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Georgiens Richtungsentscheidung
Die „Registrierung ausländischer Agenten“ würde eine Abkehr vom Westen bedeuten

Zusammenstöße zwischen der georgischen Polizei und Demonstranten am zweiten Tag der Proteste gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" in Tblisi, Georgien

Zusammenstöße zwischen der georgischen Polizei und Demonstranten am zweiten Tag der Proteste gegen das Gesetz über "ausländische Agenten" in Tblisi, Georgien

© picture alliance / AA | David Mdzinarishvili

Tagelang hatten Tausende vor dem Parlamentsgebäude demonstriert. Sie protestierten gegen ein Gesetzesvorhaben, wonach unabhängige Medien und Nichtregierungs-Organisationen (NGOs), die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, als „ausländische Agenten“ gelten sollten. Auch sämtliche FNF-Stiftungspartner würden unter die Registrierungspflicht fallen. Sollte das Gesetz umgesetzt werden, hätte Georgien eine Richtungsentscheidung getroffen: für eine Politik, die Russland zugewandt ist und gegen die EU. Es würde die Arbeit der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien massiv einschränken, die wesentlich zur Demokratisierung Georgiens beitragen.

Zunächst hatte das Parlament zu Wochenanfang überraschend schnell dem Gesetz zur „Registrierung ausländischer Agenten“ in erster Lesung zugestimmt. Keine 48 Stunden später - nach einer weiteren Nacht, in der die Polizei Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer gegen Demonstranten einsetzte - kündigte die Regierungspartei an, den Entwurf zurückzuziehen. Doch dieser plötzlichen Kehrtwende traut niemand. Denn gleichzeitig ließen Abgeordnete wissen, dass es ihnen um eine Beruhigung der Situation geht und sie als nächstes eine groß angelegte Informationskampagne für das Gesetz planen.

Der Gesetzentwurf sah vor, dass Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus ausländischen Quellen beziehen, in Zukunft als „ausländische Agenten“ registriert werden. In Georgien wird das Wort Agent synonym zu Spion verwendet. Als „ausländischer Spion“ bezeichnet zu werden, weckt für viele schmerzhafte Erinnerungen an die Sowjetzeit, während der ihre Großeltern als vermeintliche „ausländische Agenten“ gefoltert oder ermordet wurden. Keiner mag mit sogenannten Spionen in Verbindung gebracht werden. Schon jetzt sind Schmierkampagnen üblich, in denen Oppositionspolitiker und Vertreter von NGOs und Medien als Agenten und heimatlose Verräter bezeichnet werden. Müssen sie sich auch formell unter diesem Label registrieren, dürfte es den Druck auf Vertreter der Zivilgesellschaft und Medien erhöhen und bewirken, dass sich Bürger von ihren Angeboten zurückziehen. Das würde der Regierung vor den anstehenden Wahlen 2024 Spielraum geben, ihre unliebsamen Kritiker weiter zu diskreditieren.

Die Gesetzesentwürfe kamen von der Volksmacht-Partei, die sich vor einigen Monaten von der Regierungspartei Georgischer Traum abgespalten hat. Die Volksmacht-Abgeordneten haben seitdem ihre neue formale Unabhängigkeit von der Mutterpartei dazu genutzt, unverhohlen gegen den Westen Stimmung zu machen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Regierungspartei die Abspaltung als Sprachrohr eigener anti-westlicher Positionen nutzt, während sie offiziell vorgibt, die EU- und Nato-Integration voranzutreiben. Im Parlamentsalltag arbeiten beide Parteien weiterhin eng zusammen.

Die georgische Regierung übt schon seit einiger Zeit auf kritische Medien zunehmend Druck aus. Dies bestätigte auch eine vor kurzem veröffentlichte Studie des FNF-Stiftungspartners Media Voice. In Sachen Medienfreiheit ist Georgien im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen im Laufe des Jahres 2021-22 fast 30 Plätze abgerutscht. Die lebendige Zivilgesellschaft im Land wird von der Regierung weiterhin als Bedrohung angesehen, weil sie es schafft, Massenproteste zu organisieren und sich hörbar zu innenpolitischen Themen zu Wort meldet. Mit dem sogenannten Ausländischen Agentengesetz sollte nun auch ihr die Luft abgeschnürt werden.

