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Rechtsstaat
Angriffe auf die Vielfaltsgesellschaft – Wie Islamismus und Antisemitismus den Rechtsstaat herausfordern

19. Karlsruher Verfassungsdialog
v.l.n.r.: Dr. Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung Baden-Württembe

v.l.n.r.: Dr. Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben; Julia Goll, Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg und innenpolitische Sprecherin der FDP/DVP; Dr. Max Bauer, Redakteur und Reporter der ARD-Rechtsredaktion und Generalbundesanwalt Jens Rommel.

© FNF

Der 19. Karlsruher Verfassungsdialog am 4. Dezember 2024 widmete sich der Bedrohung der Vielfaltsgesellschaft durch Islamismus und Antisemitismus. Diskutiert wurde, wie wir mit Terror und Extremismus umgehen können, ohne die Werte von Freiheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit aufzugeben und wie wir diese Werte verteidigen können, wenn sie zunehmend infrage gestellt werden.

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Am 4. Dezember 2024 richtete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gemeinsam mit der Reinhold-Maier-Stiftung und in Kooperation mit der Vereinigung Liberaler Juristen den 19. Karlsruher Verfassungsdialog in Karlsruhe aus. Der Verfassungsdialog hat sich über fast zwei Jahrzehnte als Forum etabliert, in dem gesellschaftspolitische Debatten aufgegriffen und als Prüfsteine für unsere Verfassung reflektiert werden. In diesem Jahr widmete sich der Dialog einer besonders dringlichen Fragestellung: Angriffe auf die Vielfaltsgesellschaft – Wie Islamismus und Antisemitismus den Rechtsstaat herausfordern.

Dabei traten Generalbundesanwalt Jens Rommel, Dr. Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben, und Julia Goll, Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg und innenpolitische Sprecherin der FDP/DVP, Fraktion in den Dialog. Durch die Diskussion führte Dr. Max Bauer, Redakteur und Reporter der ARD-Rechtsredaktion.

Grußwort von Bundesverfassungsrichter Offenloch

Bundesverfassungsrichter Thomas Offenloch, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung Liberaler Juristen, hielt das Grußwort.

Bundesverfassungsrichter Thomas Offenloch

Bundesverfassungsrichter Thomas Offenloch.

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In diesem skizzierte er, wie sich Kriege und geopolitische Spannungen auf die europäische und deutsche Gesellschaft auswirken. Der schreckliche Krieg in der Ukraine und die hybriden Kriegsführungsstrategien gegen Europa zeigten, auch Deutschland müsse sich wieder „kriegstüchtig“ machen – nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern. „Eigentlich hatten wir nach 1990 gedacht, das wäre ein für alle Mal vorbei. Das war leider, wie wir heute sehen müssen, nur ein schöner Traum.“

Auch der brutale Angriff vom 7. Oktober 2023 und der Krieg im Nahen Osten haben unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland, wie das Aufflammen von Antisemitismus. Es sei wichtig, immer zu unterscheiden „zwischen Antisemitismus auf der einen Seite, den es entschieden zu bekämpfen gilt und Kritik an staatlichen Handeln auf der anderen Seite, die selbst dann legitim ist, wenn man sie in der Sache nicht teilt.“ Aufgeflammt sei aber gerade auch der gewalttätige Antisemitismus. „Das, was wir am 7. November nach dem Europa-League-Spiel zwischen Ajax und Maccabi Tel Aviv sehen mussten, Jüdinnen und Juden mitten in Europa von Israel- und Judenhassern durch die Straßen getrieben werden, das ist schlicht unerträglich.“ Unerträglich sei auch, dass es für „Juden in Deutschland mal wieder gefährlich sein kann, mit Kippa aus dem Haus zu gehen“ und manche berichten, sie haben „gepackte Koffer auf dem Dachboden stehen, um Deutschland notfalls rechtzeitig verlassen zu können.“

Der neue Antisemitismus komme von allen Seiten: von den extremen Linken, den Rechten und den radikalen Islamisten. Auch der Islamismus bedrohe alle – unmittelbar durch terroristische Anschläge wie in Mannheim oder Solingen, aber auch dadurch, dass er die Gesellschaft verunsichere und spalte.

Offenloch stellte abschließend klar: „Liberalen wird dann manchmal nachgesagt, sie wollen einen schwachen Staat – das ist nicht richtig. Liberale wollen einen Staat, der sich um seine Kernaufgaben kümmert und dabei auch stark ist. Zu den wichtigsten Kernaufgaben des Staates gehört es – schon nach den Vorschriften unseres Grundgesetzes – die Würde jedes und jeder Einzelnen zu schützen und für Freiheit und Sicherheit aller Menschen zu sorgen, die hier leben. Damit wollen Liberale einen Staat, der auch im Kampf gegen Antisemitismus und Islamismus stark ist.“

Impulsvortrag von Generalbundesanwalt Rommel

In seinem Impulsvortrag beschrieb Generalbundesanwalt Rommel die Bedrohung durch den Islamismus als eine der gravierendsten Herausforderungen für die freiheitliche Gesellschaft und mahnte zu Wachsamkeit.

Generalbundesanwalt Jens Rommel

Generalbundesanwalt Jens Rommel.

