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"Diese Regierung ignoriert alle" - Ein Gespräch mit jungen Nowoczesna-Abgeordneten

Die zwei jungen Sejm-Abgeordneten von Polens liberalen Partei Nowoczesna, Adam Szłapka und Monika Rosa, erläutern im Gespräch mit unserem Mitteleuropa-Experten Dr. Borek Severa die Verfassungskrise in Polen. [caption id="attachment_9776" align="alignnone" width="620"] Source: Wikimedia Commons / Adrian Grycuk[/caption]

Die Venedig-Kommission des Europarates warnt vor dem Niedergang der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Letzte Woche wies das polnische Verfassungsgericht das PiS-Gesetz zurück, das die Funktionsfähigkeit des Gerichts massiv beeinträchtigen würde. Doch die Regierung scheint durch die Urteile unbeeindruckt zu sein. Erwarten Sie, dass die Regierung schließlich aufhören wird, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in Polen unterzugraben?

Diese Regierung ignoriert alle: die Opposition, die Anwälte und Rechtsexperten und die Bürger, die die Rechtsstaatlichkeit zurück wollen. Die Venedig-Kommission sagte, dass die polnische Demokratie durch die Maßnahmen der Regierung, die das Verfassungsgericht lähmen, bedroht ist. Die Regierung hat gegen die drei Grundregeln des Europarates verstoßen: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Jaroslaw Kaczynski versprach eine Alternative zum „mainstream“-Ziel der Europäischen Integration. Wir hatten Angst, dass diese Alternative ein Regime im Orban-Stil sein würde. Jetzt wissen wir, dass es noch schlimmer ist. Sogar Orban respektierte letztlich die Stellungnahmen der Venedig-Kommission. PiS hat angekündigt, dass sie es nicht tun werden. Wir müssen die gegenwärtige Dynamik aufrechterhalten und den Druck erhöhen. Die Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft müssen alle Kräfte bündeln, um die PiS in ihrem „Blitzkrieg“ gegen die Verfassung und die Demokratie zu stoppen. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben und müssen jetzt noch mehr öffentliche Unterstützung gewinnen. Laut Umfragen verliert die PiS bereits: sie ist auf 33% gesunken, wir von der liberalen Nowoczesna liegen bei 22%, die konservative Bürgerplattform PO bei 19%. Immer mehr PiS Aktivisten, darunter auch Abgeordnete, sind von Kaczynskis Strategie beunruhigt. Einige machen sich Sorgen um ihre Chancen bei  zukünftigen Wahlen, andere fürchten selbst um die Rechtsstaatlichkeit. Sie könnten ihre Parteiführung zwingen, damit aufzuhören, die Rechtstaatsprinzipien in Polen zu untergraben. Eine weitere Hoffnung sind die USA. Die regierende PiS schert sich nicht um die Kritik aus den europäischen Institutionen. Aber gute Beziehungen Polens mit Washington, DC sind ihr wichtig. Die US-Regierung ist entsetzt über die Auseinandersetzung um das polnische Verfassungsgericht. Der Brief dreier US-Senatoren, darunter der Republikaner John McCain, die ihre Sorge über den Zustand der Demokratie in Polen ausdrückten, kam für die PiS überraschend. Dann schickte US-Außenminister John Kerry seine rechte Hand Victoria Nuland und den ehemaligen Botschafter in Polen, Daniel Fried, auf eine Fact-Finding-Mission nach Polen. Präsident Obama hat immer noch nicht bestätigt, ob er sich am Rande des Gipfels zur Nicht-Verbreitung von Nuklearwaffen mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda treffen werde. Einige westliche Medien streuten das Gerücht, der NATO-Gipfel könne von  Warschau nach Riga verlegt werden. Der Druck von der anderen Seite des Atlantiks erschreckt die PiS, deren Unterstützer sehr pro-amerikanisch sind. Das könnte der Schlüssel zur Lösung der Krise um das Verfassungsgericht sein. [caption id="attachment_9775" align="alignnone" width="620"] Source: Wikimedia Commons / Adrian Grycuk[/caption]

Wie würde Nowoczesna als Führer der polnischen Opposition reagieren, falls die PiS-Regierung gegen die Verfassungsgrundsätze weiterhin verstößt?

Von Anfang an hat Nowoczesna die Rolle des demokratischen Oppositionsführers gegen PiS übernommen. Unsere Abgeordneten kämpfen im Parlament und in den Medien, um auf die illegalen und verfassungswidrigen Maßnahmen der Regierung hinzuweisen. Nowoczesna hat Verfassungsbeschwerde gegen die von PiS eingeführten Änderungen des Verfassungsgerichtsrechtes eingelegt und wir haben gewonnen; die Änderungen sind auch nach Ansicht der Verfassungsrichte verfassungswidrig. Wir haben eine Unterschriftensammlung "Bürger für die Verfassung" gestartet. Die Petition fordert die Regierung auf, nicht länger gegen unsere Verfassung und unsere Rechte zu verstoßen, die Beeinträchtigung des Verfassungsgerichtes bedeutet nämlich gleichzeitig die Beeinträchtigung der Grundrechte, die das Gericht schützt. Tausende von Nowoczesna-Freiwilligen sammeln landauf landab auf der Straße Unterschriften.

Am Samstag fand in Warschau wieder eine Demonstration statt. Wie ist die Atmosphäre? Sind die Polen immer noch auf zwei Lager geteilt oder vereinigt sie die Verfassungskrise?

Polen ist geteilt. Jaroslaw Kaczynski tut alles, um den Riss zwischen den Polen zu vertiefen. Er nutzt alle Mittel, über die die Regierung verfügt. Vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das ein Partei-Fernsehen geworden ist, TVPiS anstatt TVP. Zum Glück verliert PiS von Woche zu Woche Anhänger. Alle Umfragen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Polen auf der Seite des Verfassungsgerichts und gegen die Regierung steht. Die jüngste Umfrage zeigt, 45% der Polen glauben, dass die Opposition in diesem Konflikt Recht hat und nur 25% unterstützen die Regierung. 74% wollen, dass die Regierung das Urteil des Verfassungsgerichts im Amtsblatt veröffentlicht, damit es rechtskräftig wird; nur 19% sind dagegen. Jaroslaw Kaczynski vereint die Opposition wie niemand anders. Am vergangenen Wochenende organisierte Nowoczesna eine Demonstration unter dem Titel "Wir werden die Verfassungsordnung wiederherstellen". Die Bürgerplattform, die Linke, das Komitee für die Verteidigung der Demokratie haben sich angeschlossen. Insgesamt marschierten 50.000 Menschen vom Verfassungsgerichthof zum Präsidentenpalast, von Ryszard Petru und über 20 Nowoczesna MPs angeführt. Es war eine friedliche Demonstration, die zeigt, dass die Menschen wütend sind und zugleich motiviert, die Verfassung zu schützen.