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Südkorea
Wahl in Südkorea: Alte Männer im Schlamm

Menschen stehen in einem Wahllokal in Guro-gu, Seoul, Südkorea, am 5. April 2024 Schlange, um ihre Stimme bei der vorgezogenen Wahl für die Parlamentswahlen am 10. April abzugeben.

Menschen stehen in einem Wahllokal in Guro-gu, Seoul, Südkorea, am 5. April 2024 Schlange, um ihre Stimme bei der vorgezogenen Wahl für die Parlamentswahlen am 10. April abzugeben.

© picture alliance / Matrix Images | Lee Kitae

Die Parlamentswahl gilt als Abstimmung über den Kurs des amtierenden Staatschefs Yoon Suk Yeol. Der Politiker der konservativen People's Power Party (PPP) ist seit zwei Jahren im Amt und hat schlechte Umfragewerte. Allerdings hatte es Yoon auch nicht einfach. Denn bisher hat die oppositionelle, progressive Democratic Party (DP) die Mehrheit im Parlament. Yoon konnte deswegen nicht durchregieren und viele seiner Wahlversprechen nur teilweise umsetzen, beispielsweise eine Reform des Renten- und Gesundheitssystems.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol gibt am Freitag, 5. April 2024, in einem Wahllokal in Busan, Südkorea, seine Stimme für die vorgezogene Parlamentswahl am 10. April ab.

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol gibt am Freitag, 5. April 2024, in einem Wahllokal in Busan, Südkorea, seine Stimme für die vorgezogene Parlamentswahl am 10. April ab.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Auch ein Skandal um seine Ehefrau, die eine teure Handtasche als Geschenk annahm, kostete ihn und seine Partei Popularität. Sollte es seiner konservativen Partei bei der anstehenden Wahl nicht gelingen, eine Mehrheit im Parlament zu erlangen, wird er die restlichen drei Jahre seiner Amtszeit kaum noch wichtige innenpolitische Vorhaben durchsetzen können.

Von der Schwäche der Konservativen kann die Oppositionspartei, die progressive DP unter der Führung von Lee Jae Myung, nur bedingt profitieren. Sie ist sehr zerstritten. Gegen Parteichef Lee laufen Verfahren wegen Bestechung und Korruption.
Zudem wird dieses Mal eine dritte Partei einen erheblichen Stimmanteil gewinnen. Dabei handelt es sich um die erst im März gegründete Partei des umstrittenen Politikers Cho Kuk. Der ehemalige Justizminister ist zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die Medizin-Karriere seiner Tochter unter anderem mit gefälschten Dokumenten angeschoben hat.

Cho Kuk spricht während einer Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Parlamentswahlen

Cho Kuk spricht während einer Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Parlamentswahlen.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ahn Young-joon

Das Verfahren gegen ihn leitete der amtierende Präsident Yoon, der damals noch Staatsanwalt war. Cho ist gegen das Urteil in Berufung gegangen. Seine neue Partei namens National Innovation Party fährt vor allem einen Anti-Yoon-Kurs. Die Strategie ist erfolgreich. Angesichts des knappen Rennens zwischen den beiden großen Parteien kommt Cho eine entscheidende Rolle zu. Laut Umfragen könnte die Partei rund 15 Sitze von insgesamt 300 holen. Damit wird er einerseits seiner früheren Partei, der progressiven DP, Stimmen wegnehmen. Andererseits wird er damit auch den Konservativen eine Mehrheit unmöglich machen. Dass sich Cho hinter die Partei seines Erzfeindes Yoon stellt, ist ausgeschlossen.


Keine der Parteien ist im klassischen Sinne liberal. Die PPP steht zwar für eine freie Wirtschaft, ist bezüglich gesellschaftlichen Themen wie beispielsweise Gleichstellung aber konservativ. Die DP ist in diesen Fragen zwar liberal, plädiert aber bei wirtschaftlichen Themen für ein stärkeres Engagement des Staates. Generell ist zu beachten, dass die Gesellschaft Koreas deutlich konservativer und traditioneller ist als die Deutschlands.

Auch wenn die Unterschiede in den Wahlprogrammen zwischen den großen Parteien überschaubar sind, bekämpfen sie sich aufs Blut. Kandidaten beider Parteien weigern sich sogar häufig, gegeneinander auf einem Podium oder in einer TV-Show zu diskutieren. Wie zerrüttet das Verhältnis ist, zeigt auch, dass Präsident Yoon seit Beginn seiner Amtszeit den Oppositionsführer Lee nur einmal getroffen hat. Lee erschien zur Beerdigung von Yoons Vater.