Mehr als nur diskreditierende Semantik

Der Widerstand gegen das Gesetz wurde deshalb schnell groß. Selbst Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili machte klar, dass sie ein Veto einlegen würde. Ihr Veto kann aber mit Hilfe einer einfachen Mehrheit im Parlament überstimmt werden. Viele NGOs und Medienvertreter würden lieber eine Strafe hinnehmen, als sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren. Die Volksmacht-Partei hatte deshalb schnell einen zweiten Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, angeblich nach dem Vorbild des amerikanischen Gesetzes zur Registrierung „ausländischer Agenten“ (FARA). Diesem Vergleich war das amerikanische Außenministerium rasch entgegengetreten.

Ein Gesetz nach russischem Vorbild

Das Gesetzesvorhaben in seiner nun vorerst gestoppten Form folgte in seiner Logik dem russischen Gesetz zu „ausländischen Agenten“. Zwar wären die Auflagen für die sogenannten „Agenten“ nicht so streng wie momentan in Russland, doch befürchteten viele Kritiker, dass mit der Zeit weitere Repressionen hinzukommen könnten, wie es auch in Russland der Fall war. Um diese Gefahr zu bannen, wollen sie in dieser Sache keinem Kompromiss zustimmen.

Die Regierungsfraktion argumentierte dagegen, dass es ihr um Transparenz geht, und dagegen könne doch nichts einzuwenden sein. Doch bestehen in Georgien bereits klare Mechanismen zur Transparenz von Gebern und Empfängern. Für mehr Transparenz bedürfe es keines neuen Gesetzes, das NGOs und Medien zu einer zusätzlichen Registrierung verpflichtet.

NGOs und Medien selbst sagen, jetzt gehe es darum, den Geist eines solchen Gesetzes nicht aus der Flasche zu lassen. Sie wollen weiter wachsam sein und die Diskussion am Leben halten. Und im Ernstfall sollten auch Konsequenzen diskutiert werden, z. B. eine Konditionierung der Entwicklungszusammenarbeit: Sollen staatliche Institutionen tatsächlich weiterhin gefördert werden, während die Regierung gegen die Zivilgesellschaft vorgeht? 

Viele internationale Partner meldeten sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zu Wort, darunter auch europäische und amerikanische Wirtschaftsverbände, die sich mit politischen Äußerungen sonst zurückhalten. Die EU stellte schnell klar, der vorgelegte Entwurf sei mit europäischen Normen nicht in Einklang zu bringen. Es gibt innerhalb der EU schon Erfahrungen mit diesem Thema: Der Europäische Gerichtshof entschied im Jahr 2020, dass ein ähnliches Gesetz aus Ungarn unvereinbar mit EU-Gesetzgebung sei, u.a. weil es gegen die Versammlungsfreiheit, den Datenschutz und den freien Kapitalverkehr verstößt sowie NGOs diskriminiert. Die ungarische Regierung annullierte daraufhin das Gesetz. 

Welche Richtung schlägt Georgien ein?

Bei dem nun gestoppten georgischen Gesetzentwurf geht es also um eine Richtungsentscheidung. Selbst die georgische Präsidentin mutmaßte öffentlich, dass es auf Geheiß Moskaus entstand. Georgiens Regierung würde sich deutlich vom pro-europäischen Reformkurs abwenden und sich nach russischem Vorbild verhalten. Das heißt, sich für eine Politik zu entscheiden, die gegen liberale Werte, gegen Bürger- und Menschenrechte und gegen Meinungs-und Pressefreiheit steht. Aus welchem Grund diese Entscheidung getroffen wird, ist schwer nachzuweisen. Ob aufgrund von Putins Druck, von persönlichen Verbindungen georgischer Entscheidungsträger zu Russland oder ob es allein zum Zweck des Machterhalts geschieht, ist Spekulation.

Ein Großteil von Georgiens Opposition wirft schon lange der Regierungspartei Georgischer Traum vor, einen Kuschelkurs mit Russland zu betreiben und nur vorzutäuschen, sich um die EU-Mitgliedschaft und entsprechende Reformen zu bemühen.

Katrin Bannach ist Projektleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus.