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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Jubiläum
Ein besonderer Bürger

Ludwig Theodor Heuss wird 60 Jahre alt. Er steht für Freisinn und Fortschritt.
Ludwig Theodor Heuss
Ludwig Theodor Heuss © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Er trägt einen berühmten Namen: Heuss. Die Erinnerung an seinen Großvater Theodor Heuss ist tief in die Geschichte unseres Landes eingraviert. Sie hat auch im 21. Jahrhundert nicht abgenommen. Ganz im Gegenteil, das hektische Zeitalter des Internets beflügelt die Sehnsucht nach jener Bürgerlichkeit und Bildung, die der erste Präsident der damals neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland wie kein zweiter Politiker ausstrahlte. Dies gilt allemal für die liberale Welt einschließlich unserer Stiftung, die von Theodor Heuss gegründet wurde und den Namen seines Mentors Friedrich Naumann erhielt. 

In dieser großen Tradition steht auch der Enkel Ludwig Theodor Heuss. Und er tut es mit jener souveränen humorvollen Gelassenheit, die menschliche und weltanschauliche Wurzeln würdigt, aber den Blick fest in die Zukunft richtet – für den Fortschritt in liberalem Geist. Er ist langjähriges Mitglied im Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Von 2010 bis 2020 war er dessen stellvertretender Vorsitzender, 2020 wurde er als Nachfolger von Jürgen Morlok zum Vorsitzenden gewählt. Sein besonderes Augenmerk galt und gilt stets der konzeptionellen Aufstellung und Aktivität der Stiftung – auch als höchst aktives Mitglied des Programmausschusses, in dem er nachdrücklich auf die Themenschwerpunkte der Stiftung und deren liberale Profilierung Einfluss nahm und weiter nimmt. Unsere Stiftung ist ihm zu großem Dank verpflichtet.

Doch sein Wirken für die Idee der Freiheit geht weit über die Friedrich-Naumann-Stiftung hinaus. Er ist mit weiteren Institutionen der liberalen Familie in Führungspositionen verbunden, so schon seit 2003 als Vorsitzender der Theodor-Heuss-Stiftung und als stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender jener Bundesstiftung, die sich dem Andenken an den ersten Bundespräsidenten und Mitgründer der FDP widmet („Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus“). Darüber hinaus ist er ein vielgefragter Diskussionspartner und leidenschaftlicher Publizist, wenn es um liberale Werte sowie die Verteidigung der Freiheit und Menschenwürde geht. Als Staatsbürger zweier Länder – der Schweiz und Deutschlands – ist sein Liberalismus geprägt von der politischen Kultur beider Nationen: dem kraftvollen bürgerlichen Freisinn der Eidgenossenschaft und dem stets gefährdeten Freiheitsbewusstsein in der deutschen Geschichte. Wie kaum ein zweiter verbindet er die besten liberalen Ziele und Werte beider Traditionen.

Aufgewachsen ist Ludwig Theodor Heuss in der Schweiz. Die Familie hatte sich nach dem Tod des Vaters in Basel niedergelassen, wo der junge Heuss einen humanistischen Bildungsweg einschlug und trotz Neigung zu Philosophie und Geschichte als Studienfach die Medizin wählte – mit dem üblichen Abschluss einer Promotion. Er spezialisierte sich auf Gastroenterologie und habilitierte sich in diesem Gebiet. Seit 2007 ist er als Chefarzt und Leiter der Medizinischen Klinik am Zürcher Spital Zollikerberg tätig, ein im 19. Jahrhundert begründetes und ursprünglich von Diakonissen geführtes Haus, das von einem „guten Geist“ getragen wird, wie es Heuss gerne formuliert. Viele Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung erhielten durch Heuss die Gelegenheit, diesen guten Geist kennenzulernen – während ihrer Praktika in der Klinik, die ihnen wichtige Einblicke in die Innere Medizin und die Medizinethik vermittelten.

