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Tiananmen Massaker
Auch das Gedenken in Hongkong ist nicht mehr frei

Fünf Jahre Haft für Mahnwache zum Gedenken an die Opfer
Tiananmen Aufstand Panzer
Die Bilder des Tiananmen-Aufstandes gingen um die Welt. Doch die Erinnerung an das Massaker wird in China hart bestraft. © picture alliance / AP Photo | Jeff Widener

1989 demonstrierten die Menschen sieben Wochen lang auf dem Tiananmen Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking für mehr Demokratie und gegen die Korruption. Schätzungsweise bis zu einer Million Menschen waren am Höhepunkt der Demonstrationen auf dem weitläufigen Platz versammelt. Unter ihnen auch viele Studierende der Peking Universität, einer der besten Universitäten des Landes. Die Regierung gab sich zwischenzeitlich bereit zum Dialog, die Stimmung war lange gut, hoffnungsvoll – Aufbruch lag in der Luft. Bis die Proteste auf andere Städte übergriffen und die kommunistische Führung beschloss, dem Spuk ein Ende zu machen. Erst wurde Ende Mai das Kriegsrecht verhängt und am 4. Juni schließlich rollten die Panzer auf den Platz und über die Demonstrierenden. Die Armee schoss wahllos in die Menge, die Menschen warfen mit Steinen und Molotov-Cocktails nach den Soldatinnen und Soldaten. Wie viele ums Leben kamen, ist nicht bekannt, die Schätzungen bewegen sich zwischen einigen Hunderten und Zehntausend Todesopfern

180.000 Menschen demonstrierten für die Freiheit

Und doch ist der 4. Juni ist heute in der Volksrepublik China ein Tag wie jeder andere. Mehr noch – der Tag ist ein absoluter Nicht-Gedenk-Tag. Denn die Ereignisse von 1989 werden in China totgeschwiegen und die Partei versucht mit aller Macht, die Geschehnisse aus dem kollektiven Bewusstsein zu verdrängen. Mit einigem Erfolg: Wie die „Time“ nach der Befragung einiger junger Chinesen und Chinesinnen konstatiert wissen viele Chinesinnen und Chinesen, die nach 1989 geboren sind, entweder gar nicht was damals geschah, oder haben nur bruchstückhaftes Wissen

Anders sah es zumindest bis jetzt in Hongkong aus. Auch nach der Rückgabe der ehemaligen britischen Kolonie an die Volksrepublik wurde in Hongkong mit einer Mahnwache im Victoria Park und einem Marsch durch die Stadt an die Ereignisse von 1989 in Peking gedacht. Es existiert ein Museum, das an das Massaker erinnert, und an der Chinese University of Hongkong wurde, nach viel Protest und Auseinandersetzung, eine Replik der Statue „Göttin der Demokratie“ ausgestellt, die 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens stand. Denn obwohl Hongkong Teil der Volksrepublik ist, gab es in dort ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Und so versammelten sich zum dreißigstenJubiläum 2019 schätzungsweise 180.000 Menschen im Hongkonger Victoria Park und gedachten der Demokratiebewegung in Peking und deren Niederschlagung – ein Rekord. 

Von Panzern zu Paragraphen: Jahrestag in Hongkong diesmal abgesagt

Es war kein Zufall, dass dieser Rekord gerade 2019 aufgestellt wurde: Das war das Jahr, als auch in Hongkong die Demokratiebewegung  von sich reden machte. Bis zu zwei Millionen Menschen demonstrierten auf den Straßen gegen den wachsenden Einfluss Pekings und für die Einhaltung des Rückgabevertrages. Aber wie in Peking, so nahm es auch in Hongkong kein gutes Ende. Nachdem die Auseinandersetzungen immer heftiger wurden, trat noch in der Nacht zum 1. Juli 2020 ein sogenanntes Nationales Sicherheitsgesetz in Kraft, welches Peking seitdem dazu genutzt hat, die Demokratiebewegung in Hongkong zu zerschlagen. Statt Panzern nutzte Peking 2020 Paragraphen.

Eine weitere Konsequenz aus der düsteren Situation ist. dass in diesem Jahr die Mahnwache im Victoria Park in Hongkong abgesagt werden musste. Die Behörden hatten den Genehmigungsantrag gar nicht erst bearbeitet – mit Verweis auf die Pandemie. Die Veranstalter haben die Mahnwache dann selbst abgesagt. Das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz beinhaltet empfindliche Strafen für alles, was als Kritik und Sezessionismus hinsichtlich der Volksrepublik angesehen werden kann. Nach den vielen und harten Urteilen gegen Demonstrierende im vergangenen Jahr war das Risiko zu groß.

Fünf Jahre Haft für Teilnahme an einer Mahnwache

Und so bleibt der einzige chinesischsprachige Ort in Asien, an dem frei an die Ereignisse vom 4. Juni 1989 erinnert werden kann, das liberale Taiwan. Die Insel, die auch für viele Hongkongerinnen und Hongkonger ein neues Zuhause geworden ist. In Taiwan gilt die Meinungsfreiheit, und die Behörden haben keine Bedenken gegen eine Gedenkveranstaltung. Eigentlich. Denn seit Mai dieses Jahres ist auch Taiwan vom bisher schwersten Corona Ausbruch im Land betroffen, und Versammlungen von mehr als 10 Personen unter freiem Himmel sind daher verboten.  

Dieses Jahr wird es in Greater China Gedenkveranstaltungen zum Tiananmen Massaker also nur im digitalen Raum geben. Auf facebook und Twitter unter hashtags wie #6432justice oder #4thJune gibt es Veranstaltungsankündigungen, Fotos und altes Videomaterial von 1989 – die damaligen Ereignisse in Peking sind nicht vergessen. Die Menschen in Peking und der Volksrepublik selbst werden aber auch an diesen Veranstaltungen nicht teilnehmen können: Twitter, facebook und andere soziale Medien sind in China gesperrt, und nur mit Hilfe eines VPN Klienten der einem eine nicht-chinesische IP-Adresse zuordnet, erreichbar. Die Nutzung eines solchen Dienstes für diese Zwecke ist in der VR China aber nicht mehr legal. 

Das Internet in Hongkong ist – noch - weniger betroffen von solchen Zensurmaßnahmen: Das sogenannte „Nationale Sicherheitsgesetz“ Hongkongs hat aber die Voraussetzungen dafür geschaffen. Aber auch in Hongkong ist die Teilnahme und Verbreitung dieser online-Gedenkveranstaltungen gefährlich geworden: Das Nationale Sicherheitsbüro droht Teilnehmenden an einer Mahnwache fünf Jahre Haft an, wer für eine Veranstaltung wirbt, der soll mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Peking bleibt dabei: Das Gedenken ist nicht frei.

Dieser Beitrag erschien erstmalig am 03.06.2021 bei FocusOnline.