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85. Geburtstag
Klaus Kinkel – liberaler Außenminister in einer Zeit des Umbruchs

Bundespräsident Karl Carstens besucht Bundesnachrichtendienst in Pullach
Bundesarchiv, B 145 Bild-F063645-0024 / Wienke, Ulrich / CC-BY-SA 3.0

Als der 1936 in Reutlingen geborene und in Hechingen aufgewachsene Klaus Kinkel 1992 sein Amt als Außenminister antrat, stand er vor einer doppelten Herausforderung: Er folgte damals auf den mit Abstand dienstältesten Außenminister eines demokratischen Landes, den weltweit geschätzten Hans-Dietrich Genscher. Damit nicht genug, hatte sich zudem nach der Vereinigung die weltpolitische Konstellation dramatisch gewandelt – von einer bipolaren, vom Ost-West-Konflikt geprägten Lage zu einer sehr viel unübersichtlicheren multipolaren Situation. 

Das Außenministerium stellte dabei für Kinkel kein unbekanntes Terrain dar, auch wenn sein Lebensweg zunächst eher auf eine Karriere in der Verwaltung als in der Politik gedeutet hatte. Der promovierte Jurist war 1965 in die Bundesverwaltung eingetreten. Im Innenministerium suchte der neue Minister Hans-Dietrich Genscher nach seinem Amtsantritt 1969 einen persönlichen Referenten und stieß auf den damaligen Oberregierungsrat Kinkel. Damit begann eine dauerhafte Verbindung, die erst mit Genschers Tod 2016 endete. Dieser schätzte an seinem Adlatus die Verlässlichkeit und den Umstand, dass er sich nicht alles gefallen ließ, sondern mitunter „zurückschnauzte“. Das Vertrauen war so groß, dass Genscher den außenpolitischen Novizen 1974 mitnahm und zum Leiter des Planungsstabes machte, als er selbst an die Spitze des Auswärtige Amtes wechselte. Und er ließ seine große Stütze wohl nur ungern ziehen, als 1979 die Leitung des Bundesnachrichtendienstes erstmals mit einem Zivilisten zu besetzen war. 

Auch in dieser schwierigen Funktion bewährte sich der liberale Schwabe, konnte sogar mit einem Überläufer einen großen Erfolg im Kampf der Geheimdienste feiern. Schon nach gut drei Jahren kehrte Kinkel nach Bonn zurück, da der neue Justizminister Hans Engelhardt auf der Suche nach einem versierten Staatssekretär Genschers Empfehlung folgte. Lange bevor er selbst Anfang 1991 zum Minister aufstieg, führte Klaus Kinkel faktisch dieses wichtige Ressort, das während des Vereinigungsprozesses besondere Gestaltungskraft erlangte, als es um die Vereinheitlichung der Rechtssysteme ging. 

„Europa wächst nicht aus Verträgen, es wächst aus den Herzen seiner Bürger oder gar nicht.“

Klaus Kinkel
Klaus Kinkel

Nachfolger von Otto Graf Lambsdorff

Doch schon nach nicht einmal anderthalb Jahren wurde ihm die Leitung des Auswärtigen Amtes übertragen, die bald auch die Vizekanzlerschaft und – als Nachfolger von Otto Graf Lambsdorff – den FDP-Vorsitz nach sich zog. Um die neue Aufgabe war Klaus Kinkel nicht zu beneiden, denn die Leitlinien, mit denen Deutschland außenpolitisch nach 1945 wieder zu einem ebenbürtigen Partner in der Weltpolitik geworden war, halfen in der multipolaren Auffächerung nach Ende des Kalten Krieges nur bedingt weiter. Kinkel verfolgte einen Kurs zwischen Kontinuität und Aufbruch: In den Fragen der Menschenrechte und der EU-Erweiterung setzte er die Politik Genschers fort, ebenso in den Bemühungen einer engeren Anbindung Russlands an die Nato. Dagegen sah er aber in sogenannten Out-of-Area-Einsätzen eine größere Verantwortung Deutschlands, die mit einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat abgesichert werden sollte. Letzteres gelang jedoch weder ihm noch den nachfolgenden Außenministern.

Von null auf hundert

Pflichtbewusst, bescheiden und von durchaus kantiger Hartnäckigkeit entzog sich Klaus Kinkel auch nicht, als ihm 1993 der FDP-Vorsitz angetragen wurde. Dies kam gewissermaßen einer Parteikarriere von null auf hundert gleich, denn Kinkel war erst kurz zuvor überhaupt Parteimitglied geworden – also keine Spur vom berühmt-berüchtigten „Stallgeruch“. Als er den Vorsitz nach zwei Jahren an Wolfgang Gerhardt übergab, schaute er auf eine schwierige Zeit zurück: Die FDP hatte, nach einer Serie schlechter Wahlergebnisse vor allem im Osten des Landes, bei der Bundestagswahl 1994 zwar kein glänzendes, aber ein respektables Wahlergebnis eingefahren, das die Fortführung der Koalition aus CDU, CSU und FDP ermöglichte. Kurz nach der Wahl 1994 hatte er mit der Berufung Guido Westerwelles zum Generalsekretär eine wichtige politische Weichenstellung eingeleitet, mit der sich ein Politikwechsel in der FDP andeutete. 

Fortan widmete er sich mit Leidenschaft ganz der Außenpolitik bis er mit dem Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 1998 aus dem Amt schied. Er blieb noch vier Jahre Bundestagsabgeordneter, übernahm neue Funktionen als ehrenamtlicher Förderer von Sport und Bildung, indem er beispielsweise ein Jahrzehnt die Telekom-Stiftung leitete. Seine letzte große Aufgabe war die Behandlung des vielbegehrten Nachlasses seines Förderers und Freundes Genscher, was ihm – ganz Diplomat – mit einer allseitig akzeptierten Regelung gelang. Bis zu seinem Tod vor zwei Jahren zählte für Kinkel weniger der eigene Nachruhm, als vielmehr das Erbe seines Vorgängers und die große liberale Tradition der deutschen Außenpolitik, die vor rund hundert Jahren, 1922, mit Walther Rathenau begann. Heute hätte Klaus Kinkel seinen 85. Geburtstag begangen.

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