Der politisch denkende Heuss beließ es nicht bei der rein ärztlichen Tätigkeit. Er engagierte sich auch in der Verbandspolitik des Gesundheitswesens: von 1991 bis 1999 als Präsident des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärzte sowie von 1994 bis 2006 als Vorstandsmitglied der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH, „Foederatio Medicorum Helveticorum“). Neben der medizinischen Praxis und Berufspolitik ist Heuss seit 2017 im Verlagswesen aktiv. Er leitet den traditionsreichen Schwabe Verlag, der in einer langen humanistischen und freiheitlichen Tradition steht. Diesen Schwerpunkt seiner Arbeit hat Heuss in jüngster Zeit sogar noch verstärkt, und zwar mit dem Imprint NZZ libro sowie einer Niederlassung in Berlin für das historisch-politische Buch.

Der Schwabe Verlag entstand 1488 mit der ersten Buchdruckerei im damaligen geistigen Zentrum Basel. Er kann mithin als das älteste noch bestehende Verlagshaus der Welt gelten, gegründet gerade mal eine Generation nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg. Die Fortführung dieser europäischen Geistestradition soll dazu beitragen, wie es Heuss formuliert, eine Schicht „verantwortungsvoller und verantwortungsbereiter Citoyens heranzubilden, die an die schöpferische Kraft des freien Menschen glauben und die der Freiheit einen unverrückbaren Wert im politischen Feld beimessen“.

Vielleicht hat die familiäre Tradition Ludwig Heuss die Neigung zum umfassenden liberalen Engagement in die Wiege gelegt. Dabei geht es nicht allein um das politische Erbe des Großvaters Theodor Heuss. Es zählt auch das humanitäre Engagement und das Schicksal der Großmutter Annemarie Wolff-Richter, Heilpädagogin und Individualpsychologin. Sie geriet mit ihrem – im Berlin der Weimarer Republik eröffneten – Kinderheim für schwererziehbare Jungen und Mädchen unter den Nationalsozialisten in schwere Bedrängnis. Sie wurde verhaftet, flüchtete nach Kroatien und kam dort im Konzentrationslager Jasenovac 1945 ums Leben – ein „Ende ohne Abschied“, wie es in ihrer Biographie heißt, die jüngst von Ludwig Heuss herausgegeben wurde.

Für Ludwig Heuss gilt es, die Grundgedanken von Freiheit, Verantwortung und aktiver Bürgerbeteiligung in unsere Zeit zu übersetzen. Dazu gehört etwa die Frage, welche „neuen Formen der Demokratie und der politischen Artikulation im 21. Jahrhundert aktuell sind. Desinteresse, Politikverdrossenheit und allgemeiner Unmut bleiben auch heutzutage eine große Gefährdung.“ In Deutschland beobachtet Heuss mit Besorgnis die latente Neigung zu Zwangseingriffen mächtiger Ideologien. Im Unterschied zu Sicherheit und Gleichheit werde die Freiheit als „Voraussetzung für jede Form des gesellschaftlichen und sozialen Fortschritts“ eher geringgeschätzt. Warum nicht etwas von der Schweizer Erfahrung lernen, dem „einzigen Land, in dem sich eine bürgerliche Demokratie aus den liberalen Gedanken des Jahres 1848 entwickelt“ hat? Die Freiheit des Menschen, so hat Ludwig Heuss einmal ein Wort seines Großvaters abgewandelt, brauche „Wagnis und Selbstbehauptung im Gleichgewicht mit Verantwortung und Gebundenheit“. Das ist sein Credo, auch für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Ludwig Theodor Heuss bringt eine kräftige Portion humanistischer und freiheitlicher Energie in die Stiftung. Das ist gut so. Wir wünschen ihm zum 60. Geburtstag unverminderte Tatkraft und einen weiterhin so ansteckenden Optimismus zur Stärkung liberaler Werte.