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Kosovo und Serbien
Spiel mit dem Feuer

Serbien
© picture alliance / EPA | GEORGI LICOVSKI

Als vor anderthalb Wochen am frühen Sonntagmorgen ein kosovarischer Polizeibeamter im Norden des Landes von einer kosovo-serbischen Miliz erschossen wurde, begann eine Ereigniskette, die den Westbalkan kurzfristig an den Rand eines Krieges brachte. Auch wenn gesicherte Erkenntnisse noch immer nicht vorliegen, ist die wahrscheinlichste Version, dass eine kosovarische Polizeistreife rund 30 kriminelle Serben bei der Verladung geschmuggelter Waffen überraschte. Wäre die dafür aus Lkw errichtete Straßensperre ein bewusst gelegter Hinterhalt zur Ermordung von Polizisten gewesen, es würde die Angelegenheit nur noch schlimmer machen.

In der Folge kam es zu stundenlangen Feuergefechten zwischen kosovarischen Sicherheitskräften und den Angreifern, bei denen vier serbische Freischärler getötet wurden. In einer nahegelegenen Ortschaft wurde ein riesiges Waffenarsenal inklusive Kriegswaffen gefunden; zudem bestätigte sich einige Tage später, dass der in organisierte Kriminalität verstrickte Vizepräsident der „Serbischen Liste“, einer von Belgrad gesteuerten serbischen Einheitspartei in Nordkosovo, die Miliz angeführt hatte.

Zweifelhafte Reaktion aus Belgrad

Während die Nachricht von Gefechten im Norden Kosovos um die Welt ging und die kosovarische Regierung bereits von einem „Terroranschlag“ sprach, erfuhren die Bürgerinnen und Bürger Serbiens von alldem… nichts. Die dem serbischen Präsidenten Aleksander Vučić treu ergebenen Medien wagten es nicht, über den Vorfall zu berichten, obwohl Kosovo ansonsten tagtäglich innenpolitisches Thema Nummer eins ist.

Erst am Abend wandte sich Präsident Vučić persönlich ans serbische Volk und gab die offizielle Linie vor, dass Serbien mit dem Zwischenfall nichts zu tun habe. Vielmehr trage der kosovarische Premierminister Albin Kurti die Schuld. Die getöteten Serben seien „besorgte Familienväter“ gewesen, die dem systematischen Terror der Kosovo-Albaner gegen die serbisch-stämmige Bevölkerung etwas entgegensetzen wollten. Daher werde er einen staatlichen Trauertag „aufgrund der Vorkommnisse in Kosovo und Metohija“ ausrufen.

Dass Serbien um Mitglieder eines hochgerüsteten Killerkommandos trauerte, wurde dem Publikum dabei vorenthalten. Präsident Vučić hatte die Linie vorgegeben, und Medien und Kirche lieferten: die Menschen in Serbien erfuhren in Zeitungen und TV-Nachrichten nichts zu den Hintergründen der Tat. Vielmehr berichteten die Medien, dass die getöteten Serben Helden gewesen seien, dass die kosovarische Polizei brutal und kaltblütig vorgegangen sei, und dass „der Westen“ stillschweigend der „ethnischen Säuberung der Serben“ zusehe. Vor großen Kirchen konnten Gläubige im ganzen Land Kerzen für die erschossenen Kriminellen, die zuvor einen unschuldigen Polizisten getötet hatten, anzünden.

„Frieden. Stabilität. Vučić.“ Wobei der Frieden schief hängt.

„Frieden. Stabilität. Vučić.“ Wobei der Frieden schief hängt.

Spielt Vučić mit dem Feuer?

Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Tat und auch die Reaktion Serbiens darauf. Manuel Sarrazin, der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für den Westbalkan, flog noch am Tattag mit der Mission nach Pristina, eine weitere Eskalation zu verhindern. Obwohl die Verhängung von Sanktionen gegen Serbien im Raum stand, blieb die Europäische Union (EU), die zuletzt hart mit Kosovo ins Gericht gegangen war, unkonkret hinsichtlich möglicher Folgen. Am Wochenende forderten die Vereinigten Staaten und Deutschland Serbien dann dazu auf, unverzüglich seine Truppen an der serbisch-kosovarischen Grenze zu reduzieren. Zudem ließ Serbien den zuvor gefeierten „Helden“ Milan Radoičić, Anführer des Kommandotrupps und Führungskader der „Serbischen Liste“, kurzzeitig festnehmen, nachdem er über seinen Anwalt alle Schuld auf sich genommen hatte.

Die Verdrehung von Tatsachen sowie unterschiedliche Botschaften für das heimische und das internationale Publikum sind Vučićs Spezialität: So verkündete der serbische Präsident bei CNN, Serbien habe seine Truppen an der Demarkationslinie zu Kosovo gar nicht aufgestockt, zöge sie aber „selbstverständlich“ im Sinne des Friedens zurück. Serbien habe kein Interesse an einer Eskalation. Im heimischen Fernsehen wiederum vertrat er die Meinung, der Westen unterstütze die Politik Kosovos, die gegen die Existenz Serbiens und aller Serben gerichtet sei. Und Radoičić, so ließen die Medien das Volk wissen, sei nur aufgrund unmenschlichen Drucks der internationalen Gemeinschaft festgenommen worden. Vučić habe jedoch, wie immer, das Beste für Serbien und alle Serben herausgeholt.

Virtuos bedient der serbische Präsident die nationalistische Klaviatur: obwohl der Vorfall von Kosovoserben im de facto weitgehend von Belgrad kontrollierten Nordkosovo ausgelöst wurde, sieht sich der serbische Präsident zu Unrecht beschuldigt. Außenpolitisch, so Vučićs Kalkül, kann er so die Agenda der schrittweisen Destabilisierung Kosovos vorantreiben, ohne dafür politische Verantwortung übernehmen zu müssen. Innenpolitisch kann er von seiner miserablen politischen Bilanz ablenken: Serbien ist nach wie vor eines der ärmsten Länder Europas, zudem demonstrieren Bürgerinnen und Bürger seit Monaten wöchentlich gegen die allgegenwärtige Gewalt innerhalb der serbischen Gesellschaft. Mit selbstinitiierten Krisen und deren anschließender Lösung gibt er dem Wahlvolk das Gefühl, er setze sich für ihre Interessen ein, während er Serbien weiter von europäischen Werten entfernt.

Doch dieses Mal könnte Vučić den Bogen überspannt haben: aus Parlamentskreisen ist zu hören, dass EU-Sanktionen gegen die serbische Regierung nach wie vor im Raum stehen. Die EU-Botschaften möchten jedoch zuerst unwiderlegbare Beweise dafür sammeln, dass serbische Regierungsvertreter bei der Kommandoaktion im Norden Kosovos ihre Finger im Spiel hatten. Kosovos Premierminister Kurti ist sehr daran interessiert, Beweise für eine Beteiligung Serbiens zu finden. So oder so ist die serbische Bevölkerung schon jetzt davon überzeugt, dass ihnen einmal mehr übel mitgespielt wird. Und trotz einer der größten Krisen seit Jahren steht Vučić innenpolitisch blendend da.

Markus Kaiser ist Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für die Staaten des Westbalkans mit Sitz in Belgrad.

Eins von dutzenden „Wenn die Armee in den Kosovo zurückkehrt“-Graffiti in Belgrad

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