eine sehr große Herausforderung und ich drücke der türkischen Zivilgesellschaft und den liberalen Akteuren die Daumen, dass sie ein Mehr an Freiheit und Demokratie erreichen können. Wir sollten als Europa nicht vergessen, dass hier europäische Werte und Demokratie verteidigt werden und ihre Stärkung die Verbesserung der türkisch-europäischen Beziehungen ermöglicht, welche wir unter anderem bei Menschenrechts- und Sicherheitsfragen dringend brauchen. Nun fahre ich nach Brüssel zurück, aber mit einem großen Erfahrungsschatz und Ideen für zukünftige Projekte und Kooperationsmöglichkeiten. Ich bedanke mich bei den FNF-KollegInnen für die Möglichkeit und hoffe, dass wir gemeinsame Vorhaben im Sinne von „Eine Stiftung weltweit“ umsetzen können, die einen positiven Beitrag zu den türkisch-europäischen Beziehungen leisten.