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EU leitet Verfahren gegen Polen ein

Weitere Orbanisierung in Europa unterbinden BrüsselHinter verschlossenen Türen hat die EU-Kommission lange und intensiv über die von der neuen polnischen Regierung betriebenen Gesetzesänderungen zum Justiz- und Medienwesen beraten. Am Ende hat sie beschlossen, ein Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit einzuleiten. [caption id="attachment_9243" align="alignnone" width="640"] Source: flickr.com/photos/tiseb[/caption] In der ersten Phase des jetzt eingeleiteten Verfahrens wird analysiert, ob eindeutige Anzeichen für eine „systembedingte Gefahr“ für die Rechtsstaatlichkeit vorliegen. Sollte dies der Fall sein, kann die polnische Regierung aufgefordert werden, Änderungen vorzunehmen. Käme es dann zu keiner Einigung, könnten Sanktionen bis zum Entzug von Stimmrechten verhängt werden. Die EU-Kommission hat sich mit der Entscheidung für einen Drahtseilakt entschieden. Sie sendet das klare Signal an die nationalkonservative Regierungsmehrheit aus, keine weiteren den Rechtsstaat beschränkenden Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings will sie auch vermeiden, durch eine zu harsche Kritik der PiS-Regierung die Möglichkeit zu geben, sich als die Unverstandenen, Verfolgten zu stilisieren und ihr so ungewollt den Rücken zu stärken. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans betonte, man wolle keine Konfrontation, sondern Dialog mit Warschau. Es ist das erste Mal, dass der 2014 geschaffen e Rechtstaatsmechanismus eingeschaltet wird. Die liberale Fraktion im Europaparlament begrüßte die Entscheidung der Kommission als einen „Schritt in die richtige Richtung“, so ALDE-Fraktionsvize Sophie in’t Veld. Leider werde aber nicht jeder EU-Mitgliedstaat gleich behandelt. Denn, so in’t Veld weiter, warum werde das „illiberale“ Ungarn nicht genau so scharf kritisiert wird wie Polen. Der Regierung in Warschau fehlt offenbar die schützende Hand einer der beiden großen Parteienfamilien in der EU: Christdemokraten (EVP) oder Sozialdemokraten (S&D). Warschau/Prag - Wie nicht anders zu erwarten, reagierten die polnische Regierung und die sie tragende nationalkonservative Partei „Recht und Solidarität“ PiS aber auch einige Medien bereits auf die Absicht der EU-Kommission, ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen einzuleiten, ablehnend bis emotional - insbesondere wenn es sich um Äußerungen von deutschen EU-Repräsentanten handelte. So veröffentlichte die Wochenzeitschrift Wprost auf dem Titelbild eine Fotomontage, die eine Szene aus dem Führerhauptquartier nachstellt. Die Figur Hitlers hat das Gesicht Merkels, auf den Figuren von Generälen sind die Köpfe von Juncker, Schulz, Oettinger und Verhofstadt montiert. Der Bericht ging auf die deutsche und europäische Kritik am Kurs der polnischen Regierung ein und schlussfolgerte, in der Sache gehe es den Europäern nicht um den Schutz der Demokratie, sondern um wirtschaftliche Interessen, die durch die PiS-Vorhaben der Banken- und Supermarktsteuer bedroht seien. [caption id="attachment_9244" align="alignnone" width="640"] Source: flickr.com/photos/polandmfa[/caption] Dagegen fordern liberal orientierte polnische Medien die PiS-Regierung auf, die öffentliche Kritik des Auslands an dem Regierungskurs nicht zu anti-polnischen Stimmen hochzustilisieren. Es wird vor einer Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses durch das Schüren einer anti-europäischen und speziell anti-deutschen Hysterie gewarnt, die nicht im Interesse Polens liege. Zwar werden überzogene Vergleiche und Aussagen einiger deutscher Politiker kritisch bewertet, aber es wird darauf hingewiesen, dass diese nicht von der Kanzlerin und dem deutschen Außenminister kämen. Es wird gewarnt, dass ähnliche Stimmungsmache gegen Europa und Deutschland im Zuge der Griechenlandkrise dem Land eher geschadet hätten. Allerdings wird auch von Teilen der demokratischen Opposition vermutet, die Äußerungen mancher EU-Politiker seien als Retourkutsche für die harte Position Polens in der Ukraine-Krise und in der NATO-Russland Politik zu verstehen. Die polnischen Partner der Stiftung für die Freiheit sehen einem Rechtsstaatsverfahren oder gar Sanktionen mit gemischten Gefühlen entgegen. Es wird darauf hingewiesen, dass man bei den Beitrittsländern viel kritischer und unsensibler agiere als bei den Großen. Als Beispiel wird die italienische Medienpolitik unter Berlusconi genannt, der sich als größter privater Medienunternehmer die öffentlich-rechtliche RAI de facto unterordnete, ohne dass die EU reagiert hätte. Und auch die in Frankreich traditionell enge Verquickung der Regierung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einschließlich Besetzung der leitenden Posten werde von der EU hingenommen. Błażej Lenkowski, langjähriger Stiftungspartner, Mitherausgeber des Magazins Liberte macht seine Skepsis gegenüber dem Schritt der EU Kommission deutlich: „Das EU-Verfahren ist nach meiner Meinung zum jetzigen Zeitpunkt eher schädlich. Es wird die anti-europäische Stimmung im Lande fördern und letztendlich Herrn Kaczynski stärken. Es ist zu früh für einen solchen Schritt. Das Ziel aller Demokraten in Europa sollte es sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, damit bei der nächsten Wahl die PiS von der demokratischen Opposition geschlagen werden kann.“   Aus Brüssel berichtet Håvard Sandvik, europapolitischer Referent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit; die Stimmung in Polen fasst Dr. Borek Severa, FNF-Repräsentant für Mitteleuropa und die baltischen Staaten, zusammen.