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Das haben die Polen nicht gewählt – ein Appell an die internationalen Partner sich einzumischen

Die in Polen seit den Parlamentswahlen Ende Oktober 2015 mit absoluter Mehrheit regierende nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) setzt im Eiltempo ihre Pläne für den Umbau des Landes um. Zuerst wurde in Windeseile per Gesetz die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts eingeschränkt. Mit der zum Jahresende verabschiedeten Medienreform, die bereits zum 1. Januar in Kraft trat, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk praktisch zum Staatsfunk umgewandelt. So werden diese Sender nicht mehr in der Rechtsform öffentlicher Unternehmen geführt werden, sondern als dem Kulturministerium unterstellte nationale Kulturinstitutionen. [caption id="attachment_9196" align="alignleft" width="275"] Kamila Gasiuk-Pihowicz[/caption] Den besorgniserregenden Abbau liberaler und pluralistischer Demokratiestrukturen in Polen kommentierte die liberale Parlamentsabgeordnete Kamila Gasiuk-Pihowicz gegenüber der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und appelliert an die europäischen Liberalen, sich aktiv einzubringen. Gasiuk-Pihowicz ist von Beruf Rechtsanwältin und Ökonomin und arbeitete u. a. für das Büro des polnischen Menschenrechtsbeauftragten. Ihre Partei Nowoczesna (Modernes Polen) ist aktuellen Umfragen zufolge mittlerweile die zweitstärkste politische Kraft. „Eigentlich ist es keine Überraschung, dass die antidemokratischen Maßnahmen der allein regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach der Attacke auf das Verfassungsgericht kein Ende nahmen. Kurz nach Weihnachten verabschiedete PiS mittels ihrer parlamentarischen Mehrheit eine Reihe von Gesetzen mit potenziell weitreichenden Folgen für die polnische Demokratie. Die Liste umfasst ein Gesetz, das das Konzept unabhängiger öffentlicher Medien praktisch zerstört und den Austausch des gesamten Managements erlaubt. Neue Regelungen sollen auch die polizeiliche Überwachung der Bürger ermöglichen. Zudem hat PiS ein Gesetz durchgesetzt, das die Bildungsreform einen Schritt zurückwirft, so wird z.B. der Einschulalter von sechs auf sieben Jahre erhöht. Über alles diese neue Regelungen wurde wieder sehr spät in der Nacht abgestimmt und - was noch wichtiger ist – ohne öffentliche Konsultationen. Ich kann hier nicht alle Details der Gesetze im Einzelnen analysieren. So einschneidend sie für Polen sind, die internationalen Leser dürften sie sicher weniger interessieren. Doch ich möchte zwei Botschaften vermitteln: Erstens, die politische Richtung, die Polen nun einschlägt, ist eindeutig nicht das, wofür die polnischen Wähler gestimmt haben. Zweitens, die internationale Reaktion ist von erheblicher Bedeutung. Im Oktober 2015 stimmte das polnische Volk für einen politischen Wandel. Nach acht Jahren der Mitte-Rechts-Regierung der Bürgerplattform (PO) erlangte PiS 36 % der Wählerstimmen und damit die Mehrheit der Sitze im Parlament. Die Wähler vertrauten auf die Versprechen der Partei von Jaroslaw Kaczynski: höhere Sozialausgaben, Absenkung des Renteneintrittsalters, bodenständiger, weniger extravaganten Lebensstil der Politiker. Letzterem stimmen auch wir Liberale zu; die übrigen politischen Versprechungen halten wir für den falschen Weg und dennoch respektieren wir als Demokraten das Votum der Wähler. Doch was direkt nach den Wahlen einsetzte war ein anti-demokratischer Akt nach dem nächsten auf allen möglichen Fronten und widersprach allem, was die PiS im Wahlkampf der Öffentlichkeit vorgespielt hatte. Hierauf haben die Polen bereits deutlich reagiert. Laut aktuellen Umfragen ist die Unterstützung für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) innerhalb weniger Wochen um mindestens 10 Prozent eingebrochen, während Nowoczesna – die die Vorgehensweise von PiS kompromisslos anprangert – zur zweitstärksten politischen Kraft aufgestiegen ist. In zahlreichen polnischen Städten gingen die Menschen auf die Straße und demonstrierten zu Tausenden gegen die in Gang gesetzten Regierungsvorhaben. Was gegenwärtig in Polen geschieht, kommt vielen bekannt vor. In Ungarn wurde es vorexerziert. Offensichtlich ist Polen kein Einzelfall. Vielleicht sind politische Radikalisierung und antidemokratische Rückschritte ansteckend. Die Wirtschaftskrise hat uns in Europa bereits schmerzlich gezeigt, dass sich wirtschaftspolitische Fehler und ihre Folgen schnell auch auf andere ausweiten und gravierende Auswirkungen haben. Derzeit erleben wir einen ähnlichen Prozess auf politischer Ebene. Daher spielen internationale Aufmerksamkeit und Reaktionen eine wirklich wichtige Rolle – und nicht nur auf der offiziellen Ebene internationaler Organisationen. Zunächst sollte man sich objektiv über die Ereignisse - diesmal in Polen – ein eigenes Bild machen und dies anderen weitergeben, im politischen Umfeld und in der Zivilgesellschaft. Dann ist ein Erfahrungsaustausch innerhalb der internationalen liberalen Familie nötig, wie man gemeinsam diesen Entwicklungen begegnen kann. Manchmal können bereits einfache Mittel und Maßnahmen große Wirkungen auf politischer Ebene entfalten. [caption id="attachment_9201" align="alignnone" width="652"] Quelle: Public Domain Mark 1.0 Kancelaria Prezesa Rady Ministrów /Flickr/ bearbeitet[/caption] Hintergrund: Im Rahmen der „Medienreform“ übernimmt ein neugeschaffener Nationaler Medienrat (RMN) die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Sender. Er besteht aus fünf vom Sejm, Senat und Staatspräsidenten gewählten Mitgliedern. Die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender werden dem RMN unterstehen. Die „Medienreform“ hat auch das Ziel, alte Rechnungen mit der Vorgängerregierung der „Bürgerplattform“ zu begleichen. Auch diese hatte mehrfach versucht, die öffentlich-rechtlichen Medien an die Kandare zu legen. Nun wird die PiS alles daran setzen, die Redaktionen mit ihr nahestehenden Journalisten zu besetzen. Auch auf anderen Feldern drückt die PiS beim nationalkonservativen Umbau Polens aufs Tempo: Als nächstes soll die Rentenreform der Vorgängerregierung zurückgenommen und das Renteneintrittsalter wieder abgesenkt werden. Auch die Gesetzentwürfe für die Besteuerung der zumeist ausländischen Unternehmen gehörenden, großflächigen Supermärkte sowie die Einführung eines Mindestlohns von 12 Złoty pro Stunde sollen in Kürze in den Sejm (Parlament) eingebracht werden. Gearbeitet wird auch an einer Reform der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die liberale Oppositionspartei Nowoczesna wurde erst vor den Wahlen in 2015 begründet. Einer ihrer bedeutenden Unterstützer im Wahlkampf war der Think-Tank Projekt:Polska, ein langjähriger Partner der FNF, der aktiv im regionalen Netzwerk 4Liberty.eu mitwirkt. Dr. Borek Severa leitet das Projekt Mitteluropa und baltische Staaten der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Prag.