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Schließlich habe sich der schlimmste islamistische Anschlag auf deutschen Boden 2016 kurz vor Weihnachten auf dem Berliner Breitscheidplatz ereignet. Seitdem werden Weihnachtsmärkte durch Betonpoller, Messerverbote und eine verstärkte Präsenz der Polizei geschützt – „ein Anblick, an den wir uns schon gewöhnen mussten. Und ich würde Ihnen jetzt gerne berichten, dass sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hätte.“  Tatsächlich gebe es Verbesserungen bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, dem Informationsaustausch und der Reaktionsgeschwindigkeit der Behörden, nicht aber bei der Gefahrenlage selbst. Die multipolare Gefahrenlage schilderte Rommel eindrücklich und hob hervor, dass sich die „Konflikte dieser Welt verschränken.“ Rommel führte aus, „als verbindendes Element fungieren bei den maßgeblichen Islamistischen Akteuren – also insbesondere der Al-Kaida, der HAMAS, und eben dem sogenannten Islamischen Staat – Antisemitismus und Israelfeindlichkeit.“

Rommel berichtete von alarmierenden Statistiken. 2023 sei die religiös motivierte politische Kriminalität um 200 Prozent gestiegen. Es sei zwar nicht jede Straftat mit Bezug zum Nahostkonflikt antisemitisch, jedoch sei auch die Zahl antisemitische Straftaten insgesamt und über alle Phänomenbereiche hinweg eklatant angestiegen. Auch wenn eine Bekämpfung des Islamismus allein den Antisemitismus nicht beseitigen könne, bestehe vielfach ein augenfälliger Zusammenhang zwischen islamistischer Gewalt und Antisemitismus. „Fortschritte im Kampf gegen Islamismus werden deshalb auch dazu beitragen können, dass Juden in Deutschland und Europa sich wieder sicherer fühlen können. Die antisemitischen Übergriffe nach dem Europa-League-Spiel in Amsterdam Anfang November […], sie sollten auch für uns in Deutschland als erneute Mahnung zu verstehen sein, in unseren Anstrengungen auf allen Ebenen nicht nachzulassen.“

Diskussion

Die anschließende Diskussion widmete sich den Fragen, wie die Vielfaltsgesellschaft durch Islamismus und Antisemitismus bedroht werden und wo Gesellschaft und Staat im Kampf gegen diese Bedrohungen stehen.  Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der liberale Rechtsstaat diesen Herausforderungen begegnen kann, ohne seine eigenen Prinzipien zu gefährden.

Die Diskussion reflektierte die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnten nach dem 11. September, als die Welt nach den 1990er Jahren, die von einem Aufbruch zu mehr Demokratie und Menschenrechten geprägt waren, plötzlich mit der Rückkehr brutaler politischer Gewalt konfrontiert wurde. Und wie sich nach dem 7. Oktober und der anschließenden Zunahme von offenem Antisemitismus nun mit besonderer Dringlichkeit die Frage stellt, wie tief Antisemitismus in der Gesellschaft und Gegenwart verwurzelt ist.

Blume hob hervor, dass der 7. Oktober und die anschließende Zunahme antisemitischer Vorfälle das Vertrauen vieler Jüdinnen und Juden zerstört habe. Das Gefühl, dass so etwas nie wieder passieren könnte und die Sicherheit, man könne im Notfall nach Israel, seien beide erschüttert worden. Blume schilderte, dass Antisemitismus zu oft nicht als solcher erkannt werde, was auch auf ein verzerrtes Selbstbild der Gesellschaft zurückzuführen sei. Besonders nach dem 7. Oktober sei Antisemitismus auch stark von links gekommen. Obwohl linker Antisemitismus eine lange Geschichte habe, sei es für viele besonders verstörend, wenn Menschen, die sich als weltoffen und geschichtsbewusst präsentierten, eine „völlige Kälte“ gegenüber dem Leid des 7. Oktobers zeigten.

Goll betonte, dass beim alltäglichen Antisemitismus jeder Einzelne in der Verantwortung stehe. Es sei wichtig, dass die Leute wirklich auch Haltung zeigen, auch Haltung, wenn sie selbst nicht unmittelbar betroffen sind. […] Denn wir wollen alle den liberalen Staat, […] aber das bedeutet eben auch Freiheit zur Haltung und Verpflichtung dazu.“ Goll betonte aber auch, dass der Staat verpflichtet sei, alle zu schützen und wegen des Gewaltmonopols des Staates „dort stark sein [muss], wo er anderen seine Möglichkeiten nimmt“.

Bei der Erörterung der rechtlichen Mittel betonten alle drei Diskutanten, dass die Bekämpfung von Antisemitismus häufig nicht an fehlenden rechtlichen Instrumenten, sondern an praktischen Hürden scheitere. Blume berichtete, dass es selbst für ihn als Antisemitismusbeauftragten schwer sei, bei antisemitischen Bedrohungen und Beleidigungen die nötige staatliche Unterstützung zu erhalten. Auf die Frage nach schärferen Gesetzen sei nach Rommel „die klassisch liberale Antwort, jetzt auch wieder, es fehlt nicht an Gesetzen, sondern es ist tatsächlich eine Frage der Umsetzung.“

Kollektiver Einsatz für eine sichere und liberale Gesellschaft

Der 19. Karlsruher Verfassungsdialog machte deutlich, dass die Bekämpfung von Islamismus und Antisemitismus eine langfristige gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Nur durch ein gemeinsames, entschlossenes und zugleich besonnenes Vorgehen können diesen Bedrohungen wirksam bekämpft werden, ohne die fundamentalen Werte von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu gefährden.

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Florian von Hennet
Florian von Hennet
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