Schlammschlachten statt Inhalte

Das südkoreanische Abgeordnetenhaus hat 300 Sitze. Die Wähler haben zwei Stimmen. Eine Stimme vergeben sie an Direktkandidaten und aus ihrem Wahlkreis. Durch diese Stimmen werden 254 Sitze bestimmt. Mit einer weiteren Stimme kann eine Partei gewählt werden. So werden per Verhältniswahlrecht 46 weitere Sitze verteilt.

In den Wahlbezirken spielen lokale Themen häufig eine ebenso wichtige Rolle wie das Charisma der Kandidaten. Sie müssen unter Beweis stellen, dass sie das nötige Netzwerk sowie Durchsetzungsvermögen haben, um staatliche Investitionen in den Wahlkreis zu lenken. Beobachter sprechen davon, dass es eigentlich 254 Wahlkämpfe in Korea gibt - in jedem Wahlkreis einen.

Auch deswegen ist es schwierig, dominante nationale Themen im Wahlkampf ausfindig zu machen. Statt über Politikansätze und Ideen für nationale Probleme zu diskutieren, versuchen die Kandidaten in der Regel, in Schlammschlachten die Gegenkandidaten sowie deren Parteien vollständig zu diskreditieren. Auseinandersetzungen drehen sich häufig um die juristischen Probleme und möglicherweise kriminellen Handlungen prominenter Parteimitglieder.

Über die Aufstellung der Nominierten hat die Parteispitze erheblichen Einfluss. Der Top-Down-Approach führt dazu, dass sich die großen Parteien nur langsam thematisch und personell erneuern – und sich die Parteimitglieder in Seilschaften bei Skandalen lange gegenseitig decken und unterstützen. Bei dieser Wahl hatten rund 43 Prozent aller Nominierten schon einmal juristische Verfahren gegen sich laufen. So verwundert es nicht, dass die Südkoreaner ihrem Parlament das geringste Vertrauen aller Institutionen entgegenbringen.

Verkrustete Parteien ohne Jugend und Frauen

Koreas Politik wird von Männern über 50 dominiert. Die führende Riege hat auch weitgehenden Einfluss auf die Aufstellung der Kandidaten. Sie wählen in der Regel Kandidaten, die ihnen ähnlich sind und absolute Loyalität zur Partei bewiesen haben.


Anreize und Regeln zur Gleichstellung haben nur wenig dazu beigetragen, dass das Parlament heterogener wird. Seit 2004 sind laut Gesetz die Hälfte der Listenplätze für Kandidatinnen reserviert. Auch auf dem ersten Listenplatz muss eine Frau stehen. Allerdings setzt sich nur ein kleiner Teil des Parlaments über die Parteiliste zusammen. Der Großteil wird direkt in den Wahlkreisen gewählt.

Früher erhielten Parteien eine finanzielle Förderung, wenn 30 Prozent aller ihrer Nominierten Kandidatinnen waren. Doch diese Quote wurde nie erreicht. Die Parteien nahmen also finanzielle Einbußen in Kauf, um keine Frauen aufzustellen. Im April 2022 wurde die Frauenquote für die finanzielle Förderung auf 10 Prozent gesenkt.

Für die anstehende Wahl haben die beiden großen Parteien weniger Frauen nominiert als zuvor. In beiden großen Parteien sind deutlich weniger als 20 Prozent aller Nominierten Kandidatinnen. Es steht jetzt schon fest, dass im künftigen Parlament weniger Frauen sitzen werden als im aktuellen. Derzeit beträgt der Anteil 19 Prozent. Auffallend ist auch das hohe Alter der Abgeordneten. So sind weniger als drei Prozent der Nominierten der beiden großen Parteien unter 40 Jahre alt.
 

Ärzte legen Gesundheitssystem lahm

Die Wahl wird von einem gewaltigen Streit überschattet: Am 20. Februar haben tausende Assistenzärzte ihre Arbeit niedergelegt. Die Gesundheitsversorgung ist stark beeinträchtigt. In großen Krankenhäusern machen Assistenzärzte zwischen 30 und 40 Prozent der Gesamtzahl der Ärzte aus. Die Warteräume sind überfüllt und Operationen müssen verschoben werden. Militärkrankenhäuser haben ihre Notaufnahmen geöffnet. Dennoch reichen die Maßnahmen nicht aus, um alle Patienten ausreichend zu behandeln.

Südkoreanische Ärzte nehmen an einer Anti-Regierungs-Kundgebung in Yeouido, Seoul, Südkorea, teil

Südkoreanische Ärzte nehmen am 3. März 2024 an einer Anti-Regierungs-Kundgebung in Yeouido, Seoul, Südkorea, teil.

