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Quo Vadis, Freihandel?

Wir brauchen mehr umfassende bilaterale Abkommen
Containerboot von oben

Wir brauchen TTIP, CETA und noch mehr davon.

© wissanu01 / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

Eines hat Donald Trump schon heute mit seinen protektionistischen Drohungen erreicht: Der Hühnerhaufen der US-Handelspartner ist aufgescheucht, alle flattern ungeordnet herum - nach dem Motto: Rette sich wer kann, jeder für sich alleine. Dies ist wohl unvermeidbar, bedroht aber die multilateral angelegte Welthandelsordnung, wie unser stellv. Vorstandsvorsitzender Professor Paqué bereits auf freiheit.org ausgeführt hat. Wir brauchen deshalb neue Wege. Im Folgenden zeigt er auf, in welche Richtung diese führen müssen.

Machen wir uns nichts vor. Trumps rüder Protektionismus ist kein Zufall, sondern das Ergebnis großer dauerhafter Veränderungen wie dem gewaltigen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas, dem industriellen Erfolg Mexikos in der North American Free Trade Area und der starken Exportdynamik europäischer Ingenieurskunst. Es sind Phänomene, die auf Dauer bleiben. Mehr als das: Gehen Digitalisierung und Globalisierung in ähnlicher Geschwindigkeit weiter wie bisher (und wer bezweifelt das?), dann kommt die schöne heile Handelsordnung der Nachkriegszeit langsam an ihr Ende.

Wohlgemerkt: Diese Handelsordnung war außerordentlich erfolgreich und ist es als globaler Rahmen noch immer. Mit ihren multilateralen Ordnungsregeln des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und seit 1995 der World Trade Organization (WTO) gelang es, in mehreren Wellen Zölle stark zu senken, Handelsbeschränkungen abzuschaffen und eine Fülle von Ländern in die Weltwirtschaft zu integrieren: zunächst das Westeuropa der Nachkriegszeit, dann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs das postkommunistische Mittel- und Osteuropa, daneben früh schon Japan und die asiatischen "Tigerstaaten" Südkorea, Hongkong, Taiwan und Singapur sowie schließlich Russland, China, Indien und viele andere Entwicklungsländer. Ein großartiges Ergebnis: rund 160 Nationen als Mitglieder der WTO vereint im erfolgreichen Kampf für freien Handel und wirtschaftliche Prosperität, gegen Armut und Hunger!

Allerdings: Mit Chinas Beitritt zur WTO im Jahr 2002 änderte sich Grundlegendes, zunächst kaum bemerkt, aber heute klar erkennbar. China ist ein riesiges Land mit 1,4 Milliarden Menschen, es wächst wirtschaftlich rasant und hat inzwischen Deutschland als "Exportweltmeister" vielleicht für immer überholt. Entscheidend ist aber nicht allein Chinas Größe, sondern sein Wirtschaftssystem: Es ist ein Land mit neomerkantil-istischem Staatskapitalismus, nicht mit liberaler Marktwirtschaft. Ein Land also, in dem ein (autokratischer) Staatsapparat sich vorbehält, die Wirtschaft in Richtung radikaler Neuerung zu lenken - bis hin zu gigantischen Programmen der Subventionierung technologischer Innovationen. Hinzu kommen massive Kapitallenkung und -kontrolle sowie staatlich gesteuerte Aufkäufe von Unternehmen mit großen Technologiepotenzialen im Ausland.

Mit liberaler Marktwirtschaft im Stile Nordamerikas oder Europas hat dies wenig zu tun. Genauso wenig gleicht es allerdings der (absurd ineffizienten) sozialistischen Planwirtschaft aus kommunistischen Zeiten. Es ist - jedenfalls in dieser Größenordnung - etwas Neues: ein Staatskapitalismus mit merkantilistischen Zügen, der die Weltmärkte und den Wohlstand der eigenen Bevölkerung als erstes politisches Werkzeug erkennt, um staatliche Macht auf- und auszubauen, vergleichbar am ehesten mit dem Russland Putins, das aber gerade mal ein Zehntel der Bevölkerung Chinas hat und wirtschaftlich weit weniger dynamisch ist.

Für die liberale Welthandelsordnung ist China eine Herausforderung. Die bisherige Haltung war im Wesentlichen, dem chinesischen Modell auf Druck des Westens zu Recht die formale Anerkennung als Marktwirtschaft zu versagen, es aber in seinen Konsequenzen auf den internationalen Handel weitgehend hinzunehmen - wie bei früheren ähnlichen Fällen viel kleinerer Länder auch. Damit will Trump jetzt Schluss machen. Der konkrete Anlass - das behauptete "Dumping" der Überproduktion an chinesischem Stahl auf dem amerikanischen Markt - mag wenig überzeugend sein; und die Begründung Trumps mit Gefährdung der Sicherheit der USA ist zwar juristisch äußerst geschickt, aber inhaltlich absurd. Gleichwohl gilt der Kern der Attacke Trumps dem chinesischen Wirtschaftsmodell des Staatskapitalismus, und das ist keineswegs abwegig.

Dahinter stehen nämlich prinzipielle Fragen: Kann die WTO in einer Welt, in der immer mehr Firmen und Menschen moderne Produkte mit innovativem Wissen herstellen, der massiven staatlich organisierten Industrie- und Technologiepolitik tatenlos zusehen? Muss es nicht - ähnlich wie auf europäischer Ebene - eine Art Kontrolle der Beihilfen geben, da sonst von einigermaßem fairen Wettbewerb nicht die Rede sein kann? Und muss nicht generell der Vermischung von blanker politischer Machtpolitik und ökonomischem Wettbewerb entgegengetreten werden?

Beantwortet man diese Fragen mit ja, liegt das Problem auf der Hand: Eine "Wettbewerbsordnung" ist in mulilateralen Verhandlungen im Stile früherer Zollrunden nicht durchzusetzen. Dafür braucht es harte bilaterale Reziprozität, weil sonst große Gefahr besteht, beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu landen, der dann keinerlei Bindungskraft entfaltet. Im Ergebnis heißt dies aber, dass die viel geschmähten umfassenden bilateralen Abkommen zur Regelung von Freihandel, Wettbewerb, Investitions- und Eigentumsschutz samt Standards und Schiedsgerichten wahrscheinlich der einzig richtige Weg in die Zukunft sind. Man könnte zynisch formulieren: CETA und TTIP lassen grüßen!

Es wird deshalb Zeit, sich über die große globale Herausforderung klar zu werden. Diese lässt sich nur mit umfassenden Abkommen zwischen den großen Ländern oder Freihandelsblöcken der Welt vernünftig angehen. Sobald dann solche Vereinbarungen vorliegen, können sie als Vorbild für andere dienen, die sich ihnen anschließen. Die WTO muss dabei als formaler Rahmen weiter existieren, aber die substanzielle Handelspolitik verlagert sich auf das Bilaterale.

Das ist wohl auch - wohlwollend interpretiert - die tiefere Intuition, die Donald Trump mit seiner polternden Politik antreibt. In seiner grobschlächtigen Weltsicht übersieht er dabei allerdings völlig, dass die Lösung, wenn überhaupt, nur in dem liegen kann, was er selbst verhement ablehnt: in umfassenden Handelsabkommen.