EN

Spanien
Spanien: Vier Neuwahlen in vier Jahren

Spanien vor Neuwahlen im November - Das verärgert die Spanier. Das Zwei-Parteien-System ist Geschichte.

Die Koalitionsverhandlungen in Spanien zwischen der sozialdemokratischen PSOE (Partido Socialista Obrero Español – „Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens“) und der linkspopulistischen Partei UP (Unidos Podemos – „Gemeinsam schaffen wir´s“) sind gescheitert. David Henneberger spricht im Interview mit Freiheit.org über die Lage vor Ort und die aktuellen Entwicklungen.

Weshalb sind die Koalitionsverhandlungen gescheitert? 

David Henneberger: Verhandlungsführer Pablo Iglesias von Unidos Podemos hatte im Juli ein Koalitionsangebot abgelehnt und dann überzogene Forderungen gestellt. Ministerpräsident Pedro Sánchez wiederum hat mitunter den Eindruck aufkommen lassen, er wolle gar nicht ernsthaft verhandeln. Mitunter war auch das spanische Parlament in den letzten Monaten eher die Bühne für die persönliche Profilierung aller Beteiligter als ein Ort für die demokratische Kompromisssuche. Man konnte große Zweifel am politischen Willen zur Regierungsbildung gewinnen - Koalitionsverhandlungen gehen anders. Aber auch eine „GroKo“ mit der PP (Partido Popular – „Volkspartei“) oder eine sozialliberale Koalition mit den Ciudadanos („Bürger“) wären zumindest theoretisch möglich gewesen. 

Grundsätzlich beobachten wir ein politisches System, das noch große Schwierigkeiten hat, mit dem Ende des klassischen Zweiparteiensystems zurechtzukommen. Mit Unidos Podemos, den liberalen Ciudadanos und zuletzt der ultrakonservativen Partei VOX (Latein für „Stimme“) ist auch hier die Koalitionsbildung schwieriger geworden. Und Ministerpräsident Pedro Sánchez muss sich als Vertreter des linken Parteiflügels vorwerfen lassen, zwar die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren, aber der Polarisierung im Land wenig entgegenzusetzen.

Was halten die Spanier von den Neuwahlen? 

Die Menschen sind mittlerweile hochgradig verärgert und politisch Interessierte deshalb auch besorgt, dass die noch recht junge Demokratie bleibenden Schaden nehmen könnte. Man darf nicht vergessen: Die Spanier werden zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren an die Urnen gerufen – Weltrekord! Parlamentswahlen kosten in Spanien derzeit rund 140 Millionen Euro. Auch das ist in Zeiten, in denen sich das Wirtschaftswachstum hier wieder abkühlt, ein Argument. Das Geld könnte besser investiert werden. Am meisten regt die Spanier allerdings auf, dass sich an der Koalitionsarithmetik nach Neuwahlen grundsätzlich nicht viel ändern und man sich den Gang an die Urnen nach Meinung vieler deshalb sparen könnte. Der Frust über die politische Klasse insgesamt sitzt tief. Alle erwarten deshalb eine niedrigere Wahlbeteiligung als beim letzten Mal. 

Ist das Ergebnis tatsächlich schon abzusehen? 

In der Tat ist es so, dass sich das Parteiensystem zwar auffächert, die spanische Gesellschaft aber ganz überwiegend noch klassischen Links-Rechts-Schemata zuzuordnen ist. Die Begriffe fallen hier auch viel häufiger als bei uns in Deutschland. Die liberalen Ciudadanos sind eine Kraft der politischen Mitte, in der öffentlichen Wahrnehmung werden sie durch eine Reihe von wahltaktischen Entscheidungen mittlerweile aber eher dem Lager rechts der Mitte zugeordnet. Programmatisch ist das nicht ganz fair, doch die Duldung eigener Regierungsbeteiligungen auf regionaler Ebene durch VOX erklärt es  – wenngleich man feststellen muss: VOX ist reaktionär, zum Teil bis auf die Knochen – aber sie ist nicht die AfD: Völkisch-nationalistische Töne sind den Spaniern fremd. 

Es ist unterm Strich davon auszugehen, dass die rechten und linken Blöcke ähnlich abschneiden werden wie bisher. Bewegung ist eher innerhalb dieser Blöcke zu erwarten. Rechts dürfte die konservative PP zu Lasten von Ciudadanos und Vox etwas hinzugewinnen, links erwartet man ein schlechteres Abschneiden von Podemos. Pablo Casado, Parteiführer der Konservativen PP, würde am liebsten ein Wahlbündnis mit den Ciudadanos formen, auch weil er den Spaniern wieder und wieder erklären wird, dass es beiden Parteien - im Vergleich zu Premier Sánchez jetzt  - gelungen ist, in verschiedenen Regionen des Landes stabile Regierungen im neuen Vielparteien-System zu bilden. 

Zusätzliche Bewegung ist seit gestern Abend dadurch ins Spiel gekommen, dass die neue Partei „Más Madrid“ („Mehr Madrid“), die als lokale Kraft bei den Regionalwahlen im April die Regierungsmehrheit in der spanischen Hauptstadt knapp verpasst hat, verkündet hat, mit einer eigenen Liste bei den Neuwahlen anzutreten. Zwar ist noch völlig unklar, wie Más Madrid in so kurzer Frist auch in den anderen Regionen Spaniens selber antreten oder Wahlbündnisse schmieden könnte. Doch schon die Ankündigung hat Ende der Woche das politische Madrid elektrisiert. Denn damit drohte der Linken eine ähnlich Zersplitterung wie sie die Partido Popular mit dem Aufkommen von VOX erfahren musste. Und der im Vergleich mit Pablo Iglesias weniger radikale Spitzenkandidat Errejón Íñigo, ein ehemaliger Politiker von Podemos, könnte sogar in der Mitte einige Wähler von sich überzeugen. Eine weitere Zersplitterung des spanischen Parteiensystems scheint damit alles andere als unwahrscheinlich. 

 

David Henneberger ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Madrid.