© picture alliance / Matrix Images | Lee Kitae

Hintergrund des Streiks ist die Ankündigung von Präsident Yoon, ab nächstem Jahr mindestens 2000 zusätzliche Medizinstudienplätze zu schaffen - derzeit gibt es nur etwa 3000 Plätze. Südkorea leidet an einem Mangel an Ärzten. Auf 1000 Einwohner kommen nur 2,6 Ärzte. Im OECD-Durchschnitt sind es 3,7.

Die Ärzte kritisieren, dass mehr Mediziner das Problem der schlechten Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten nicht lösen würden. Zudem befürchten sie einen Qualitätsverlust der Ausbildung. Kritiker werfen den jungen Ärzten dagegen vor, sich in erster Linie vor Konkurrenz und Einkommenseinbußen zu fürchten, obwohl Ärzte in Südkorea weit über dem Durchschnitt verdienen.

Yoon hat lange keinen Dialog mit den Ärzten gesucht. Er weiß einen Großteil der Bevölkerung hinter sich: Der Ärztemangel ist deutlich zu spüren und vor allem in ländlichen Gebieten bemerkbar. Erst vor wenigen Tagen ging er einen Schritt auf die Ärzte zu und stellte Verhandlungen in Aussicht, allerdings ohne große Kompromissbereitschaft zu signalisieren.

Wegen der schlechten medizinischen Versorgung und Yoons Unnachgiebigkeit, schien die Stimmung in der Bevölkerung zuletzt zu kippen. Die Oppositionspartei kritisierte Yoons mangelnde Gesprächsbereitschaft. Dass eine Einigung bis zum Wahltermin erzielt wird, scheint unwahrscheinlich. Ob Yoons harte Haltung seiner Partei schaden oder nutzen wird, ist kaum einzuschätzen.

Drängende soziale Fragen

Südkorea hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende wirtschaftliche Erfolgsgeschichte hingelegt. Von einem der ärmsten Staaten der Welt hat es sich zu einem modernen Hochtechnologie-Land gewandelt. Allerdings ist der Wachstumsmotor in den vergangenen Jahren ins Stocken geraten. Soziale Probleme haben sich verschärft. Die Lebenshaltungskosten sind rapide gestiegen, die Inflation bremst sich nur langsam ab. Vor allem die hohen Mieten und Wohnungspreise sind eine Belastung für viele Menschen. Der Arbeitsmarkt ist hochkompetitiv. Junge Leute müssen sich oft jahrelang Bewerberverfahren stellen, ehe sie eine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle bekommen.

Auch der demografische Wandel ist ein latentes Problem und damit immer wieder Wahlkampfthema. Korea hatte in den vergangenen Jahren eine Geburtenrate von nur 0,69 Kindern pro Frau. In Deutschland, das ebenfalls überaltert, ist diese Kennzahl immerhin noch fast doppelt so hoch.

Konstruktive und realistische Lösungsvorschläge für die Probleme präsentieren jedoch nur wenige Kandidaten. Stattdessen überbieten sie sich mit teuren Investitionsversprechen und anderen Wahlgeschenken ohne plausible Finanzierungsplänen.

Korea-Konflikt spielt kaum eine Rolle

Der Korea-Konflikt macht derzeit wieder internationale Schlagzeilen. Das Verhältnis der beiden koreanischen Staaten ist so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Fast wöchentlich testet Machthaber Kim Jong Un Raketen. Kurz vor dem Jahreswechsel machte er sogar die Aussage, dass Nordkorea keine friedliche Wiedervereinigung mehr anstrebe.

Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol setzt derweil auf eine Strategie der Abschreckung. Er droht mit harten Gegenschlägen im Falle eines nordkoreanischen Vorstoßes und versucht, Nordkorea international noch stärker zu isolieren. Die Oppositionspartei schlägt traditionell einen sanften Kurs gegenüber dem Norden an und wirft Yoon Kriegstreiberei vor.

Trotz der zunehmenden Spannungen und der unterschiedlichen Positionen der großen Parteien spielen nordkoreanische Provokationen aber keine große Rolle im Wahlkampf. Die Südkoreaner haben sich an die permanente Bedrohung durch den Norden gewöhnt. Zudem haben sich insbesondere die jüngeren Südkoreaner mit der Teilung des Landes abgefunden. Viele stehen einer möglichen Wiedervereinigung mit dem Norden skeptisch gegenüber. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Südkoreas sind für sie deutlich wichtigere Themen als das Verhältnis zu Nordkorea.

Frederic Spohr leitet das Büro der Stiftung in Seoul. Maja Adler absolviert dort derzeit ein Praktikum.